Pyrrhussieg? Maidan-Aktivisten verhindern in Dresden Buchvorstellung über Odessa-Pogrom

Deutschland hat "neue Wutbürger" – Ukrainer, die darüber wachen, dass hierzulande ihre politischen Gegner nicht mehr zu Wort kommen. Ihr "Totschlagargument", um auf öffentliche Einrichtungen Druck auszuüben - der Vorwurf, "im Dienste des Kremls" tätig zu sein.

von Wladislaw Sankin

Wussten sie es nicht? Es gibt einen Gegenpol zu PEGIDA, und der heißt PEGEPUDA – Positive Europäer gegen die Putinisierung des Alls. So nennt sich doch tatsächlich eine Facebook-Gruppe mit etwa 1.900 Mitgliedern, die sich seit Anbeginn der Ukraine-Krise im Jahr 2014 gebildet, oder besser: formiert hat. Als Banner dient eine zweifelsfrei russophobe Karikatur aus Italien im Jahre 1870: mit einem blutrünstigen, übergroßen, zähnefletschenden Soldaten, der natürlich Russland verkörpern soll. Die Gruppe versteht das jedoch keineswegs satirisch – es werden im 30-Minuten-Takt durchaus auch ganz aktuell ernstgemeinte politische Artikel verbreitet. Die Mission: Entlarvung der finsteren Machenschaften des Kremls, oft im Kontext der Ukraine-Krise, und nebenbei Kritik an deren deutschen Russland-Freunden. Auch Trump und Euro-Skeptiker aller Couleur kommen in der Gruppe nicht gut weg.

Die Kommentare unter den Artikeln sind spärlich – wie man in dieser Echokammer zu reagieren hat, ist längst allen klar – warum noch schreiben, wenn man weiß, wer wozu wie zu stehen hat? Die Gruppe ist nur eine von Tausenden Blähungen, die moderne "soziale Netze" im Zeitalter der Trolle so pluralistisch machen – Blasen, die sich inzwischen dank selbstverstärkender Ban-Funktion untereinander kaum mehr überschneiden. 

Etwas Leben hauchte dieser Ödnis eine Nutzerin Namens Olga Samoilenko am 25. Oktober ein. Sie hatte eine Bekanntmachung für eine Buchvorstellung im Dresdner Piano-Salon gepostet. Mit ihrem empörten Eintrag – am 16. November solle in dessen Räumlichkeiten eine Buchvorstellung "Ukraine: Vier Jahre nach Odessa" eines der Co-Autoren und ukrainischen Politemigranten Oleg Musyka stattfinden! Der sei "sicherlich im Auftrag des Kremls unterwegs", schrieb Samoilenko.

Oleg Musyka war tatsächlich noch im Jahre 2014 ein Lokalpolitiker und Aktivist, und er ist als Beteiligter Augenzeuge jener tragischen Ereignisse in Odessa am 2. Mai 2014. An diesem Tag befand (auch) er sich im brennenden Gewerkschafts-Haus und entging selbst nur knapp dem Tod, der viele andere ereilte. Auch sein Bruder war dort, er wurde bei den Angriffen der Maidan-Anhänger schwer verletzt, heute ist er Invalide. Musyka war kurzzeitig verhaftet, wenige Tagen nach dem Pogrom floh er dann aus Odessa. Er steht heute auf der Fahndungsliste des "Sicherheitsdienstes der Ukraine" (SBU) und konnte in Deutschland politisches Asyl bekommen, wie RT Deutsch berichtete.

Schnell bildete sich eine Aktivisten-Gruppe. Zunächst verhöhnten die Nutzer Oleg Musyka als "Trottel", "Terrorhelfer", "Kreml-Helfer" und "Nazi". Dann reifte bald die Idee, die Veranstaltung doch lieber ganz zu verhindern. Einige Nutzer tauschten ihre "Erfahrungen" aus – und die ersten begannen, sich beim Piano Salon telefonisch zu beschweren. Das brachte allerdings nicht viel – die Veranstaltung fände planmäßig statt, meldeten sie enttäuscht zurück. Also einigte man sich zügig auf "weitere Maßnahmen":

Liebe Freunde, der Pianosalon freut sich sicherlich über eure Bewertungen", schrieb Olga Samoilenko am nächsten Tag und postete die Facebook-Seite des Dresdner Piano Salons.

Anderen Mitglieder der Gruppe schlugen Gegendemos am Veranstaltungsort vor. Der versierte Ukraine-Reisende, Mitglied der Jungen Union, Raul Wolfgang Bruning bedauerte:

Das wird stattfinden, ohne Proteste, wetten...In Kyiv oder L'viv hätte man dem längst gezeigt, wo der Hammer hängt.

Der einzige Nutzer, der diesen Post mit "Gefällt mir" markierte, war Sergei Alexandrowitsch Kowalenko. Zu diesem Zeitpunkt, am 26. Oktober um 17:30 Uhr, hatte er bereits eine ausführliche Mail an den Dresdner Piano Salon gesandt, sie liegt uns vor. Der promovierte Mathematiker aus Kiew, derzeitig in Bochum forschend, begründete dort in makellosem Deutsch seinen "Unmut" über die Einladung an Oleg Musyka, denn sein Vergehen sei: Unterstützung der russischen Narrative über die Ereignisse in der Ukraine. Denen hat Kowalenko sein Narrativ, aus seiner Sicht die einzig wahre Erklärung der Ereignisse gegenübergestellt. Allerdings unterscheiden die sich kaum von den gängigen Stereotypen der westlichen Propaganda – Janukowitsch floh aus dem Land, ohne dafür einen Grund zu haben, "gewisse radikale Gruppen" hätten keinerlei Einfluss auf die ukrainische Politik, Russland habe die Krim okkupiert usw. usf. Es läge außerdem nahe – laut Kowalenko – dass die Finanzierung der zahlreichen Reisen von Musyka durch Moskau erfolge. Mit seiner Mail bat Kowalenko den Dresdner Piano Salon ausdrücklich darum, seine Entscheidung "zu überdenken".

Das Eindecken des Salons mit derlei Mails, Anrufen und Postings dauerte noch zwei Wochen an, ehe der Veranstalter deshalb dem Verein Friedensinitiative Dresden seine Bedenken bezüglich der fehlenden Sicherheit mitteilte. Das berichtet mir Ruslan J., einer der Hauptorganisatoren der Veranstaltung. Er erkundigte sich, dass man bei der Polizei Hilfe beantragen dürfte. Doch das musste er nun nicht mehr. Der Dresdner Piano Salon sagte den Termin, solcherart "gebeten", kurzerhand ab – nur wenige Tage vor dem Auftritt und in "höflicher Form", wie Oleg Musyka später in Facebook postete.

Zu den Gründen seiner Absage erteilte Salon allerdings keine Auskunft und verwies auch uns beim Telefonat an den Veranstalter – denn "wir vermieten die Räume nur". Ruslan J. kennt die Gründe und nennt sie beim Namen: Der Besitzer des Salons, der Klavierbauer Bert Kirsten habe sie ihm mitgeteilt – er habe Bedenken wegen der Sicherheit seiner Mitarbeiter und der Gäste – immerhin hatte er mit rund hundert Besuchern gerechnet. Aber auch die Sorge um seinen "Ruf" könnte wohl eine Rolle gespielt haben, vermutet Ruslan. Schließlich bewirbt sich Dresden darum, im Jahr 2025 Europas Kulturhauptstadt zu werden. Für einen unpolitischen Bürger sei es daher ein schlimmer Vorwurf, als Putins Agent gebrandmarkt zu werden, meint Oleg Musyka.

Der Dresdner Piano Salon befindet sich im Gebäude des Coselpalais, im kulturträchtigen Ort im Herzen Dresdens, und ein Hauptgeschäft ist der Verkauf hochwertiger Klavierinstrumente. Konzerte und Lesungen finden dort nach den Öffnungszeiten für den Verkauf statt. Der Inhaber des Salons, Bert Kirsten, ist jedoch nicht völlig unpolitisch, wie Oleg Musyka aus Odessa in seinem Facebook-Eintrag vermutet. Was er möglicherweise nicht weiß: Kirsten bietet seine Räume durchaus auch solchen Autoren wie Daniele Ganser oder Andreas von Bülow an, damit "die Menschen ihre Meinung aus der ersten Hand bekommen können", wie er auch im Gespräch mit dem Leipziger Youtube-Kanal Nuoviso erklärte.

Und was wiederum die PEGEPUDA-Aktivisten womöglich auch nicht wussten: Auch Oleg Musyka war schon früher einmal im Piano Salon zu Gast – am 7. Oktober im Rahmen der Veranstaltung "Musiker sagen Danke dem Verein Kriegsopfer Hilfe e.V." – vor ca. 90 Gästen. Die Treffen sind so konzipiert, dass die Musik stets im Vordergrund steht. Musykas Auftritt am 16. November beispielsweise sollte zwischen beliebten Stücken von Tschaikowski und Rachmaninow stattfinden. Entgegen den Behauptungen seiner Gegner, hat der Salon von den Veranstaltern dafür nicht einmal Miete verlangt.

Ich sprach und schaute in den Saal, wo die Leute saßen. Sie leben in einem friedlichen Land, und ich sah in ihren Augen Grauen vor den Ereignissen in der Ukraine. Sie können es schwer verstehen, wie sich so etwas ereignen kann, unweit von ihrem Zuhause. Sie können es schwer verstehen, warum ihre Politiker die Regierung der jetzigen Ukraine unterstützen. Wie ein Staat, der die Tragödie des Faschismus über sich ergehen ließ, den aufkeimenden Faschismus in der Ukraine nicht sieht", erinnerte sich Musyka an die Veranstaltung.

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Bert Kirsten hatte also keinen Bedarf an "Aufklärung" über die Person Oleg Musyka, er wusste über dessen Ansichten aus eigenem Mund Bescheid. Dennoch habe offenbar niemand von den Dresdener Gastgebern damit gerechnet, dass die spontane ukrainische "Aufklärungsaktion" so aggressiv werden würde. Wir hätten es mit einer reinen Denunziationskampagne zu tun, der Salon wurde erheblichem Druck ausgesetzt, sagt Ruslan J.. Sein Verein hatte 3.500 Flyer für den Abend am 16. November ausgedruckt und in der Stadt verteilt. Trotz Bekanntgabe der Absage in diversen sozialen Medien sind doch noch etwa 30 Besucher an diesem Abend erschienen. Musyka und seine Unterstützer stellten behelfsmäßig vor den Türen des Salons eine Fotowand mit den schrecklichen Bildern von den Ereignissen und den Opfern des Pogroms am 2. Mai 2014 auf und verteilten seine Bücher, zunächst auf Russisch. Die eingetroffenen Dresdner Bürger seien über den Skandal um die Absage schockiert gewesen, berichtet Ruslan. In einer doch nicht sehr großen Stadt werde sich die Nachricht über diesen Abend schnell verbreiten, vermutet er und verspricht, bei einer größeren Veranstaltung in wenigen Monaten die deutsche Übersetzung des Buches von Oleg Musyka und seiner Co-Autoren zu präsentieren.

Liebe Gäste! Die Veranstaltung wurde aus technischen Gründen VERSCHOBEN! Wir bitten für die entstandenen Unannehmlichkeiten um Entschuldigung! Nach Buchübersetzung auf Deutsch wird der nächste Termin in Dresden unter www.friedendresden.de bekannt gegeben", stand auf den eiligst nachgedruckten Flyern. 

Diese Geschichte mit der Absage zeigt, dass jenes Drama, das sich in der Ukraine seit über vier Jahren abspielt, schon seit langem seinen Schatten auch über Deutschland geworfen hat. Die Ereignisse in Odessa waren keine "Tragödie" – wie etwa ein unglücklicher Unfall oder eine Naturkatastrophe. Parolen der ukrainischen Ultranationalisten "Ukraine über alles, Tod den Feinden", mit denen sie in die Kämpfe gegen die "Separatisten" am 2. Mai zogen, und die nachfolgende, bis ins ukrainische Politestablishment reichenden "Interpretationen" der Ereignisse, nämlich als "Tag der Säuberung der Stadt Odessa von Okkupanten" und als "ukrainischer Sieg", sprechen dafür, dass in Odessa nichts anderes als ein klassischer Pogrom veranstaltet wurde.

"Der Odessaer Anti-Maidan, eine demokratisch legitime Unmutsbekundung wie jener Maidan in Kiew, wurde vorsätzlich und brutal liquidiert" schrieb Publizist Frank Schumann, einer der Mitautoren des Buches "Die Ukraine. Vier Jahre nach Odessa" an den Dresdner Piano Salon, nachdem Sergej Kowalenko dort seine "Beschwerde" eingereicht hatte.

Unterdessen feiern Sergej Kowalenko und seine Mitstreiter ihren "Sieg". Olga Samoilenko postete am 17. November in die Gruppe der "positiven Europäer":

Ich möchte allen danken, die den Piano Salon Dresden so tapfer und unermüdlich aufgeklärt haben.

"Gut gemacht! Sein Buch auf Deutsch soll auch unterbunden werden", antwortete die Nutzerin Halyna Leontiy.

"Das wäre eine mögliche nächste Aufgabe", rundete die Diskussion Sergej Kowalenko ab und setzte sein Smiley.

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