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Morddrohungen, Doxing, Todeslisten: Erneut Verdacht auf Datenmissbrauch durch Polizisten

Immer wieder kommt es zu Missbrauch von Daten durch Polizisten. Sowohl das Ausspähen oder die Weiterverbreitung personenbezogener Daten als auch die Androhung eines Verbrechens sind strafbar. Faktisch werden diese Delikte aber oft nicht verfolgt.
Morddrohungen, Doxing, Todeslisten: Erneut Verdacht auf Datenmissbrauch durch PolizistenQuelle: www.globallookpress.com

Aktuell steht in Mecklenburg-Vorpommern ein Polizist im Verdacht, personenbezogene Daten ohne dienstlichen Anlass aus Polizeidatenbanken abgerufen zu haben, um diese mit dem Ziel der Einschüchterung zu veröffentlichen. Zu Beginn der Woche hatte der Opferberatungsverein Lobbi die Fälle öffentlich gemacht. Doch auch nach einem Jahr Ermittlungen ist der Beamte weiter im Dienst und so mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet.

Das beklagen Betroffene, deren nicht öffentlich verfügbare Daten, wie Wohnadresse und Klarnamen, veröffentlicht wurden. Sie erstatteten Anzeige gegen den Polizisten, der sich in Onlineforen derart geäußert hatte, dass die Betroffenen als seine politischen Gegner gesehen werden konnten. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat bereits bestätigt, dass der Beamte versucht haben soll, an Daten ohne dienstlichen Bezug zu gelangen. Das Verfahren wurde aber eingestellt, weil dieser eine Versuch aufgrund einer Auskunftssperre erfolglos gewesen sei. Der Beamte habe sich die Daten dann auf anderem Wege besorgt.

Auch das Büro des Landesdatenschutzbeauftragten wurde eingeschaltet. Dass der Beamte auch nach einem Jahr nicht belangt wurde, stößt auf Unverständnis der Betroffenen, aber auch anderer Beobachter, denn es ist kein Einzelfall.

Mit dem Veröffentlichen personenbezogener Daten, Doxing genannt, sollen Personen eingeschüchtert werden, oft werden sie konkret bedroht. Doxing ist nicht neu und wird von unterschiedlichsten Akteuren in einer Art Selbstjustiz gegen wahre oder vermeintliche Kontrahenten eingesetzt. Bereits vor mehr als zehn Jahren setzte das Kollektiv Anonymous derartige Veröffentlichungen ein, um Pädophile und Rechtsradikale zu outen. Das kann die Richtigen treffen – wie im Fall der Vergewaltigung einer Minderjährigen durch Football-Spieler in Ohio, die später auch verurteilt wurden –, oder aber Unschuldige in den Suizid treiben, wie nach den Anschlägen in Boston, nach denen mehrere Personen fälschlicherweise als Attentäter dargestellt wurden.

Wenn personenbezogene Daten jedoch durch den Missbrauch polizeilicher Informationsressourcen und in Verbindung mit einer Bedrohung an die Öffentlichkeit gelangen, ist dies umso schwerwiegender. Als Exekutivorgan des Staates hat die Polizei besondere Befugnisse, die von den Beamten zu dem Zweck der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung wahrgenommen werden können. Beamte sollen Bürger schützen und besonders der Verfassung verpflichtet sein. Die Polizei hierzulande genießt hohes Vertrauen seitens der Mehrheit der Bevölkerung. Allerdings werden die besonderen Befugnisse von Beamten immer wieder missbraucht, teils mit steigenden Tendenzen, wie im Fall von Hessen.

Mal erfolgen Personenabfragen ohne dienstlichen Nutzen, aus reiner Neugier. So wurden Daten von Helene Fischer anlässlich eines Konzertes 83-mal in nur einer Nacht abgefragt. Dann gibt es aber mittlerweile zahlreiche Fälle, in denen es sich um weitaus mehr als harmlose Neugier der Beamten handelt. Ein eklatanter Fall ist durch den Landesdatenschutzbericht des Beauftragten in Mecklenburg-Vorpommern an die Öffentlichkeit gelangt, wonach Polizisten Kontaktdaten minderjähriger Mädchen zur Anbahnung sexueller Kontakte missbraucht haben, nachdem eine von ihnen sich gar hilfesuchend an die Polizei gewandt hatte, weil Nacktfotos von ihr im Internet kursierten. In Hessen erhält eine türkischstämmige Anwältin, die die NSU-Opfer vertrat, seit August 2018 mehrere Drohschreiben, in denen auch Informationen über ihre Tochter, ihren Mann und ihren Vater erwähnt werden, teils mit dem Hinweis, dass die Verfasser den Kasseler Ex-Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet hätten, unterzeichnet mit NSU 2.0 und in einem Wortlaut, der nicht nur fernab jeglicher Zivilisiertheit formuliert, sondern offenkundig rassistisch ist und mit Mord an einem Kind droht:

Miese Türkensau! (...) Verpiss dich lieber, solange du hier noch lebend rauskommst, du Schwein! Als Vergeltung schlachten wir deine Tochter. 

Behörden fanden heraus, dass Daten der Anwältin an einem Rechner im 1. Polizeirevier Frankfurt abgefragt worden waren. Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurde eine mutmaßliche rechtsextreme Chatgruppe der Frankfurter Polizei aufgedeckt. In einem neueren Schreiben wird in ähnlichem Stil Bezug auf die Suspendierung von fünf Beamten genommen:

Dir hirntoten Scheißdöner ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast.

Ein Hessener Polizist soll zudem interne Daten der Polizei an ein Mitglied der Neonazigruppe Aryans weitergegeben haben. Die Fälle rechts und teils extremistisch motivierter Polizisten hat derart zugenommen, dass es den Rahmen eines Artikels sprengen würde. Laut Christoph Kopke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, der selbst Kommissaranwärter unterrichtet, gibt es nicht nur "etliche Studien, die auf eine problematische Kultur in der Polizei hindeuten", sondern ein erhebliches Dunkelfeld. Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bundespolizist Jörg Radek, sagte, bei vielen Beamten ist "etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt."

Auch Polizisten ist eine politische Einstellung erlaubt, allerdings wie bei anderen Beamten, in der Freizeit. Im Dienst dürfen sie "eigentlich gar nicht zum Vorschein kommen", meint Bernd Heinen, Inspekteur der Polizei Nordrhein-Westfalen. 

Wenn ein Polizist seine Uniform anzieht, wenn er Dienst tut, hat er die Pflicht, sich neutral und gemäß seines Diensteides zu verhalten – unabhängig von seiner privaten politischen Einstellung.

Problematisch ist die Gesinnung von Beamten vor allem, wenn Dienstbefugnisse, wie Datenzugänge oder auch Waffengebrauch, zum Zweck der Ausübung von Straftaten gegen politische Gegner missbraucht werden. Kopke warnt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden abzunehmen droht.

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Auch an der Erstellung und Verbreitung sogenannter "Feindeslisten" oder gar "Todeslisten" von Rechtsextremisten, in denen Namen- und Adressen politischer Gegner gesammelt wurden, sollen Bedienstete des Staates beteiligt gewesen sein. Darauf griffen sowohl die NSU als auch der Ex-Bundeswehrsoldat Franco A. und die rechtsextreme Prepper-Gruppe Nordkreuz zurück. Weil auch die Gesinnung von Polizisten laut dem Soziologen Armin Pfahl-Traughber durch einen Diskurs beeinflusst wurde, der von Reichsbürgern, NPD und AfD-Vertretern mitgeprägt ist, konnte es dazu kommen, dass ehemalige und aktive SEK-Beamte mit der Prepper-Szene zusammen Munition zur Seite geschafft und 200 Leichensäcke bestellt haben, erklärt Kopke. Bis zum vergangenen Sommer waren es bereits 25.000 Namen auf diversen Listen, die Ermittler bei Razzien gegen rechte Extremisten und sogenannte Prepper 2017 und 2018 gefunden hatten.

Auf Bedrohung mit Verbrechen steht laut Strafgesetzbuch (StGB) eine Geldstrafe oder gar Freiheitsstrafe. Dieser Paragraf (§ 241) soll dahingehend verschärft werden, dass nicht nur die Bedrohung mit einem Verbrechen strafbar ist, sondern auch mit einem "Vergehen" wie Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen.

Datenschutzverstöße bei der Polizei fallen in den Zuständigkeitsbereich der Datenschützer, diese stellen eine Zunahme der Fälle fest. Missbräuchliche Abfragen aus Informationssystemen, deren Bestand ebenfalls der Sicherheit dienen sollte, sind Straftatbestände der Landesdatenschutzgesetze, wenn das Ziel die Schädigung einer Person ist. Die Erstellung von Feindeslisten könnte nach Datenschutzrecht (Bundesdatenschutzgesetz, BDSG) geahndet werden, da es demnach mit zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe strafbar ist, wenn "personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind", ohne Berechtigung verarbeitet werden, "um anderen zu schaden". Laut dem stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Stephan Thomae würden solche Delikte nach dem BDSG von Polizei und Staatsanwaltschaft allerdings bisher "faktisch nicht verfolgt". Für die Betroffenen ist das unverständlich und teils gefährlich. Allein aus Mecklenburg-Vorpommern hatten im vergangenen Sommer 33 Einzelpersonen sowie zwölf Vereine und Verbände, die sich in den "Feindeslisten" des rechten Netzwerks Nordkreuz finden, offene Briefe an Politiker auf Landes- und Bundesebene verschickt. Vor diesem Hintergrund fand in Greifswald am Donnerstag eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "(Un)Sicherheitsbehörden – Rechtsradikale in der Polizei und die Folgen" statt, bei dem unter anderem ein Betroffener der Feindesliste des rechten Netzwerks Nordkreuz zu Wort kam.

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Soeben erst bekundete BKA-Präsident Holger Münch, dass er die Erstellung von Feindeslisten politischer Gegner für strafwürdig hält. "Wer Listen vermeintlicher politischer Gegner veröffentlicht – verbunden mit Drohungen wie 'Wir kriegen Euch alle' –, der tut dies mit dem Ziel, Menschen einzuschüchtern und Angst zu verbreiten", erklärte er jüngst und plädierte dafür, dass das Verfassen solcher Listen "unter Strafe gestellt werden sollte". Das Bundesinnenministerium stimmte dem zu. 

Doch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) verweist darauf, dass es Strafbestände bereits gibt, die Delikte jedoch unzureichend geahndet werden. "Wir brauchen kein neues Gesetz, sondern entschlosseneres Vorgehen der Behörden auf Grundlage der geltenden Gesetze", so die stellvertretende Parteivorsitzende. "Wenn Neonazis Feindeslisten anlegen und veröffentlichen, ist das nicht nur ein datenschutzrechtliches Problem. Diese Listen sollen bedrohen, nötigen und Angriffe vorbereiten." Auch der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae betont die unzureichende Verfolgung der Verstöße: "Es gibt bereits Straftatbestände im Bundesdatenschutzgesetz, die hier greifen, wenn die Betroffenen eingeschüchtert werden sollen. Diese Delikte werden aber viel zu wenig verfolgt."

Mit dem Programm Polizei 2020 soll eine einheitliche Informationsarchitektur für die deutschen Polizeien in Bund und Ländern geschaffen werden, um das polizeiliche Informationswesen in Deutschland zu vereinheitlichen. Damit soll die polizeiliche Informationsverwaltung fundamental umgestaltet werden, was unter anderem auch das Risiko birgt, dass Daten auf dem "kleinen Dienstweg" ausgetauscht werden.

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