Deutschland

Der Verfassungsschutzpräsident und dessen "Korrekturbriefe" an Journalisten

Der Pulverdampf um die Absetzung oder Versetzung von Hans-Georg Maaßen lichtet sich. In dem wochenlangen Hickhack um die Zukunft des Spitzenbeamten wäre ein pikantes Detail seiner Amtszeit fast untergegangen – sein eigenwilliges Verhältnis zu den Medien.
Der Verfassungsschutzpräsident und dessen "Korrekturbriefe" an JournalistenQuelle: Reuters © Fabrizio Bensch

Der noch amtierende Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen wird ins Innenministerium versetzt, wo für ihn eine Stelle als "Sonderberater für europäische und internationale Fragen" geschaffen wird. Seine Zukunft scheint also geklärt. Zeit, sich einer interessanten Begebenheit aus seiner Vergangenheit zu widmen. Denn in dem unwürdigen Gezerre um den Spitzenbeamten wäre ein pikantes Detail aus seiner Amtszeit als Chef des Verfassungsschutzes fast untergegangen: Die sogenannten "Korrekturbitten" an bestimmte Medien und Journalisten.

In einem Beitrag von Netzpolitik.org wird das eigenwillige Verhältnis von Maaßen zur Pressefreiheit beleuchtet. Der Hintergrund: Maaßen hatte anwaltliche Schreiben an mehrere Redaktionen verschicken lassen. Die Geschichte an sich ist nicht neu. Schon Mitte September dieses Jahres gab es Medienberichte darüber, dass der Verfassungsschutz die einzige Sicherheitsbehörde auf Bundesebene sei, die mit Anwaltsbriefen in die Medien-Berichterstattung eingreife. Ans Licht kam dieser Umstand über eine parlamentarische Anfrage des FDP-Abgeordneten Benjamin Strasser.

Doch nun liegen weitere Details vor. Die Antwort eines Staatssekretärs des Innenministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Konstantin von Notz legt Anzahl und Gründe für die Einmischung des Inlandsgeheimdienstes bei Zeitungsredaktionen und zum Teil auch direkt bei Journalisten offen. Netzpolitik.org veröffentlichte die Antwort des Staatssekretärs. Die Nachrichten-Webseite zu digitalen Freiheitsrechten stellt zudem die berechtigte Frage, wie die betroffenen Journalisten die Behauptungen des Verfassungsschutzes über unwahre Tatsachenbehauptungen überhaupt verifizieren könnten.

Von Notz wollte in seiner Anfrage wissen, was denn die Gründe gewesen seien, wenn "Nachrichtendienste des Bundes seit dem Jahr 2000" per anwaltlichem Schreiben um eine "Nicht- oder Anders-Berichterstattung" gebeten haben. Die Antwort des Innenministeriums überrascht: Es soll weder vom Bundesnachrichtendienst noch vom Militärischen Abschirmdienst solche Schreiben gegeben haben. Zudem habe auch das Bundeskriminalamt seit Oktober 2011 keine derartigen Schreiben an Redaktionen verschickt. Mit anderen Worten: Einzig der – und allein der – Verfassungsschutz machte sich diese Praxis zu eigen. Aber offenbar auch erst, seitdem Maaßen das Zepter führt.

Der Verfassungsschutz soll von 2005 bis 2015 keine solche Schreiben verschickt haben. Dann kam es zu einem Kurswechsel. Hans-Georg Maaßen übernahm im August 2012 die Leitung des Verfassungsschutzes. In 2016 wurde das erste anwaltliche Schreiben an den Norddeutschen Rundfunk (NDR) verschickt. In dem Schreiben wird eine angeblich unwahre Tatsachenbehauptung eines Beitrags in der Tagesschau vom 16. Oktober 2016 bemängelt.

In dem Beitrag geht es um den Suizid des mutmaßlichen terrorverdächtigen Syrers Dschaber Al-Bakr. Bakr hatte sich am 12. Oktober 2016 unter dubiosen Umständen in seiner Haftzelle in Leipzig erhängt. Aus der Antwort des Innenministeriums geht nicht hervor, was genau der Verfassungsschutz an der Berichterstattung der Tagesschau zu diesem Fall auszusetzen hatte. Interessant ist allerdings, dass der Beitrag "aus rechtlichen Gründen" auf der ARD-Seite nicht mehr angesehen werden kann.  

In 2017 wurden vier weitere anwaltliche Schreiben verschickt. In zwei Fällen ging es um die sogenannte "Landesverratsaffäre". Im Frühjahr 2015 hatte Netzpolitik.org zweimal Ausschnitte aus einem als "VS-vertraulich" eingestuften Bericht des deutschen Verfassungsschutzes berichtet. Darin ging es um den Aufbau einer neuen Einheit zur Überwachung des Internets, die Verbindungen und Profile von Radikalen und Extremisten in sozialen Netzwerken wie Facebook analysieren und überwachen soll. Maaßen erstattete deswegen Strafanzeige. Im Mai 2015 eröffnete der Generalbundesanwalt Harald Range im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf des Landesverrates ein Ermittlungsverfahren gegen den Journalisten und Autor der beiden Artikel Andre Meister, den Blogbetreiber Markus Beckedahl sowie gegen Unbekannte.

Am 10. August 2015 wurde das Ermittlungsverfahren gegen Netzpolitik.org wegen Verdachts auf Weitergabe von Staatsgeheimnissen vom Generalbundesanwalt eingestellt. Es soll jetzt nur noch von einer Staatsanwaltschaft mit niedrigerer Zuständigkeit Anzeige gegen unbekannte Beamte wegen Weitergabe von Dienstgeheimnissen erhoben werden. Doch nach Ansicht der ursprünglich Beschuldigten ist die Angelegenheit damit noch nicht abgeschlossen, da es unter anderem auch um ihre Ausforschung gehe. Selbst nach Einstellung des Verfahrens wird den ehemals Beschuldigten die Akteneinsicht verwehrt, was laut Netzpolitig.org gegen Paragraf 147 Abs. 1 StPO verstoße.

In dem "Korrekturbrief" Maaßens von 2017 ging es um einen Gastbeitrag des Buchautors Holger Schmidt. Zu diesem Gastbeitrag mahnte Maaßen durch ein anwaltliches Schreiben Korrekturen an. In dem Beitrag ging es um die "Landesverrat-Affäre". Die zweite betroffene Redaktion war der Tagesspiegel: Ein Artikel von Ende Dezember 2016 zu der "Landesverrats-Affäre" fiel beim Verfassungsschutz in Ungnade und löste ebenfalls ein juristisches Schreiben aus.

Die zwei weiteren Schreiben aus dem Jahr 2017 betrafen den Fall Anis Amri. Ein Brief ging an den Bayerischen Rundfunk (BR), der einen Beitrag für einen ARD-Brennpunkt am Tag vor Heiligabend gesendet hatte. In dem Beitrag wurde über die Flucht von Amri nach Mailand und dessen Tod durch Polizeischusswaffen berichtet. Offenbar passte dem Verfassungsschutz die Berichterstattung des BR nicht. Genauso wenig wie die Berichterstattung zum selben Thema der Epoch Times Europe nur wenige Tage später.

Auch im Jahr 2018 gab es Post vom Verfassungsschutz. Bei den ersten beiden Schreiben ging es wiederum um den Fall Anis Amri. Diesmal erwischte es die Welt am Sonntag. In dem Artikel geht es um die Überwachung von Amri. Polizei und Geheimdienste sollen Amri früher und intensiver überwacht haben, als es bis zu diesem Zeitpunkt bekannt war. Der letzte Brief wurde im Sommer 2018 an die Redaktion des Focus verschickt. Das Magazin hatte über einen Bericht des Verfassungsschutzes geschrieben, der vor "immensen Gefahren" durch Linksextreme warnt.

Laut der Antwort des Innenministeriums an von Notz sei der Verfassungsschutz als "betroffene Stelle" allein verantwortlich für die "Korrekturschreiben". Das Amt habe "in eigener Verantwortung über das Versenden von anwaltlichen Korrekturbitten" entschieden, es sei "keine ministerielle Zustimmung zum jeweiligen Einzelfall" erforderlich.

Die Schreiben seien eine "unmittelbare Aufgabe des Verfassungsschutzes". Eine Formulierung, die bei Netzpolitik.org für Kopfschütteln sorgt:

[…] so als sei irgendwo festgeschrieben, dass der Inlandsgeheimdienst Journalisten schriftlich zu belehren oder zu korrigieren habe.

Wie heute bekannt wurde, hat ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes der Einschätzung widersprochen, die Behörde habe sich 2016 intensiv mit dem späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri befasst. Der Beamte, der damals das zuständige Referat des Bundesamtes geleitet hatte, beharrte während der Anhörung im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Terroranschlag am Donnerstag nach Angaben von Teilnehmern zudem darauf, dass der Verfassungsschutz Parlament und Öffentlichkeit nicht über seine Rolle in dem Fall getäuscht habe.

Eine Sachbearbeiterin seiner Abteilung hatte bei ihrer Befragung durch den Ausschuss am 13. September ausgesagt, sie habe im Januar 2016 begonnen, Informationen über den tunesischen Islamisten zu sammeln. Auf die Frage, ob Amri vom Verfassungsschutz auch mit "nachrichtendienstlichen Mitteln" beobachtet worden sei, hatte die Mitarbeiterin mit "Ja" geantwortet. Katharina Willkomm (FDP) warf dem Verfassungsschutz vor, er verstecke sich im Fall Amri "hinter eigenen Begriffsdefinitionen", um seine Rolle herunterzuspielen.

Maaßen selbst hatte im März 2017 über Amri gesagt: "Wir hatten es hier mit einem reinen Polizeifall zu tun, der in den zuständigen Bundesländern bearbeitet wurde." Fortsetzung folgt.

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