Neues aus den Unterklassen: Gängelapparat auf Kosten von Arbeitern und Erwerbslosen
von Susan Bonath
Seit Wochen geht es immer wieder durch die Medien: Das Finanzpolster der Bundesagentur für Arbeit (BA) wächst und wächst. Inzwischen sei es auf 17,2 Milliarden Euro angeschwollen, so die Jubelmeldung. Davon kamen allein im letzten Jahr sechs Milliarden dazu. Und für 2018 erwartet deren Vorstandschef Detlef Scheele (SPD) weitere horrende Überschüsse aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung.
Das Finanzpolster dürfte Ende dieses Jahres 22,5 Milliarden Euro betragen, freute sich Scheele vergangene Woche. Dies entspreche etwa "der Rücklage, die uns das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung empfohlen hat". Schließlich müsse sich die BA "für den Fall einer Wirtschaftskrise wappnen".
Versicherte zahlen für Beamte und Pensionen
Grund für die gute finanzielle Lage seiner Behörde sei "das Rekordniveau an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung", frohlockte Scheele weiter. 32,6 Millionen Menschen verfügen laut BA aktuell über einen solchen Job. Doch ihr Geld fließt immer weniger in Versicherungsleistungen für Erwerbslose. Aus dem Budget bestreitet die Behörde einen Teil ihrer laufenden Verwaltungskosten und speist darüber hinaus ihren Versorgungsfonds für Pensionäre.
Für 2018 kalkulierte die BA zudem ein, zusätzlich zwei Milliarden Euro für Beamtenpensionen auszugeben. Dies offenbart ihre neue Finanzprojektion, die Anfang Juni der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bekannt geworden war. Trotz dieser Ausgaben sollen die Überschüsse weiter steigen.
Darum buhlt die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD trickreich um Arbeiter. Sie will ihre Beiträge für die Arbeitslosenversicherung ab 2019 von drei auf 2,7 Prozent vom Bruttolohn senken. Die Unionsparteien und Wirtschaftsvertreter plädieren für eine Senkung auf 2,5 Prozent. Auch damit, so beruhigte kürzlich der Vorsitzende des BA-Verwaltungsrats, Peter Clever, flösse noch eine Milliarde Euro Jahresüberschuss.
Jeder Vierte landet sofort in Hartz IV
Dass zugleich immer weniger Geld aus dem Versicherungstopf in das Arbeitslosengeld (ALG I) fließt, liegt an der sinkenden Zahl der Anspruchsberechtigten. Laut offizieller BA-Statistik fiel diese vom März 2017 um rund 50.000 auf 835.000 Menschen in diesem März. 770.000 Bezieher galten tatsächlich als arbeitslos, der Rest tauchte wegen Teilnahme an Weiterbildungen nicht in der entsprechenden Statistik auf.
Ein Grund für den Rückgang an ALG-I-Beziehern ist: Jeder vierte Gekündigte fällt inzwischen wegen niedrigen Lohns oder zu geringer Dauer eines vorangegangenen Jobs direkt in das Hartz-IV-System. Das belegen unter anderem Zahlen der Bundesregierung, die sie vor einem Jahr auf Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen bekannt gegeben hatte. Immer mehr prekäre Jobs dürften die Lage weiter verschärfen.
BA sperrt jedem Zehnten das Arbeitslosengeld
An der sinkenden Zahl Leistungsberechtigter spart die BA zusätzlich. Während bei Hartz IV die Sanktionen für Gehorsam sorgen sollen, erledigen dies beim ALG I die immer massenhafter verhängten Sperrzeiten. Dabei wird Gekündigten zwischen einer Woche und drei Monaten die Leistung verwehrt.
Nach eigenen Angaben belegte die BA alleine in diesem Januar rund 60.000 ALG-I-Bezieher mit einer solchen Strafe. Im Februar traf es sogar 78.500 Menschen, im März 70.000. Wie bei den Hartz-IV-Sanktionen war der häufigste Grund dafür ein Meldeversäumnis. Am zweithäufigsten beriefen sich die Arbeitsagenturen darauf, dass Betroffene selbst gekündigt hätten. Mehr als jedem Vierten kürzten sie die Bezüge dabei für ein Vierteljahr. Insgesamt war fast jeder zehnte ALG-I-Berechtigte betroffen.
Milliarden durch Sanktionen eingespart
Hartz IV ist allerdings eine Steuerleistung. Damit profitieren die Bezieher dieser Grundsicherung ebenfalls nicht nicht von den wachsenden Milliardenüberschüssen der BA. Im Gegenteil: Die Jobcenter klagen seit Jahren über massive Unterfinanzierung aus dem Bundeshaushalt. 2017 schichteten sie fast eine Milliarde Euro aus dem Budget für Weiterbildungsmaßnahmen in ihre Verwaltungsapparate um.
Hartz IV beziffert laut Bundesverfassungsgericht das physische und soziokulturelle Existenzminimum. Laut dessen Urteil von 2010 ist es allein an Bedürftigkeit gebunden und "dem Grunde nach unverfügbar". Der Bundesregierung wurde in den letzten Jahren immer wieder vorgeworfen, dieses Minimum gezielt kleinzurechnen und vorsätzlich zahlreiche Ausgabenpositionen der ärmsten Haushalte zu ignorieren.
Trotzdem spart die BA bei den Hartz-IV-Leistungen zusätzlich. So behielten die Jobcenter beispielsweise durch massenhaft verhängte dreimonatige Sanktionen in den vergangenen Jahren Milliardenbeträge ein. Dies räumte die BA auf Anfrage der Linken-Abgeordneten Sabine Zimmermann in dieser Woche ein.
Zeitungsente durch amtlichen Zahlentrick
In ihrer Antwort, die der Autorin vorliegt, weist die Mammutbehörde die Gesamthöhe der Sanktionen mit 178,3 Millionen Euro aus. Die Kürzungsbeträge für die Jahre 2007 bis 2016 schwanken zwischen 170 und 203 Millionen. Hochgerechnet ergibt sich daraus eine Gesamtsumme von mehr als zwei Milliarden Euro, welche die Jobcenter in den elf Jahren Leistungsberechtigten vorenthalten haben.
So berichteten es auch zuerst die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) zu Wochenbeginn. Doch offensichtlich fielen diese auf einen eigentlich altbekannten Rechentrick der BA herein. So meldeten sie nicht nur falsche Zahlen bezüglich der von Sanktionen betroffenen Menschen. Auch die Summe der entzogenen Mittel dürfte fast doppelt so hoch sein.
Die Bundesagentur spielt nämlich gern mit Durchschnittswerten. Das heißt zum Beispiel: Jeden Monat erfasst sie an einem Stichtag den "Bestand an erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit mindestens einer Sanktion". Im Jahr 2017 schwankte diese Zahl zwischen 132.000 und gut 140.000. Die Einzelwerte zusammengezählt und durch die zwölf Monate geteilt, ergab den Mittelwert von 137.000 Sanktionierten.
Aus diesem berechnet die Behörde auch die Sanktionsquote. Danach lag sie 2017 bei 3,1 Prozent. Politiker nutzen diese Zahl gerne, um das Repressionsinstrument zu rechtfertigen. Es werde doch nur ein sehr geringer Teil der Hartz-IV-Bezieher bestraft, heißt es aus den Reihen der Union, SPD, AfD und SPD dazu.
Den so berechneten Mittelwert an Sanktionierten nannte die BA in ihrer Auflistung für die Jahre von 2007 bis 2017. Die Zeitungen bastelten daraus die Gesamtzahl aller Betroffenen. Ein genauer Blick in die offizielle Monatsstatistik der BA hätte Abhilfe schaffen können. Danach waren im vergangenen Jahr genau 419.502 Menschen, also knapp zehn Prozent der 4,3 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher, von insgesamt 952.839 Kürzungsstrafen betroffen. Viele hatten also mit mehreren Sanktionen zu kämpfen.
Kein Durchblick in eigener Statistik
Auch die genannten Gesamtsummen sind fragwürdig. Als Durchschnittskürzungsbetrag für 2017 gibt die Bundesagentur beispielsweise 109 Euro pro Monat an. Das ergibt pro Strafe einen Mittelwert von 327 Euro. Multipliziert man diesen mit der Gesamtzahl der Strafen, kommt man auf 311,6 statt wie die BA auf 178,3 Millionen Euro an einbehaltenen Grundsicherungsgeldern. Bezogen auf die 13,5 Jahre seit Einführung von Hartz IV könnten die so einbehaltenen Geldsummen inzwischen vier Milliarden Euro betragen.
BA-Sprecher Paul Ebsen gelang es nicht, gegenüber der Autorin die Ungereimtheiten im eigenen Zahlenwerk zu erklären. Er räumte aber ein, dass 2017 tatsächlich knapp 420.000 Menschen, also rund zehn Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, fast 953.000 mal sanktioniert wurden. Die Zeitungen hätten dies "wohl falsch verstanden".
Die Diskrepanz bei den Summen konnte er aber nicht ausräumen. Natürlich, meinte er im Gespräch, "können die durchschnittlichen Sanktionshöhen nicht frei erfunden sein". Nach eigener Recherche bei der Statistikabteilung erklärte er später, es handele sich bei den vermeintlichen Gesamtsummen "wohl auch um Durchschnittswerte, nicht um genaue Zahlen". Dafür, so Ebsen, müsste die BA nämlich "Bewegungsdaten" erheben. Dies aber sei zu aufwendig, "zumal es nur um verminderte Leistungen aus Steuermitteln geht".
Zulasten der Ärmeren
Steuermittel sparen die Jobcenter auch an weiteren Stellen rege ein: Beispielsweise erkannten im Januar 2018 mehr als 53 Millionen Euro Mietkosten nicht an. Betroffene mussten diese aus ihrem eigentlich nicht dafür vorgesehenen Regelsatz bestreiten. Im Einzelfall geht es hier um Summen von wenigen bis zu mehr als 100 Euro pro Haushalt. Aufs Jahr gerechnet, kommen dabei immerhin mehr als 640 Millionen Euro an verwehrten Leistungen zusammen.
Möglich wird das mit niedrigen Mietobergrenzen, die steigenden Wohnkosten hinterherhinken. Sozialverbände beklagen seit Jahren, dass Kommunen aus Kostengründen diese Richtwerte für Bezieher von Hartz IV, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nicht ausreichend an die realen Verhältnisse anpassten. Innerhalb dieser werde es immer unmöglicher, eine Wohnung zu finden.
Insgesamt ergibt sich ein Bild des fortgesetzten Abbaus sozialer Rechte. Für immer geringere Leistungen müssen besonders die Ärmeren immer mehr berappen. Das gilt für Steuern genauso wie für die Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung. Hinzu kommt: Mit der BA finanzieren sie zudem einen Behördenapparat, der längst nicht mehr nur hilft und berät. Vielmehr scheint das Gängeln und Schikanieren zum Hauptzweck der Agenturen und Jobcenter geworden zu sein.
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