Selimchan Changoschwili: Frauenheld, Spion, Islamist oder Gefährder?
Zwei russische Diplomaten wurden am Mittwoch von der Bundesregierung des Landes verwiesen, weil – in den Worten von Kanzlerin Angela Merkel – "wir nicht gesehen haben, dass Russland uns bei der Aufklärung dieses Mordes unterstützt". Rückendeckung für diesen Schritt holte sie sich dabei im Vorfeld von anderen NATO-Staaten, wie sie bei der Pressekonferenz in London sagte.
Wer war der Mann, dessen Tod möglicherweise eine schwerwiegende diplomatische Krise zwischen Berlin und Moskau auslösen könnte?
Selimchan Changoschwili war eine kontroverse Persönlichkeit, der man bereits in seiner Heimat nach dem Leben trachtete, bevor er 2015 mit seiner Familie nach Deutschland flüchtete. Er stellte einen Asylantrag und gab an, gefährdet zu sein. Dennoch wurde sein Antrag am 1. März 2017 abgelehnt, weil man ihn offensichtlich aufgrund seiner Vergangenheit auch für Deutschland als potenziell gefährlich betrachtete. Das Berliner Landeskriminalamt beobachtete Changoschwili von März 2017 bis 2018 als sogenannten Gefährder, dem es zuzutrauen war, aus verschiedenen Gründen Anschläge zu verüben oder sich an solchen zu beteiligen.
Im Laufe des Jahres 2018 änderte sich die Einschätzung des Landeskriminalamtes, und er wurde nicht mehr länger als Gefährder eingestuft. Dafür interessierte man sich aber für seine Kontakte ins "kriminelle Milieu" und behielt ihn weiterhin im Auge. Mit seiner Frau und fünf Kindern lebte er aber trotz abgewiesenem Asylantrag und Beobachtung durch das Landeskriminalamt unbehelligt in Berlin. Was er genau getan hat und womit er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdient hat, ist nicht bekannt.
Dafür weiß man aber, dass er über Kampferfahrung im Kriegseinsatz in Tschetschenien verfügt und sich der militanten islamistischen Kaukasischen Front anschloss, die auch als Kaukasus-Mudschahedin bekannt ist. Angeführt wurde diese Organisation von dem berühmt-berüchtigten tschetschenischen Kommandeur Schamil Bassajew, der für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich war.
Die "Kaukasische Front" ging 2007 im "Kaukasus-Emirat" (KE) auf. Vor diesem sowie vor der Gefahr, die von Anhängern des KE ausgeht, warnte selbst der deutsche Verfassungsschutz. 2015 folgte schließlich der Zusammenschluss von KE und dem sogenannten Islamischen Staat (IS), nachdem die Kommandeure der verschiedenen Regionen einen Treueeid auf den selbst ernannten "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi schworen.
Gänzlich absurd wirkt nun der Versuch des ehemaligen Chefs des georgischen Nationalen Sicherheitsrats in Tiflis Giga Bokeria, zu behaupten, dass Changoschwili "kein Islamist" gewesen sei. Stattdessen sei er ein "separatistischer Gegner der russischen Führung im Geiste des ersten Tschetschenienkrieges" gewesen, wie die Tagesschau diese Aussage unkritisch wiedergab. Absurd auch deshalb, weil das Opfer auf dem Bild, das die Tagesschau benutzte, um diese Behauptung zu untermauern, das Schwarze Banner auf seiner Mütze angebracht hatte. Dieses Banner, auf dem die islamische Schahada abgedruckt ist: "Es gibt keinen Gott außer Gott, Mohammed ist der Gesandte Gottes", wird von vielen islamistischen Terrororganisationen benutzt. Das Schwarze Banner symbolisiert Tauhid (Glaube an die Einheit Gottes) und Dschihad.
Auch ein weiterer ehemaliger hochrangiger Beamter des Innenministeriums Georgiens versuchte in einem Interview mit Daily Beast, ein vollkommen anderes Bild von dem in Berlin getöteten Mann zu zeichnen. Er sei alles andere als ein Islamist, sondern ein "Womanizer" gewesen, der gerne durch die Bars zog. Und er soll als Agent für den georgischen und US-Geheimdienst gearbeitet haben, weshalb er angeblich zur Zielscheibe des russischen Geheimdienstes wurde.
Die in Deutschland gegen Changoschwili erhobenen Vorwürfe seien lächerlich und dem Umstand geschuldet, dass Kanzlerin Merkel keinen ernsthaften Bruch mit Russland riskieren wolle.
Changoschwili selbst stammt aus dem Pankissi-Tal, einem überwiegend von Muslimen bewohnten Teil Georgiens. Aus diesem Tal stammen die meisten radikalisierten georgischen Islamisten, die sich dem IS in Syrien angeschlossen haben, wie Olivier Roy, einer der führenden Islam-Experten, in einer Untersuchung herausgefunden hat. Hauptgrund dafür sei die Perspektivlosigkeit in einer christlich dominierten Gesellschaft sowie der schädliche Einfluss der saudischen Wahhabismus-Missionierung im Kaukasus.
Der in Berlin getötete Mann wechselte aber die Seiten und bot sich aufgrund seiner Erfahrung dem georgischen Innenministerium als Anti-Terror-Experte und Vermittler an. Dafür wurde er mit einem neuen Namen und georgischen Pass ausgestattet: Tornike Kawtaraschwili. Er soll über gute Verbindungen zu diversen Geheimdiensten verfügt haben und stand auch dem Präsidenten Micheil Saakaschwili nahe.
Doch seit dem Vorfall Ende August 2012 in der Lopota-Schlucht in der Nähe der georgischen Grenze zur russischen Republik Dagestan wurde Changoschwili von seinen einstigen Weggefährten des Verrats beschuldigt.
Er lud Veteranen des Tschetschenienkrieges zu einem Besuch ins Pankissi-Tal ein, von denen einige bereits seit Jahren in Österreich lebten. Die Gruppe entschied sich, zusammen über die Grenze nach Dagestan und weiter nach Tschetschenien zu gehen. Die Männer waren schwer bewaffnet, was Changoschwili nicht behagte. In der Lopota-Schlucht trafen sie auf fünf Männer, darunter auch einen georgischen Grenzbeamten, der die Gruppe erkannt hatte, und nahmen sie als Geiseln.
Es folgten lange Verhandlungen mit der Polizei, mit dem Gastgeber als Vermittler für die georgischen Behörden und Achmed Tschatajew für die bewaffneten Islamisten. Nachdem nach tagelangen Gesprächen kein Durchbruch erzielt werden konnte, entsandte Präsident Saakaschwili Spezialeinheiten der Armee in die Lopota-Schlucht.
Ein letzter Versuch wurde unternommen, die Islamisten zur Aufgabe zu bewegen. Aber Changoschwili führte einen Teil der Gruppe direkt in die Falle, als die Spezialeinheiten das Feuer auf die Tschetschenen eröffneten und ihren Gewährsmann in Sicherheit brachten. Bei den Kämpfen starben elf von 17 Islamisten und drei georgische Beamte. Zwei getötete Islamisten stammten ebenfalls aus dem Pankissi-Tal, was von der Regierung anfänglich geleugnet wurde.
Doch auf Vdagestan.com, einem dem dagestanischen Flügel des KE nahestehenden Portal, wies man die Variante mit der Entführung von sich. Das seien "Lügen und Verleumdungen" der georgischen Regierung, und Tiflis habe den "Mudschahedin des Kaukasus-Emirats eine Falle gestellt", hieß es dazu weiter. Man werde diesen "Verrat" rächen. Auch auf Kavkaz Center, einem weiteren den Islamisten nahestehenden Portal, wurde diese Drohung veröffentlicht, bevor sie dann aber von der Seite genommen wurde.
In einem von Stammesstrukturen geprägten Kulturkreis wie in Zentralasien und eben auch im Kaukasus sind solche Drohungen nicht nur heiße Luft. Der "Tschir", wie die Blutrache in Tschetschenien genannt wird, ist ein integraler Bestandteil dieser Kultur, wenngleich er mittlerweile vom kriminellen Milieu vereinnahmt wurde. Wird also jemand zu Blutrache "verurteilt", ist das ein bindendes Gebot, das weder zeitlich noch räumlich eingeschränkt ist.
Fast drei Jahre lang wähnte sich Changoschwili als Informant Tornike Kawtaraschwili für den georgischen und US-Geheimdienst in Tiflis in Sicherheit, bis im Frühjahr 2015 ein Unbekannter auf ihn schoss. Wie durch ein Wunder traf ihn keine der "sieben oder acht" Kugeln lebensbedrohlich, er wurde lediglich schwer am Arm verletzt, den er schützend vor den Kopf hielt.
Nach dem Krankenhausaufenthalt floh er über Südossetien in die Ukraine, wo er seine Dienste Saakaschwili anbot. Der ehemalige georgische Präsident wurde in seinem Heimatland angeklagt und fand in der Ukraine Zuflucht, wo er sogar zum Gouverneur der Hafenstadt Odessa ernannt wurde. Aber Changoschwili blieb nur wenige Monate in der Ukraine, bevor er sich mit seiner Familie über Polen nach Deutschland absetzte und Asyl beantragte.
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