Deutschland

Die "neue" SPD: Vor allem mit sich selbst beschäftigt

Die Wahl der neuen SPD-Doppelspitze beherrschte die Schlagzeilen der letzten Tage. Die Sozialdemokraten attestierten sich selbst einen "Linksruck". Doch bei den Debatten ging es vor allen Dingen um innerparteiliche Fragen, die Wählerschaft spielte nur eine untergeordnete Rolle.
Die "neue" SPD: Vor allem mit sich selbst beschäftigt

von Kani Tuyala

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind es nun also, die die Sozialdemokratie wieder flottmachen sollen. Warum besteht eigentlich die Notwendigkeit einer Doppelspitze? Diese Frage wurde in aller erster Linie mit "Geschlechtergerechtigkeit" beantwortet.

Die SPD hat den Mut, mit einer Doppelspitze in die Zukunft zu gehen. Und weil es dabei geschlechtergerecht zugehen soll, konnte ich einem Mann an meiner Seite eine Chance geben, und das ist Norbert Walter-Borjans. Norbert, komm zu mir", erklärte Saskia Esken in ihrer Rede auf dem SPD-Parteitag.

Geschlechtergerechtigkeit in allen Ehren, aber eine Antwort auf die Frage, worin die programmatische Notwendigkeit einer Doppelspitze liegt, und warum diese nun dazu angetan ist, den Sozialdemokraten eine "neue" Richtung zu geben, war in den zahlreichen Reden nicht zu vernehmen. Eines ist jedoch sicher: Sie ist trendy.

Als nicht SPD-Mitglied fiel mir auf dem sehr gut besuchten Parteitag bei den Reden der neuen Vorsitzenden vor allem eines auf. Es war zwar immer wieder die Rede von der Notwendigkeit eines "Bürgergeldes", von "Kinder- und Altersarmut", von "bezahlbarem Wohnraum" und davon, Hartz IV nun "hinter sich zu lassen". Eine kritische Analyse über die Ursachen für die massiven Stimmenverluste an den Wahlurnen floss jedoch nicht in die Ausführungen ein, zumindest nicht in gebührendem Maße. Diese wäre jedoch bitter nötig, gerade weil man sich ja bekanntlich selbst gerne ein gutes Arbeitszeugnis als Regierungspartei ausstellt. Ohnehin ist es an der Zeit, die Einführung des Arbeitslosengeldes II als einzige Ursache für den Niedergang der Sozialdemokratie als das zu entlarven, was sie ist – ein Mythos.

Hartz IV ist ein Symptom, vielleicht das offensichtlichste, aber wohl kaum die Ursache für den massiven Vertrauensverlust der "Arbeiterpartei" beim Souverän. Diese liegt womöglich tiefer und im Gründungsmythos der Sozialdemokratie selbst begründet, wonach man Teil des kritisierten und zunehmend ausufernden Systems der sozialen und ökologischen Ausbeutung zum vermeintlichen Wohle aller werden müsse, um es zähmen zu können. Sicherlich kein leichtes Unterfangen und eine in der deutschen Parteienlandschaft wohl einmalige Herausforderung sich aus dieser Zerreißprobe zu befreien.

Doch nicht nur bei den neuen Stellvertretern herrschte Fehlanzeige in Sachen selbstkritische Analyse als grundlegende Basis eines tatsächlichen Neuanfangs. Auch bei den Parteimitgliedern vor dem RT Deutsch-Mikrofon sorgte die entsprechende Frage für Achselzucken, wenn nicht gar Erstaunen.

Wenn ich das im Detail erklären könnte, dann würde ich mindestens irgendwo eine Promotion oder eine Professur als Politikwissenschaftler da rausholen oder würde mich als Berater teuer bezahlen lassen," erwiderte ein gestandenes SPD-Mitglied auf die Frage nach den Ursachen für das immer schlechtere Abschneiden der Sozialdemokraten bei der Wählerschaft.

Ohnehin bezog sich der proklamierte "Neuanfang" vor allem darauf, dass die Zeichen nun endlich wieder in Richtung "innere Geschlossenheit" deuteten, und ohne Frage ist dies eine grundlegende Voraussetzung dafür, auch nach außen wirksam agieren zu können. Doch wie sich die eigene Freude auf den desillusionierten Wähler übertragen soll, kam eben nicht explizit zur Sprache.

Trotz der durchaus euphorischen Stimmung aufgrund der neuen Doppelspitze wurde zudem nicht wirklich deutlich, wodurch sich der erklärte "Aufbruch" von den vorherigen tatsächlich zu unterscheiden gedenkt.

Etliche Vorsitzende sprachen bereits von Aufbruch, von der Notwendigkeit, wieder die "Bedürfnisse und Sorgen der einfachen Menschen" und die "soziale Gerechtigkeit" in den Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik stellen zu wollen. Warum dieses "Brennen" für die Belange der Menschen, wie es jetzt etwa Gesine Schwan als Notwendigkeit auf dem Parteitag formulierte, immer wieder als flackernde Kerze im Dunkel der sogenannten Realpolitik endete, diese, sicherlich schmerzhafte Reflektion fand nicht den Raum in den Ausführungen der Partei-Granden der ihr gebührt.

Es war der Anti-GroKo-Furor der nun sowohl Esken als auch Walter-Borjans an die Spitze der SPD spülte. Doch auf dem Parteitag wurde das Thema dann geflissentlich ausgeklammert. Klare Forderungen etwa in Sachen "massive Investitionen" und "arbeitspolitische Entscheidungen" schmolzen zur Forderung nach "Nachbesserungen in Gesprächen" mit der Union zusammen. Parteitaktischer Pragmatismus, wo tatsächlich die oft beschworene "klare Kante" gefordert gewesen wäre. Die Waffen wurden bereits im Vorfeld gestreckt, um den neuen Burgfrieden nicht zu gefährden. Einbruch statt Aufbruch, um sich ja alle Optionen offen zu halten.

Wohl nicht wenige Wähler würden sich vermutlich, trotz Hartz IV, wieder mitnehmen lassen von einer SPD auf einem klar abgegrenzten Linkskurs. Doch nach wie vor wird man den Eindruck nicht los, dass man es bei den Sozialdemokraten immer noch allen Recht machen will. Zudem fehlt den "Genossen" das Führungspersonal mit entsprechender Strahlkraft. Ein Kevin Kühnert bildet da die Ausnahme der Regel, die auch von Esken und Walter-Borjans wieder nicht unterbrochen wird.

Es war ein nachdenkliches Parteimitglied, das im kurzen Gespräch während des Parteitags an der Kaffeetheke unkte:

Wir sehen uns hier bald wieder.

Damit war er freilich einer der wohl ganz wenigen, die sich von der unbedingten Aufbruchsstimmung unter den Delegierten und Parteimitgliedern offensichtlich nicht hatte anstecken lassen. Es war zudem schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass man sich durch das Beschwören der langen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, des Besinnens auf einen vermeintlichen Kern sozialdemokratischen Handelns und Fühlens, Mut für die Zukunft einzuflößen versuchte. Die Frage, auf welche Weise man sich diesmal des strukturellen Problems der realpolitisch begründeten Profillosigkeit anzunehmen gedenkt, blieb im Ganzen unbeantwortet.

Doch wie auch immer man zu den Sozialdemokraten steht, auch für diese gilt die bekannte Binsenweisheit, wonach Totgesagte häufig länger leben.

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