Sigmar Gabriel und die Flüchtlingspolitik: Steht die SPD vor einer Wende?
Sigmar Gabriel, früherer SPD-Vorsitzender und Außenminister, hat in einem Beitrag im Tagesspiegel die österreichischen Sozialdemokraten für ihre Strategie im Umgang mit der FPÖ gelobt. Gabriel ist seit Mitte 2018 nebenberuflich als Autor für die Holtzbrinck-Gruppe tätig, zu der die Zeitung gehört.
Der frühere SPD-Chef erwartet, dass sich die SPÖ im kommenden Wahlkampf einerseits etwas weiter links positionieren wird, etwa mit Forderungen nach einer höheren Vermögenssteuer und mehr sozialer Gerechtigkeit. Andererseits erwartet er eine realistische Positionierung der Partei in der Flüchtlingspolitik und nennt als Vorbild den burgenländischen Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil:
Heute gehört er zu dem Teil der österreichischen Politik, die offensiv für eine Begrenzung der Zuwanderung eintritt. Nicht aus Fremdenfeindlichkeit, sondern weil er weiß, dass eine gute und nachhaltige Integration ihre Grenzen hat, wenn die Zahl der Zuwanderer sehr hoch ist. Er wird im Burgenland vermutlich neben den sozialen und wirtschaftlichen Themen stark für Sicherheit und Ordnung eintreten.
Auch die Koalition Doskozils mit der FPÖ verteidigt Gabriel. Er macht deutlich, dass er die Kombination der Themen soziale und innere Sicherheit für die richtige Strategie hält, um an die FPÖ verlorene Wähler zurückzugewinnen. Auch Gabriels Lob für die dänischen Sozialdemokraten ist in diesem Zusammenhang eindeutig:
Dänemarks Sozialdemokraten zum Beispiel haben sich – zum skeptischen Erstaunen ihrer Nachbarn – für eine Doppelstrategie entschieden: innenpolitisch und in Migrations- und Flüchtlingsfragen sehr restriktiv – man könnte auch sagen: rechts – und in sozialen und wirtschaftlichen Fragen links. Denn beides bewegt ihre früheren traditionellen Wählerinnen und Wähler gleichermaßen. Alle Umfragen sehen die dänischen Sozialdemokraten für die nationalen Wahlen im Juni vor einem Wahlsieg.
Diese Äußerungen Gabriels stehen für sich, gewinnen aber durch die Wahlen zum EU-Parlament am kommenden Sonntag sowie die zur Bremer Bürgerschaft eine zusätzliche Dimension. Bereits am vergangenen Wochenende berichtete die Welt am Sonntag, dass Abgeordnete und Funktionäre auch Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles im Falle einer (zu erwartenden) Wahlniederlage zum Rückzug vom Fraktionsvorsitz drängen wollen.
Spätestens weitere Wahlschlappen bei den bevorstehenden Landtagswahlen könnten sogar die Neubesetzung der Parteispitze zur Folge haben. Über Gabriel ist bekannt, dass er sich selbst besser als Nahles geeignet hält, die Partei zu führen. Auch wenn sich seine Beliebtheit in der SPD in Grenzen hält, verfügt er an der Basis und insbesondere in den erwähnten Landesgruppen über Rückhalt.
Gabriel vermeidet es zwar, sich für einen Posten an der SPD-Spitze ins Spiel zu bringen, und er verliert auch kein schlechtes Wort über die Parteiführung. Indirekt lässt sich der Artikel allerdings durchaus als Bewerbung und Kritik an der Ausrichtung seiner Partei verstehen.
Mit der von Gabriel angemahnten inhaltlichen Wende in der Flüchtlings- und Migrationspolitik könnte die SPD versuchen, verlorene Wähler – vor allem unter den Geringverdienern – anzusprechen und sich zugleich stärker von Grünen und Linken abzusetzen. Dass die Partei eine derartige Wende den Wählern glaubwürdig vermitteln könnte, ist angesichts der bisherigen Haltung der SPD in diesen Punkten aber mindestens fraglich.
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