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"Der nukleare Geist ist aus der Flasche" - RT Deutsch beim 3. Berliner Sicherheitsdialog

Der dritte Berliner Sicherheitsdialog widmete sich dem Thema "Die Zukunft von Nuklearwaffen in einer Welt in UNOrdnung". Weitgehend ohne Pauschalverurteilungen und Gemeinplätze wurden Risiken und Entwicklungen nuklearer Bewaffnung erörtert und abgewogen.
"Der nukleare Geist ist aus der Flasche" - RT Deutsch beim 3. Berliner SicherheitsdialogQuelle: RT

Im Saal des Presse- und Informationszentrums der Bundesregierung sah man vor allem Herren älteren Semesters, kaum Frauen, mit Ausnahme der Präsidentin der Gesellschaft für Sicherheitpolitik, Ulrike Merten, die die Tagung mit Grußworten eröffnete.

Die Einführung von Generalleutnant a.D. Kersten Lahl kommt zum Punkt: Die Frage nach der Zukunft der Nuklearwaffen ist die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Eine wie vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama geforderte "Global Zero", also die weltweite Abschaffung von Atomwaffen, sei durch die eigene Nuklearstrategie konterkariert worden.

Die Keynote von Niels Annen, dem ehemaligen JuSo-Vorsitzenden und Staatsekretär im Außenministerium, ist in ihrer Russland-Kritik vorhersehbar: Die Krim wurde völkerrechtswidrig annektiert, das Budapester Memorandum über die Souveränität der Ukraine aufs Gröbste missachtet und das Vertrauen in den Wert von Vereinbarungen schwer beschädigt. Auf der anderen Seite muss man sich auch ein bisschen kritisch zum Ausstieg der USA aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran zeigen. Soweit erstmal Worte, die man aus dem Außenministerium unter Maas erwarten kann. Spätere Beiträge relativierten die Aussagen des Staatssekretärs. Mein Sitznachbar, ein Oberst a.D., war bereits nach kurzer Zeit eingenickt.

Dann aber doch ein Hoffnungsschimmer: Auch Russland habe legitime Sicherheitsinteressen, die beachtet werden müssten, so Annen. Bereits heute gebe es wieder mehr Dialog mit Moskau als noch vor wenigen Jahren. Und das sei ein Erfolg.

"Der nukleare Geist ist aus der Flasche"

Das erste Panel tat dann ausgesprochen gut, nachdem sich Annens Keynote im diplomatischen Bandwurmsätzen verloren hatte. Der straffen Moderation von Professor Johannes Varwick ist es zu verdanken, dass keine Plauderstimmung aufkam. Mit knackigen Worten teilte Karl-Heinz Kamp, Direktor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, ein paar Wahrheiten aus, um das Spielfeld abzustecken: Der Großteil der Nuklearstaaten wolle und werde nicht abrüsten. Die Verbreitung von Atomwaffentechnologie wird wahrscheinlicher und die USA seien momentan keine Hilfe in der Eindämmung. "Global Zero", Obamas verkündete Vision vom weltweiten Abbau der Atomarsenale, sei absolut unrealistisch.

Professor Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik in Kiel ordnete die aktuellen Nuklearstaaten ein: USA und Russland seien aus dem Kalten Krieg immer noch in direkter Konkurrenz, während Frankreich, Großbritannien, Israel und bisher noch China ihre Arsenale eher zu einer reaktiven Strategie nutzten. Indien und Pakistan seien aufgrund der Geografie und Geschichte direkte Konkurrenten. Nordkorea sei dagegen ein "nuclear skunk", ein nukleares Stinktier, das seine Atommacht zur Stützung eines totalitären Regimes nutze.

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Als Problem sah Krause zunehmend den Aufstieg Chinas als dritte Atommacht neben den USA und Russland. Hatte sich das nukleare Gleichgewicht zwischen den beiden Supermächten weitgehend eingependelt, so werde eine Dreierkonstellation das Gefüge völlig durcheinanderbringen.

Dr. Oliver Meyer von der Stiftung Wissenschaft und Politik sah dagegen keinen Grund zu Alarmismus. Die kostspielige Erneuerung des US-amerikanischen Atomprogramms zeige, dass die USA sich aus ihrer Verantwortung als ordnende Kraft nicht zurückziehen.

Eine Auflösung des US-amerikanischen Atomschirms hätte für Deutschland bei weitem nicht so schlimme Konsequenzen wie für Südkorea oder Japan, die dann auch über ein eigenes Programm nachdenken müssten. Ein Atomprogramm im Iran würde zwangsläufig die Türkei und Saudi-Arabien zu eigenen Initiativen treiben.

Kamp erklärte in einer neuen Runde, eine nuklearfreie Welt sei nicht unbedingt sicherer, da sei ihm eine Welt der Abschreckung mit allen darin enthaltenen Dilemmata lieber. Gegenstimmen gab es zu dieser Einsicht keine. Denn, so seine Begründung, "der nukleare Geist ist aus der Flasche", und eine nuklearwaffenfreie Welt hätte in kürzester Zeit ein neues Wettrüsten.

Da Fazit des ersten Panels lautete: Deutschland müsse realisitischer werden.

Zwischen Idealismus und Militarismus - die Rolle Deutschlands

Während sich das erste Panel der globalen Perspektive widmete, sprach man im zweiten Panel über die Bedeutung der globalen Krise für Europa und die nukleare Teilhabe Deutschlands. Moderator Rolf Clement konnte die wortreichen Beiträge kaum unter Kontrolle bringen.

Allen voran wiederholte der emeritierte Professor Christian Hacke aus Bonn seine These von der deutschen Atombombe. Ihm gehe es weder um eine Dämonisierung noch um eine Idealisierung der Waffe. Aber die Umstände hätten sich geändert. Deutschland sei jetzt der Lieblingsfeind der USA und die Wahl Trumps ein Symbol und kein Ausrutscher. Hacke erwartet, dass die USA sich in einen Neo-Isolationismus zurückziehen. Einer europäischen Lösung erteilte er ebenfalls eine Absage:

Eher vertraue ich den Wasserpistolen meiner vier Nichten als einer europäischen, autonomen Sicherheitsstrategie."

Michael Rühle, ehemaliges Mitglied des Internationalen Stabs im NATO Hauptquartier, sah die Ausführungen Hackes sehr skeptisch. Die US-Grundausrichtung bleibe nach wie vor bestehen, denn der Nuklearschirm der US-Amerikaner sei im Gegenzug zur nuklearen Abstinenz der NATO-Mitglieder aufgebaut worden. Ein deutscher Alleingang würde nicht nur Russland zu einer Reaktion zwingen, sondern auch Großbritannien und Frankreich verstimmen. Ein komplettes Kernwaffenverbot, wie es ICANN vorsieht, sei zu idealistisch, eine deutsche Nuklearwaffe aber zu militaristisch.

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Roderich Kiesewetter, Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, brachte die Debatte auf konkrete Punkte. Er verstand auch den Unmut Russlands angesichts der Stationierung des US-amerikanischen MK-41-Anlagen in Rumänien und Polen. Er plädierte für gegenseitiges Besuchsrecht und Inspektionen der jeweils gegnerischen Raketenbasen, um Spannungen abzubauen und Vertrauen herzustellen.

Der ehemalige Generalinspekteur des Heeres, Harald Kujat, ging sogar so weit, ein gemeinsames Führungs- und Informationszentrum zwischen der NATO und Russland vorzuschlagen. Daneben verurteilte er auch den "völkerrechtswidrigen" Angriff der USA auf Syrien.

Hinsichtlich der Ukraine-Krise äußerte Hacke noch Kritik an Angela Merkel. Diese habe bei den Minsk-Verhandlungen unklug agiert. Sie hätte auf einen Neutralitätsstatus der Ukraine sowohl nach Ost als auch nach West bestehen können. Bemerkungen, die im Publikum mit zustimmendem Nicken quittiert wurden.

Das Panel endet und Ulrike Merten verabschiedet die Teilnehmer und Zuschauer. Man geht mit dem Eindruck, dass hier wenig laut, faktenreich und seriös diskutiert wurde. Eine wohltuende Abwechslung und ein Zeichen der Hoffnung, dass, wenn auch die Abrüstung noch in weiter Ferne liegt, die Experten Vernunft und Augenmaß zeigen.

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