Interview: Erdogan profitiert von Deutschlands Parteinahme im Wahlkampf gegen türkische Regierung
von Ali Özkök
Bülent Bilgi ist Präsident der Organisation "Union der Internationalen Demokraten", kurz UID. Die Organisation, die aus der UETD hervorging und ihren Sitz in Köln hat, gilt als europäische Interessensvertretung, die der türkischen Regierungspartei AKP nahesteht.
Am 23. Juni finden in der Türkei vorgezogene Wahlen statt. Wahlkampf darf die Regierungspartei AKP in Deutschland gegenüber türkischen Staatsbürgern offiziell nicht machen. Wie bewerten Sie die Entscheidung?
Es handelt sich um eine antidemokratische Entscheidung gegenüber der AK Partei. Die Oppositionsparteien HDP, CHP und die neue IYI Partei dürfen durch die Bank in ganz Europa aktiv sein. Deren Veranstaltungen werden nicht nur geduldet. Im Gegenteil, sie werden aktiv gefördert und auch unterstützt. Es geht so weit, dass führende Vertreter der deutschen Politik aus der SPD, der Linken und ganz speziell von den Grünen sich gezielt auf die Seite des Wahlkampfes der Opposition stellen. Dieses Verbot richtet sich nur gegen die regierende AK-Partei. Das geht nicht.
Warum soll das nicht gehen?
Es wird den Türkeistämmigen von vornherein die Möglichkeit genommen, sich die Politiker überhaupt erst einmal anzuhören, sich eine Meinung zu bilden und dann auf dieser Basis eine Entscheidung mit dem Gang zur Urne zu treffen. Das will man hier aber nicht. AK-Partei-Vertreter dürfen ihre Politik in Deutschland nicht vorstellen, die anderen schon.
Was hätte Deutschland für Gründe, die AK-Partei schlechter zu behandeln, wenn sie doch für enge wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland steht?
Diese Frage stelle ich mir auch. Da muss man die Entscheidungsträger in Deutschland fragen, warum man ein allgemeines Auftrittsverbot erlässt, aber tatsächlich selektiv handelt. Offensichtlich ist es einfach so, dass dieses Verbot nicht für alle gilt. Laut Rechtslage gilt das Auftrittsverbot in Deutschland nicht nur für die AK-Partei, sondern für alle Amtsträger und Parteivertreter aus der Türkei. Man sagt, man möchte keinen Wahlkampf in Deutschland, aber genau diesen führt man. Der Wahlkampf in Deutschland richtet sich gegen die türkische Regierung.
Die deutsch-türkischen Spannungen sind wegen zahlreicher Konflikte seit Jahren angespannt. Türkische Politiker sprechen immer wieder von deutschen Doppelstandards. Was ist hier das Problem?
Mit den Doppelstandards verbinden wir das Unverständnis dahingehend, dass die Behörden und Politiker in Deutschland beispielsweise eine Veranstaltung der HDP nicht nur dulden, sondern auch aktiv fördern und zeitgleich eine Veranstaltung der mit Abstand größten Partei der Türkei, also der AK-Partei, bewusst blockieren. Ein besseres Beispiel für die doppelten Standards Deutschlands gibt es nicht.
Der türkische Außenminister Cavusoglu kritisierte kürzlich im Interview mit der Deutschen Welle, dass sich die EU in einer moralischen Überlegenheit gegenüber der Türkei wähnt. Was kann Ankara tun, damit die EU der Türkei auf Augenhöhe begegnet?
Die Initiative muss ganz klar von der Europäischen Union ausgehen. Man muss aufhören, sich wie Kolonialherren zu benehmen und mit dem erhobenen Finger auf die Türkei zu zeigen. Es kann nicht sein, dass sie immer versuchen, der Türkei zu erklären, wie sie Politik zu betreiben hat. In dieser Frage müssen die EU-Staaten den ersten Schritt machen und sich von ihrem hohen Ross herunterbegeben, um Gespräche auf Augenhöhe mit der Türkei herzustellen.
Erklärt diese Diskrepanz im Verhalten der deutschen Entscheidungsträger auch das Wählerverhalten der Türken in Deutschland?
Gerade diese Blockadeaktionen veranlassen die türkische Gemeinde in Deutschland, erst recht die AK-Partei zu wählen. Im Grunde genommen ist das Verhalten der deutschen Entscheidungsträger förderlich für die AK-Partei.
Nach dem Treffen der Fußballstars Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit Erdogan wurde eine Identitätsdebatte gestartet. Es wird ein Bekenntnis zum Deutschsein gefordert. Was ist falsch daran?
Wir leben in einer Zeit, wo standardisierte Begriffe hinsichtlich der Zugehörigkeit nicht mehr monoton dargestellt werden können. Wir leben in einem Zeitalter, in dem es hybride Identitäten gibt. Man kann in diesem Fall nicht mehr darauf beharren, dass man ausschließlich Deutscher oder Türke sein muss.
Obwohl diese Spieler alles für die deutsche Nationalmannschaft geben, hat die deutsche Gesellschaft ihren Stars dieses Engagement mit allerschärfster Kritik gedankt. Man kann von diesen Spielern und allen anderen mit ähnlichem Hintergrund nicht erwarten, dass sie ihr Heimatländer komplett außer Acht lassen und sich nur noch für Deutschland einsetzen.
Es muss genauso sein dürfen wie bei einem Deutsch-Kanadier, dessen Herz für beide Nationen schlagen darf. Das muss auch einem Deutschtürken erlaubt sein, dass beide Nationen in seinem Herz schlagen. Es geht nicht, dass man vor eine Wahl gestellt wird. Es ist wie bei einem Scheidungskind. Es muss und soll sich nicht entscheiden müssen. Es gehört zu beiden Elternteilen.
Würden Sie sagen, dass Russland für die Türkei eine Alternative zur EU sein könnte?
Russland ist keine Alternative. Russland ist eine weitere Option. Die Türkei sucht keinen Ersatzfreund. Ankara möchte vor allem weitere Freundschaften schaffen und betrachtet Russland als einen Freund. Das ist für die Gesamtatmosphäre in der Welt förderlich. Die westliche Welt beansprucht ihre "Freundschaft" zur Türkei exklusiv und nur für sich. Das kann es nicht sein.
Um deutlicher zu sein: Der Westen kann der Türkei nicht sagen "Hör zu, Du bist mein Freund, aber Du darfst nicht der Freund von anderen sein". Die Türkei hat das gute Recht, sich seine Freunde selbst auszusuchen.
Wo liegen die Hauptprobleme, mit denen die Türkei und die AK-Partei heute konfrontiert sind, und die bei den Wahlen entscheidend sein werden?
Die Hauptherausforderung für den türkischen Präsidenten Erdogan ist die Wirtschaft. Diese Probleme wurden aber künstlich hervorgerufen. Schaut man sich die wirtschaftlichen Fundamentaldaten der Türkei an, dann wird schnell deutlich, dass sich der Wertverlust der türkischen Währung Lira nicht rechtfertigt. In der nahen Vergangenheit hat man das Gleiche in Russland gesehen. Dort verlor der Rubel genauso an Wert, obwohl die Wirtschaft unter relativen stabilen Vorzeichen stand. Das Gleiche passiert in der Türkei. Man fragt sich, wie das passieren kann?
Erdogan scheint im Rahmen der Präsidentschaftswahlen mehr oder weniger unangefochten zu sein. Könnte es bei den Parlamentswahlen hingegen eng werden?
So wie es aussieht, wird Erdogan in seinem Amt als Staatspräsident bestätigt werden. Bei den Parlamentswahlen ist es nicht so sicher, dass die AK-Partei die absolute Mehrheit mit über 301 Sitzen gewinnt. Aber die AK-Partei ist guter Dinge. In den letzten Jahren machte die Türkei große Schritte nach vorne. Das wird der türkische Wähler honorieren.
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