Deutschland

Krebsmedikamente gepanscht: Gefängnisstrafe und Berufsverbot für Apotheker aus Bottrop

Jahrelang soll er in persönlicher Gewinnabsicht Krebsmedikamente gestreckt haben. Die Richter im Prozess um den größten Medizinskandal der letzten Jahre sind von der Schuld des Angeklagten überzeugt, die Verteidigung spricht von brüchiger Indizienkette.
Krebsmedikamente gepanscht: Gefängnisstrafe und Berufsverbot für Apotheker aus BottropQuelle: www.globallookpress.com

Der Apotheker Peter S. aus Bottrop muss für 12 Jahre ins Gefängnis. Zudem erhielt der 48-Jährige ein lebenslanges Berufsverbot. So lautet das Urteil des Landgerichts Essen in einem der aufsehenerregendsten Prozesse der jüngsten Vergangenheit in Deutschland. Der Apotheker wollte sich während des gesamten Verfahrens nicht zu den Vorwürfen äußern. Seine Verteidiger hatten einen Freispruch beantragt. Das Urteil der XXI. Strafkammer am Freitag lautet auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und auf Betrug.

Nach Überzeugung des Essener Landgerichts hat der 48-Jährige jahrelang für seine Patienten lebenswichtige Medizin gestreckt, um seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. Als entscheidungserheblichen Sachverhalt stellte das Gericht fest, dass in der betroffenen Apotheke individuell zubereitete Infusionslösungen hergestellt wurden. Im Fall der vom Angeklagten abgegebenen Lösungen waren diese jedoch "in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert". Die Rede ist von mehr als 14.000 gepanschten Krebsmedikamenten. Bei den Krankenkassen wurden die mangelhaften Präparate aber voll abgerechnet. Der Schaden für die Krankenkassen beläuft sich nach Berechnungen der Richter auf rund 17 Millionen Euro. Dieser laut Urteil illegal erzielte Gewinn wird - soweit noch greifbar - vom Staat eingezogen.

Villa mit Wasserrutsche von den Gewinnen finanziert

"Wir sind überzeugt, dass mindestens 14.500 Arzneimittel zwischen 2012 und 2016 unterdosiert waren", sagte Richter Johannes Hidding. Dies sei jedenfalls das Ergebnis eines Vergleichs zwischen eingekauften und abgerechneten Wirkstoffen. Außerdem gehen die Richter von erheblichen Hygieneverstößen aus. Der Angeklagte sei nicht nur einmal dabei beobachtet worden, wie er das Labor in Straßenkleidung betreten habe. "Dabei ist Hygiene gerade für immungeschwächte Krebspatienten immens wichtig", hieß es im Urteil. Der Angeklagte habe von den Straftaten wirtschaftlich erheblich profitiert. Hidding ist sich sicher:

Er hat ganz schlicht aus Habgier gehandelt. Luxusgüter spielten für ihn eine ganz große Rolle.

Die Staatsanwaltschaft hatte dreizehneinhalb Jahre Haft gefordert. Der 48-Jährige habe sich auf Kosten von Menschen bereichert, die um ihr Leben bangten, hatte Staatsanwalt Rudolf Jakubowski in seinem Plädoyer argumentiert. "Und das zur Fortsetzung seines luxuriösen Lebensstils – zum Beispiel zum Bau einer Villa mit Wasserrutsche." Er habe aus der Herstellung von Krebsmedikamenten von minderwertiger Qualität ein ganzes Geschäftsmodell gemacht und dadurch Millionen verdient.

Enthüllung des Medizinskandals dank Whistleblowern  

Die Verteidiger des 48-Jährigen zweifeln unterdessen die Indizienkette insgesamt an und forderten einen Freispruch. Dem Apotheker könne nicht nachgewiesen werden, dass er ein Serienbetrüger sei, argumentierten seine Anwälte am Donnerstag. Außerdem sei die Analyse der sichergestellten Arzneien anzuzweifeln. "Es ist nichts bewiesen", sagte Verteidiger Ulf Reuker in seinem Plädoyer.

Peter S. war am 29. November 2016 festgenommen worden, er sitzt seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Bei einer Durchsuchung seiner Bottroper Apotheke waren zuvor unterdosierte Infusionslösungen sichergestellt worden, die zur Auslieferung bereitstanden. Einer der größten deutschen Medizinskandale der jüngsten Vergangenheit, zu dem die Angelegenheit sich in weiterer Folge noch auswachsen sollte, war von zwei Mitarbeitern des nunmehr Verurteilten aufgedeckt worden. Für ihre Enthüllungen bekamen sie 2017 den Deutschen Whistleblower-Preis. Die Auszeichnung wird an Menschen verliehen, die Risiken eingehen, um Missstände in ihrer beruflichen Umgebung aufzudecken.

Viele Fragen bleiben am Ende des Verfahrens doch noch offen

Opfer und Hinterbliebene kritisierten, dass in den 44 Prozesstagen wichtige Fragen offengeblieben seien. Vor allem konnte nicht geklärt werden, wie viele Patienten am Ende unterdosierte Zytostatika bekamen. Anfänglich war die Staatsanwaltschaft von mehr als 1.000 Betroffenen ausgegangen. Auch die Auswirkungen für die Gesundheit bzw. auf den Behandlungsverlauf seien nach wie vor unbekannt. Auf eine Anklage wegen möglicher Körperverletzungsdelikte oder gar Mordes verzichtete die Kammer aus rechtlichen Gründen.  

Insgesamt rund 20 Apotheken-Kunden, die entweder selbst Krebsmedikamente bezogen haben oder Angehörige vertreten, hatten sich dem Prozess als Nebenkläger angeschlossen. Eine Frau ist während des Verfahrens gestorben. 

Unter dem Eindruck des Urteils gegen den Apotheker aus dem Ruhrgebiet fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz deutlich strengere Kontrollen für die Branche. "Für die bundesweit 330 Schwerpunktapotheken muss es eine umfassende Überwachung und Kontrolle geben", meinte Vorstand Eugen Brysch am Freitag in Dortmund. Apotheken, die Krebsmedikamente herstellen, müssten viermal im Jahr unangekündigt kontrolliert werden. Außerdem müssten zur Sicherung möglicher Beweise nicht verbrauchte Krebsmedikamente zentral verwahrt werden - so könnte im Nachhinein bewiesen werden, ob die vom Arzt verschriebene Wirkstoffmenge tatsächlich darin enthalten war.

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(rt deutsch/dpa)

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