Deutschland

Lohnarbeit in Deutschland: Privilegien nach Status statt Leistung

30 Jahre nach dem Mauerfall bestehen weiterhin erhebliche Lohnunterschiede zwischen Ost und West, Frauen und Männern, Ausländern und Deutschen. Auf dem Spitzenplatz landeten demnach ältere, einheimische Männer in Westdeutschland. Vor allem Herkunft und Wohnort sind entscheidend.
Lohnarbeit in Deutschland: Privilegien nach Status statt LeistungQuelle: Reuters

von Susan Bonath

In Sachen Lohnarbeit bleiben ältere einheimische Männer aus Westdeutschland privilegiert. Nach neuen Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA), die die Linksfraktion im Bundestag ausgewertet hat, erhielten sie zum Jahresbeginn 2019 bundesweit die höchsten Bruttoeinkommen. Frauen, junge Berufseinsteiger, Migranten und Ostdeutsche bleiben teils drastisch dahinter zurück.

Billiglohnsektor Ostdeutschland

Das liegt einerseits daran, dass der Osten Deutschlands fast 30 Jahre nach dem Mauerfall weiterhin Billiglohnland bleibt. Dort bezahlen Unternehmen ihre Mitarbeiter weitaus schlechter als beispielsweise in Baden-Württemberg oder Hamburg.

Die 60 Landkreise und Städte mit den niedrigsten Durchschnittslöhnen liegen im Osten. Dort verdienten Vollzeitbeschäftigte zum Jahresbeginn 2019 im Mittel 2.707 Euro brutto im Monat für eine 40-Stunden-Woche. In Westdeutschland bekamen sie bei einem Lohndurchschnitt von 3.434 Euro fast 27 Prozent mehr Geld. Die am schlechtesten bezahlten Unternehmen liegen demnach im ostsächsischen Görlitz. Dort lag das mittlere Bruttoeinkommen bei Vollzeit bei gerade 2.272 Euro. Im bayerischen Ingolstadt hingegen lagen die Durchschnittsgehälter bei gleicher Arbeitszeit mit knapp 4.900 Euro mehr als doppelt so hoch.

Frauen sind im Westen drastisch abgehängt

Ingolstadt ist zugleich ein Paradebeispiel für besonders krasse Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Während erstere für eine Vollzeitstelle im Mittel 5.357 Euro brutto erhielten, hatten weibliche Beschäftigte bei gleicher Stundenanzahl lediglich ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 3.350 Euro. Damit verdienten dort Männer rund 60 Prozent mehr als Frauen.

Für den gesamten Westteil Deutschlands gerechnet, verdienten dort abhängig beschäftigte Männer im Schnitt 18 Prozent mehr als ihre weiblichen Kolleginnen. Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern variiert zwischen den Bundesländern jedoch erheblich, wie das Beispiel Ingolstadt bereits zeigt. Die größte Differenz klaffte in Baden-Württemberg. Dort verdienten Männer bei gleicher Arbeitszeit 25 Prozent mehr als Frauen.

Besonders abgehängt sind weibliche Lohnabhängige auch in Bremen und im Saarland, wo sie sich mit rund 21 Prozent weniger Lohn zufriedengeben mussten; in Bayern, Hamburg und Niedersachsen waren es etwa 19 Prozent. Die geringste Einkommensungleichheit im Westen herrschte zuletzt in Schleswig-Holstein, wo Frauen bei gleicher Arbeitszeit im Mittel zwölf Prozent weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit nur im Osten

In Sachen Geschlechtergerechtigkeit ist der Osten dem Westen allerdings weit voraus. Dort bezahlten Unternehmen Frauen und Männer annähernd gleich. In Brandenburg etwa erhielten weibliche Mitarbeiter sogar um vier Prozent höhere Löhne als Männer. In Sachsen-Anhalt bekamen Frauen rund 1,4 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 0,6 Prozent mehr Geld im Monat als Männer bei einer 40-Stunden-Woche.

Dabei lagen die durchschnittlichen Bruttoeinkommen jedoch insgesamt nur zwischen 2.496 Euro (Mecklenburg-Vorpommern) und knapp 2.600 Euro (Sachsen-Anhalt und Brandenburg). In Thüringen verdienten Männer rund sechs Prozent mehr als Frauen und in Sachsen drei Prozent, dies bei ähnlich geringer Lohnhöhe. In Berlin zahlten Unternehmen mit rund 3.242 Euro monatlich die höchsten Löhne im Osten des Landes. Dort verdienten Männer im Mittel drei Prozent mehr als Frauen.

Die geringen Einkommensunterschiede deuten darauf hin, dass sich Unternehmen und Politik sehr wohl dem gewachsenen Bewusstsein der Menschen anpassen können und es auch tun. In der DDR waren die meisten Frauen 1989 berufstätig. Dass sie gleiche Löhne für gleiche Arbeit erhielten, war selbstverständlich. Die alte BRD hingegen begann zu dieser Zeit gerade damit, die Frauen in den Arbeitsmarkt einzugliedern; ihre materielle Abhängigkeit vom Mann war weitaus größer und ist es offensichtlich bis heute.

Billiglöhne für Migranten und Flüchtlingen

Noch gravierendere Lohnungleichheit herrschten zwischen einheimischen und ausländischen Lohnabhängigen. Während letztere im bundesweiten Mittel etwa 2.530 Euro brutto im Vollzeitjob verdienten, gab es für deutsche Arbeiter und Angestellte mit rund 3.403 Euro fast ein Drittel mehr. In Ostdeutschland fiel dieser Lohnunterschied mit 21,5 Prozent etwas geringer aus, im Westen betrug er 33,5 Prozent.

Im weiter oben genannten Beispiel Ingolstadt sind nicht nur Frauen bei den Einkommen ganz besonders drastisch abgehängt, sondern auch ausländische Beschäftigte. So verdienten deutsche Beschäftigte dort im Schnitt sogar 91 Prozent mehr als Menschen mit Migrationshintergrund.

Berufseinsteiger: Schlecht bezahlt und abgehängt

Ingolstadt ist ebenso ein Paradebeispiel dafür, wie junge Berufseinsteiger materiell abgehängt werden. Ältere Beschäftigte erhielten dort zuletzt im Mittel 75 Prozent mehr Bruttolohn als unter 25-Jährige. Letztere mussten sich in der Bayernstadt bei gleicher Arbeitszeit im Schnitt mit 2.800 Euro zufriedengeben.

Im bundesweiten Vergleich lagen unter 25-Jährige mit einem mittleren Monatseinkommen von 2.408 Euro für eine 40-Stunden-Woche um gut 37 Prozent unter dem Gesamtdurchschnitt aller Einkommen. In Westdeutschland klaffte sogar eine Lücke von rund 40 Prozent, im Osten von knapp einem Drittel.

Privilegien nach Status, Alter, Herkunft und Geschlecht

Auf dem Spitzenplatz bei den Löhnen landeten damit ältere, einheimische Männer in Westdeutschland. In Hamburg verdienten sie im Mittel rund 4.010 Euro monatlich, in Baden-Württemberg 3.953 Euro, in Bayern 3.664 Euro.

Die geringsten durchschnittlichen Bruttolöhne erzielten Ausländer in Thüringen mit 1.878 Euro, gefolgt von unter 25-Jährigen in Mecklenburg-Vorpommern mit 1.959 Euro. Frauen erzielten ebenfalls in Thüringen die geringsten Einkünfte. Im Schnitt zahlten die Unternehmen ihnen 2.449 Euro brutto für eine Vollzeitarbeit.

Frauen, Migranten und Ostdeutsche besonders von Altersarmut bedroht

In der Berechnung der Renten spiegeln sich diese gravierenden regionalen Unterschiede beim Einkommen nicht wider. Hier gelten einheitliche Bemessungsgrundlagen für die Rentenpunkte. In Ostdeutschland muss ein Beschäftigter für einen ganzen Punkt von aktuell 31,89 Euro genau 35.887 Euro brutto pro Jahr erzielen. Das sind 2.991 Euro im Monat, fast 300 Euro mehr als das ostdeutsche Medianeinkommen beträgt.

Im Westen beläuft sich die Bemessungsgrundlage für einen Rentenpunkt von aktuell 33,05 Euro auf 38.901 Euro. Dazu muss ein Beschäftigter derzeit monatlich 3.242 Euro brutto erzielen. In den alten Bundesländern liegt der Durchschnittsverdienst für Männer insgesamt um fast 400 Euro höher als dieser Wert, weibliche Beschäftigte verdienen dort im Mittel knapp 200 Euro weniger. Besonders für Migranten, Frauen und Ostdeutsche ist Altersarmut damit vorprogrammiert.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.