Deutschland

Breitscheidplatz-Anschlag: Abschied von der Einzeltäterthese

Anis Amri war kein Einzeltäter. Zu diesem Schluss ist jetzt Der Spiegel gekommen. Doch was das Magazin als Neuigkeit präsentiert, war längst bekannt. Und die Ausführungen des Artikels über die Rolle der Behörden bei dem Anschlag sind bestenfalls irreführend.
Breitscheidplatz-Anschlag: Abschied von der EinzeltätertheseQuelle: AFP © BKA

Der Spiegel hat in seiner Ausgabe vom 19. April einen Artikel über den Anschlag vom Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 veröffentlicht. Der Tenor des Artikels: Anis Amri, der mutmaßliche Attentäter, war kein "einsamer Wolf", die Behörden hätten dies aber nur "in Bruchstücken" erkennen können.

Der Artikel kommt Spiegel-typisch als Enthüllung daher. Er stützt sich auf Protokolle von im Gefängnis abgehörten Gesprächen des französischen Islamisten Clément Baur. Offenbar gelangte dieses Material von deutschen Behörden an das Magazin. Nach Auffassung des Spiegel hätten erst diese Protokolle "wichtige Erkenntnislücken" bei eben diesen deutschen Behörden geschlossen.

Das Magazin beschreibt ausführlich die Kontakte zwischen Amri und dem französischen Islamisten. Seiner Darstellung nach fügte sich "erst jetzt", also durch das Bekanntwerden dieser Kontakte, alles zu einem größeren Bild zusammen:

Anis Amri war kein "einsamer Wolf", kein isolierter Einzeltäter, sondern Teil eines Terrornetzwerks, das die Behörden nur in Bruchstücken erkannten.

Zu dieser Darstellung ist zweierlei anzumerken. Zum einen ist schon länger bekannt, dass Amri – entgegen der bis heute von Regierung und Behörden aufrechterhaltenen offiziellen Darstellung – kein "radikalisierter Einzeltäter" war, sondern Teil eines internationalen IS-Netzwerks. Der Autor Stefan Schubert beschrieb Amris Verbindungen in seinem Buch "Anis Amri und die Bundesregierung" detailliert und schlüssig.

Auch die "französische Spur" und Amris Verbindungen zu Baur werden bereits von Schubert beschrieben. Andere Verbindungen Amris zu Islamisten im In- und Ausland waren ebenfalls schon länger bekannt, ebenso die Präsenz weiterer Islamisten am Tatort Breitscheidplatz.

Zum anderen ist auffällig, wie sehr der Spiegel versucht, die deutschen Behörden zu entlasten. Mehrmals wird betont, dass diese Amris Einbindung in ein Netzwerk überhaupt "nur in Bruchstücken" erkennen konnten. Es wird von Fehleinschätzungen gesprochen, die Polizeikontrolle am Berliner Zentralen Omnibusbahnhof im Februar 2016, bei der Amri das Telefon abgenommen wurde, um dessen SIM-Karte zu spiegeln, wird absurderweise als "spontan" charakterisiert.

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Dass Amris Kommunikation spätestens ab diesem Zeitpunkt lückenlos überwacht wurde, oder zumindest werden konnte, und er – wie Schubert ebenfalls zeigt – seinen Anschlag in Berlin gewissermaßen unter Aufsicht deutscher und ausländischer Dienste verüben durfte, wird mit keinem Wort erwähnt.

Gegenüber RT Deutsch charakterisiert Schubert den Spiegel-Artikel so:

Der Spiegel-Artikel ist für mich symptomatisch für den Niedergang des einstigen Nachrichtenmagazins. Über zwei Jahre hat der Spiegel im Fall Amri größtenteils die offizielle Linie der Bundesregierung eins zu eins weiterverbreitet. Und wie nun Stück für Stück auch in den Mainstream-Medien berichtet wird, sind die Aussagen der Bundesregierung im Amri-Komplex voll mit Vertuschungen, Widersprüchen und Lügen.

Aus Sicht der deutschen Behörden lässt sich der Artikel, an dem sie indirekt mitgewirkt haben dürften, als Teilrückzug beschreiben. Die Einzeltäterthese wird nun abgeräumt, einfach weil sie nicht mehr zu halten und vollkommen unplausibel geworden war. Festgehalten wird an der "Unschuld" der Behörden. Durch Begriffe wie "Fehleinschätzung" und "bruchstückhafte Erkenntnisse" wird von deren tatsächlicher Rolle weiterhin abgelenkt. Anders gesagt: Der deutsche Staat darf nicht als Mittäter des Mörders in Erscheinung treten.

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