Kohleausstieg: Bundesregierung plant Milliardengeschenke für die Kohleindustrie
von Susan Bonath
Subventionen in Milliardenhöhe an die Konzerne plus ein neues Kraftwerk, einseitige Belastung der privaten Haushalte und weitere Verschleppung der Umweltprobleme: Einen Teil der Kohlekommission trieb das kürzlich auf die Barrikaden. Diese habe, so schrieben acht von 28 Mitgliedern selbiger vergangene Woche, den vor einem Jahr mit den Ländern erzielten Kohlekompromiss zugunsten der Konzerne aufgekündigt.
Mit ihrer Stellungnahme forderten sie die Bundesregierung zum Umlenken auf. Diese habe "einen gesellschaftlichen Frieden, der vereinbart worden war, leichtfertig verspielt", sagte die frühere Kommissionschefin Barbara Praetorius dazu gegenüber den Medien. Es gehe, betonte sie, um alle möglichen finanziellen Interessen – nur nicht um Klimaschutz.
50 Milliarden Euro Subventionen fürs Kapital
Es geht um neue Änderungen im Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz, den das Bundeskabinett am 29. Januar absegnen will. Bis zum Jahr 2038 soll die Wirtschaft danach den Kohleausstieg hinbekommen. Das will ihr die Bundesregierung mit gigantischen Summen aus dem Steuertopf versüßen: Insgesamt sollen fast 50 Milliarden Euro fließen.
Laut Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) belaufen sich allein die geplanten "Entschädigungen" für die Konzerne auf 4,35 Milliarden Euro – 2,6 Milliarden davon gehen demnach an westdeutsche, 1,75 Milliarden an ostdeutsche Kohleunternehmen. Darüber hinaus hat der Bund mehr als 40 Milliarden Euro als sogenannte Strukturhilfen für den Umbau der Wirtschaft eingeplant.
LEAG soll 1,75 Milliarden kassieren – für nichts
Einem Bericht des Spiegel vom 24. Januar zufolge sollen allerdings allein 1,75 Milliarden Euro an den Konzern LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG) fließen – für eine angeblich vorzeitige Schließung der Kraftwerke Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe.
Von vorzeitig könne laut dem Magazin vorliegenden vertraulichen Geschäftsplänen aber keine Rede sein. Die noch zur Verstromung vorgesehene Menge an Braunkohle sei lediglich von 867 auf 854 Millionen Tonnen reduziert worden. Die LEAG würde also mit Steuergeld für einen Kohleausstieg entschädigt, den sie bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen angekündigt hatte und ohnehin vollzogen hätte.
Datteln 4: Neues Kraftwerk für NRW trotz Ausstiegsplänen
Auch bedeuten die Ausstiegspläne nicht, dass in Deutschland keine neuen Kohlekraftwerke mehr ans Netz gehen. Das umstrittene Steinkohlekraftwerk "Datteln 4" soll in diesem Sommer in Nordrhein-Westfalen seinen Betrieb aufnehmen.
Über zehn Jahre lang wurde an den Meilern gebaut. Anwohner, Umweltschützer und auch Gerichte hatten den Bau immer wieder zeitweise gestoppt. Die erwarteten Mehr-Emissionen liegen unterschiedlichen Berechnungen zufolge bei zehn bis 14 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2). Betreiber des Kraftwerks ist der börsennotierte Konzern Uniper SE, eine Abspaltung des Energiegiganten E.ON.
Datteln 4 ist das einzige Kohlekraftwerk, das in Westeuropa noch neu an den Start geht. In Deutschland sollen ansonsten 19 Kraftwerke vor 2030, elf weitere danach die Kohleverstromung einstellen.
Kann-Floskel ohne Wirkung
Ursprünglich hatte die Bundesregierung verkündet, neben den Mega-Subventionen an die Profiteure zwei weitere Milliarden Euro ab 2020 ausgeben zu wollen, um die Strompreise "stabil" zu halten. Dass mindestens eine solche Summe nötig sei, hatte unter anderem das Umweltministerium herausgearbeitet.
Dazu zunächst Folgendes: Auch dies wären versteckte Subventionen, um den Unternehmen die Rendite zu sichern. Statt direkt von privaten Haushalten flösse das Geld über den Steuertopf an die Konzerne. Immerhin hätte man so den Ärmeren den Zugang zu Strom sichern können. Erst Anfang dieses Jahres stiegen die Preise in Deutschland um durchschnittlich sechs, in einigen Regionen um mehr als zehn Prozent.
Wohl, weil die Bundesregierung genug andere Fördermittel an die Kohleindustrie verschenkt, ist sie mit der jüngsten Änderung des Gesetzentwurfs von den Hilfen für bezahlbaren Strom abgerückt. Statt der Zusicherung, private Haushalte zu entlasten, heißt es im Referentenentwurf jetzt nur noch, vom Jahr 2023 an könne ein Zuschuss für die Übertragungsnetzentgelte gewährt werden – eine Kann-Floskel ohne Wirkung.
Erwarteter Preisanstieg: Industrielobby fürchtet Renditeeinbruch
Selbst den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) entzürnte dies, wenn auch nicht aus Liebe zu den Lohnabhängigen. Private Stromverbraucher ähnlich wie gewerbliche zu entlasten, sei von der Kohlekommission ausdrücklich empfohlen worden, schimpft der BDI vergangene Woche in einer Mitteilung. Werde dies nicht umgesetzt, sei "die Planungssicherheit gefährdet".
Mit anderen Worten: Die Lobby der Kohlekonzerne fürchtet einen Umsatzeinbruch, weil ein wachsender Teil der Bevölkerung die steigenden Preise nicht mehr aufbringen könnte. Schon heute sperren die Versorger mehr als 300.000 Haushalten jedes Jahr den Strom. Das ist bereits möglich, wenn der Zahlungsrückstand gerade einmal 100 Euro beträgt.
Noch anders ausgedrückt: Immer mehr ärmere Menschen können ein vorhandenes Produkt nicht nutzen, wenn ihnen das Geld dafür fehlt. Die Produktion für die Müllhalde ist im Kapitalismus jedoch nichts Neues. Ein Graus für das Kapital ist sie aber auch.
So klagte Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK):
Der für die Finanzierung nötige 'spürbare Anstieg der Strompreise' (Anm. der Autorin: um die Rendite der Konzerne nicht purzeln zu lassen) werde 'die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen empfindlich schwächen'.
Linke: "Steuergeld ist nicht dazu da, Konzerne bei Laune zu halten"
In der Linkspartei dagegen ärgert man sich vor allem über die mit Steuergeld subventionierte Umverteilung von unten nach oben. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch erklärte die anvisierten hohen "Entschädigungen" bereits Mitte Januar nach einem Spitzentreffen der Bundesregierung mit vier Kohle-Ländern für "völlig unangemessen". Die Konzerne profitierten auf dem Rücken der Beschäftigten, sagte er.
Dabei, so Bartsch, hätten die großen Energiemultis über viele Jahrzehnte "prächtig verdient", obwohl sie "um Zukunftstechnologien einen großen Bogen gemacht haben". Diese Unternehmen nun mit Milliarden zu beglücken, sei "ein großer Fehler". Das Geld fehle bei Jobs und sinnvollen Strukturhilfen, so Bartsch. Über vier Milliarden Euro schüttele Finanzminister Scholz "aus dem Ärmel, um Konzerne und Aktionäre nicht zu verprellen", mahnte er weiter. "Steuergeld ist aber nicht dazu da, um Konzerne bei Laune zu halten."
Abwälzung der Kosten auf die Ärmeren spaltet die Gesellschaft
Die sich verschärfenden Umweltprobleme und der politische Umgang damit spaltet die Gesellschaft. Das ist kein Wunder. Gewerkschaften, Kohlekumpel und Beschäftigte in energieintensiven Branchen bangen um ihre Jobs. Lediglich über 58-Jährigen, die wegen der Schließung eines Kraftwerks entlassen werden könnten, verspricht die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf eine Art Übergangsgeld zur Rente.
Menschen gerade mit geringeren Einkommen fürchten unbezahlbare Strompreise. Schon seit Langem klagen Sozialverbände, dass die rund 37 Euro, die Hartz-IV-Aufstockern für "Strom- und Haushaltsreparaturen" im Regelsatz zugestanden werden, viel zu gering seien.
Auch in der noch relativ gut verdienenden Mittelschicht scheint sich vor radikalen Veränderungen und Verlusten Angst breit zu machen. Die Auswirkungen sind in den Kommentarspalten im Internet sichtbar. Die Wut beschränkt sich nicht nur auf die Politik, die wie üblich den Lohnabhängigen in die Tasche greift. Auch Klima- und Umweltaktivisten, Wissenschaftler und Journalisten werden teils massiv angefeindet und bedroht.
Der Markt als Plattform, um aus Geld mehr Geld zu machen
Allerdings war die Abwälzung der Kosten auf die Bevölkerung zu erwarten. Der viel gepriesene Markt ist nun mal die Plattform in unserem System, um aus Geld mehr Geld zu machen. Nur aus diesem einen Grund werden Waren produziert, egal, ob Strom, Autos oder Windkraftanlagen. Es war noch nie anders im gegenwärtigen Wirtschaftssystem, dass Kapitaleigentümer auf Kosten der Lohnabhängigen maximale Profite machen. Wer nicht mitspielt, geht bankrott oder wird von der Konkurrenz geschluckt.
Gemanagt wird diese zu endlosem quantitativen Wirtschaftswachstum verdammte Profitmaschine von "Vater Staat". Daher hat sich die Politik noch nie an dieser Art der Ausbeutung gestört. Im Gegenteil: Mit der Agenda 2010 inklusive Hartz-IV-Sanktionsregime hat sie den europaweit größten Niedriglohnsektor willentlich aufgebaut. Aus Angst vor Hartz IV nehmen Lohnabhängige viel eher jeden Job auch zu schlechtesten Konditionen an.
Von der Bundesregierung selbst erklärtes Ziel war es, damit die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Am wettbewerbsfähigsten ist, wer seine Angestellten am meisten ausbeutet. Den Konzerneignern und Großaktionären Rendite in die Tasche zu spülen, ist der Sinn und Zweck der Lohnarbeit. Diese Tatsachen ändern allerdings nichts an der von dieser Wirtschaftsweise produzierten Umweltkrise und an wissenschaftlichen Fakten. Es sind diese derzeit unlösbar erscheinenden und häufig unverstandenen Widersprüche, die die Gesellschaft spalten.
Widersprüche erfordern grundlegendes Umdenken
Innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise sind allerdings so grundlegende Widersprüche, wie Arbeitsplätze und Ausbeutung einerseits, Umweltkrise andererseits, nicht lösbar. Wer den Planeten nicht so weit zerstören will, dass er für das Gros der Menschen unbewohnbar sein wird, muss radikal umdenken. Es ist also notwendig, über das gegenwärtige System hinaus zu denken.
Grundsätzlich geht es dabei um die Eigentums- und damit verbundenen Machtverhältnisse. Solange die Wirtschaft wenigen Profiteuren gehört und die große Masse lohnabhängig ist und für deren Profite strampeln muss, wird es nicht gelingen, die Produktion von profitgetrieben auf bedarfsorientiert und ökologisch nachhaltig umzustellen.
Denn selbst wenn der Kohleausstieg im Kapitalismus innerhalb der nächsten Jahrzehnte gelingen sollte, dann nicht nur auf Kosten der "kleinen Leute". Auch das Prinzip der Profitmaximierung und der damit verbundene quantitative Wachstumszwang würden weiter bestehen – abgesehen von den vom Staat bedienten Einzelinteressen an größtmöglichen Renditen.
Daraus folgt ein Schluss: Ziele, die im Interesse aller Menschen liegen, sind nur gegen die Interessen der Besitzenden und Machtausübenden umzusetzen. Wattebäusche dürften da genauso wenig weiterhelfen wie Drohungen und Hasstiraden gegen Umweltaktivisten und Wissenschaftler oder das Wählen autoritärer Regierungen. Die Zeit samt Umweltzerstörung lässt sich nicht zurückdrehen.
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