Deutschland

Podiumsdiskussion zu #aufstehen: Sahra Wagenknecht versus Kevin Kühnert

Eine Podiumsdiskussion im Berliner Kino Babylon mit Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende von Die Linke im Bundestag, Jakob Augstein, Herausgeber des Freitag, Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der JuSos und dem Historiker Paul Nolte. Unser Gastautor war dabei.
 Podiumsdiskussion zu #aufstehen: Sahra Wagenknecht versus Kevin KühnertQuelle: www.globallookpress.com

von Gert Ewen-Ungar

Am 5. September hatte das Inforadio des rbb zur Podiumsdiskussion zum Thema “Hauptsache links!” eingeladen. Der Imperativ im Titel wird durch eine fragende Ergänzung relativiert: “Braucht Deutschland eine neue linke Bewegung?” Anlass der Diskussion war der Start der linken Sammlungsbewegung #aufstehen. Obwohl #aufstehen aktuell kaum mehr als ein Gründungsaufruf und eine dauerhaft überlastete Webseite ist, schlägt das Projekt hohe Wellen. Die Medien des Mainstream stehen ihm in ihrer Mehrheit kritisch bis ablehnend gegenüber.

Einer der zentralen Vorwürfe: Der Mitinitiatorin Sahra Wagenknecht wird immer wieder eine zu große Nähe und Offenheit nach rechts vorgeworfen. Interessant war die Auswahl der Diskutanten, denn mit Augstein und Kühnert kamen Linke zu Wort, die nach eigenen Aussagen im Kern dem Projekt einer linken Sammlungsbewegung wohlwollend gegenüberstehen. Lediglich der Transatlantiker Nolte bescheinigte der Bewegung gleich zu Beginn des Abends, keine Zukunft zu haben, da er eine politische Vertretung außerhalb von Parteien für nicht denkbar hält. #aufstehen müsse letztendlich Partei werden, um tatsächlich etwas bewegen zu können, ist seine These.

Auf die Frage, was der Anlass für die Gründung einer Sammlungsbewegung war, antwortete Wagenknecht, es sei das Gefühl gewesen, in den eingefahrenen Strukturen der Politik nicht allzu viel erreichen zu können. Sie will das Hamsterrad der Politik verlassen, wie sie sagte. Im weiteren Verlauf der Diskussion merkte Wagenknecht an, mit der Gründung der Linken, die im Jahr 2007 aus der PDS und der WASG entstanden ist, sei zwar das Ziel verfolgt worden, die SPD wieder dazu zu bewegen, linke Politik zu machen. Doch allerdings sei dies nicht gelungen. Sie erhofft sich von #aufstehen als außerparlamentarische, parteienübergreifende Bewegung, dass auf Parteien, die sich als links verstehen, insbesondere auf die SPD, Druck aufgebaut wird, den es benötigt, um sie inhaltlich wieder nach links zu bringen. 

Kevin Kühnert machte deutlich, ein Problem bei #aufstehen sei aber gerade, dass die Bewegung ganz zentral mit der Person Sahra Wagenknecht verbunden ist. Für die SPD seien Wagenknecht und Lafontaine Personalien, gegenüber denen viele SPD-Funktionäre große Vorbehalte hätten. Auf diese Befindlichkeiten müsse man Rücksicht nehmen. Kühnert erntete auch den ersten unfreiwilligen Lacher des Abends, als er meinte, man müsse sich das umgedreht vorstellen. Olaf Scholz würde eine linke Sammlungsbewegung gründen. Damit hätte Die Linke sicherlich auch Schwierigkeiten. Ob Kühnert Scholz tatsächlich für einen Politiker hält, der linke Werte vertritt, wurde leider nicht weiter geklärt.

Jakob Augstein kommentierte die Position Kühnerts. Dieser sei schon als junger Mensch offenbar in den Funktionärs- und Denkstrukturen der SPD festgefahren. Er würde reden wie ein “alter Parteifunktionär”. Augstein selbst beschrieb sich als wohlwollender Zuschauer gegenüber der Bewegung. Ihm zufolge liegen die aktuellen Probleme Deutschlands in den Parteien selbst, die zu festgefahren, zu unflexibel seien, die sich abgekoppelt hätten von dem, was die Bürger bewegt. Kevin Kühnert hob hervor, der Gründungsaufruf der Bewegung sei im Grunde identisch mit den zentralen Forderungen der SPD. Es ist Augstein, der ihn schlagfertig fragte, warum die SPD dann diese Forderungen seit Jahren nicht umsetzt. Damit verdeutlichte er im Kern die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Bewegung, die den Parteien abverlangt, eigene Inhalte umzusetzen.

Insgesamt hangelte sich der Abend sehr stark an den Ereignissen in Chemnitz und am Erfolg der AfD entlang. Das ist sicherlich symptomatisch für die Diskussion in der Bundesrepublik. Die Frage der Abgrenzung nach rechts dominierte lange Zeit die Diskussion. Dabei wurde deutlich, wie wenig sich die aktuelle Politik in der Verantwortung für den Rechtsrutsch in der Republik sieht. Kühnert machte immer wieder klar, dass er für die Sorgen und Ängste der Chemnitzer sowie der Wähler der AfD kein Verständnis hat, forderte unmittelbar Ab- und Ausgrenzung. Dass gerade die SPD mit den Hartz-Gesetzen und dem Schleifen des Sozialstaats massiv zur Entstehung dieser Ängste und Befürchtungen beigetragen hat, darüber wollte Kühnert erst in einem zweiten Schritt sprechen.

Er wiederholt und verlängert damit zentrale Fehler der SPD, die sich inzwischen über zwei Dekaden nicht mehr als Interessenvertretung ihrer klassischen Klientel sieht, sondern als deren Lehr- und Zuchtmeister. Der Grund für die immer weitergehende Marginalisierung der SPD ist gerade, dass sie ihre gegen die eigene Klientel gerichtete Politik nicht ändert, sondern sich als Antwort auf ihre eigene Krise lediglich überlegt, Politik besser zu erklären. Wenn Kühnert diesen Weg stützt, wird aus der Erneuerung der SPD nichts werden.

Es kann nicht funktionieren. Wenn Vorbedingungen für die Aufnahme von Gesprächen gestellt werden, wird es die Gespräche nicht geben. So wird die Spaltung der Gesellschaft weiter vorangetrieben. Kühnert agiert hier mit seiner Hintanstellung der Verteilungsfrage in erstaunlicher Weise politisch naiv, sieht in der AfD ein Grundübel und nicht das Symptom einer Gesellschaft, die aus guten Gründen das Vertrauen zu den Parteien, die sie eigentlich repräsentieren sollten, verloren hat.

Naiv blieb auch Nolte, der sich politische Repräsentation nur innerhalb und durch Parteien vorstellen kann. Offensichtlich hat er die aktuelle Krise der Parteien überhaupt nicht verstanden. Auch für ihn sind die sozialen und die Verteilungsfragen unwichtig.

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Die unterschiedliche Haltung in den Fragen, wie stark man sich abzugrenzen habe und welchen Raum man sozialen und Verteilungsfragen geben muss, ist auch im Publikum spürbar. Die Wiederentdeckung der Bedeutung der Verteilungsfrage durch Linke ist die große Chance von #aufstehen. Dass es nicht um eine Offenheit gegenüber rechts, sondern um die Frage der Offenheit gegenüber Sorgen und Befürchtungen von Menschen geht, die sich gerade in der Verteilungsfrage von Politik im Stich gelassen sehen, machte Sahra Wagenknecht im Laufe des Abends mehrmals deutlich.

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