Neues aus den Unterklassen: Das "soziale" Niedriglohnprogramm der SPD
von Susan Bonath
Exportüberschüsse lassen die deutsche Wirtschaft brummen. Sie ruft nach Fachkräften. So billig wie es irgend geht, sollen diese die Profitmaschine am Laufen halten. Die Großaktionäre halten schon die Hände auf. Politik und Medien jubeln derweil die Vollbeschäftigung herbei. Nur noch 2,45 Millionen Arbeitslose habe Deutschland, hieß es am Gründonnerstag. Die Zahl entstammt der Statistik der Bundesagentur für Arbeit.
Die Wirtschaftskrise macht Pause im Industriestaat BRD. An vielen Menschen geht das Wachstum allerdings vorbei. Mit der Armut wächst auch der Zulauf an den Tafeln. Die hohe Politik spricht über Hartz IV. Als Wegbereiterin der Arbeitsmarktreformen, alias Agenda 2010, steht die SPD dabei besonders unter Druck. Hunderttausende Mitglieder und Millionen Stimmen hat sie seit 2005 verloren. Sie diskutiert Reformpläne mit so wohlklingenden Namen, wie "sozialer Arbeitsmarkt" oder "solidarisches Grundeinkommen".
Kein Aus für Hartz IV
Zunächst kam der frisch gebackene Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), einst nach seinem Studium direkt in den Bundestag eingezogen, mit einem Vorschlag um die Ecke: Ein sozialer Arbeitsmarkt müsse her. Im Klartext: Erwerbslose Menschen mit Hartz-IV-Bezug sollen in Vollzeit kommunale Aufgaben erledigen. Das sind Arbeiten, die Städte und Gemeinden erfüllen müssen. Schnellen Profit bringen die gewöhnlich nicht.
So muss es für den Mindestlohn sein, findet Heil. Das macht für 170 Arbeitsstunden im Monat rund 1.500 Euro brutto und, bei Steuerklasse I und ohne Kirchensteuer, gut 1.100 Euro netto. Heils Parteikollege, der Berliner Regierungschef Michael Müller, spielt mit ähnlichen Zahlen. Doch gab er der Idee noch einen klangvollen Namen: Solidarisches Grundeinkommen. Rund 150.000 Langzeiterwerbslose sollen das erhalten, wenn sie dafür in Vollzeit Parks säubern, Grünstreifen bepflanzen, Sperrmüll beseitigen oder Kinder betreuen.
Müller tingelt mit seinem Konzept durch die Medien. Einige schwadronierten bereits das Ende von Hartz IV herbei. Dabei sagte Müller selbst dem Handelsblatt, dass weiter derjenige die Grundsicherung erhalten solle, wer solch einen Job nicht wolle oder nicht bekomme. Das heißt im Umkehrschluss: An Hartz IV – inklusive Sanktionsapparat, Bedürftigkeitsprüfung und strenger Verpflichtung zur Annahme fast jeden Jobs – will die SPD ebenso wenig rütteln, wie CDU, CSU, FPD und AfD.
Der neue SPD-Finanzminister Olaf Scholz legte dann auch die Karten auf den Tisch: Am Grundprinzip Hartz IV alias "Fördern und Fordern" halte seine Partei fest, versicherte er der Funke-Mediengruppe. Auch "Herr Müller" stelle dieses nicht in Frage, betonte Scholz.
Vorschläge sind Teil des Koalitionsplans
Was kaum deutlich wird bei dem Geplänkel: Heil, Müller und Scholz verfolgen dasselbe Ziel. Ihre Pläne sind Teil des Koalitionsvertrags mit der CDU/CSU. Einem Bekenntnis zum "Ziel der Vollbeschäftigung" folgt darin der Plan für ein "neues unbürokratisches Regelinstrument im Zweiten Sozialgesetzbuch" namens "Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle".
Vier Milliarden Euro will die Regierung danach für "Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber der freien Wirtschaft" von bis zu 80 Prozent sowie Jobs in Kommunen und gemeinnützigen Einrichtungen ausgeben. "Im sozialen Arbeitsmarkt orientiert sich der Zuschuss am Mindestlohn", heißt es wörtlich. 150.000 Langzeiterwerbslose will die Bundesregierung dort dauerhaft unterbringen.
Dies deckt sich mit den "Vorschlägen" von Heil und Müller. Für alle reicht es aber nicht: Insgesamt zählt die Bundesagentur für Arbeit (BA) rund 850.000 Menschen zur Gruppe der Langzeiterwerbslosen. Hartz IV beziehen derzeit 4,3 Millionen Erwachsene mit zwei Millionen Kindern im Haushalt. 1,6 Millionen Leistungsbezieher gelten als arbeitslos. Jedes Jahr verhängen Jobcenter rund eine Million Sanktionen, drei Viertel davon wegen nicht eingehaltener Termine.
Neu sind derlei Reformpläne schon gar nicht. Sie erinnern vielmehr an die Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen (ABM) in den 1990er Jahren, die mit Hartz IV zu Ein-Euro-Jobs fernab des Arbeitsrechts mutierten. Seit langem versuchen klamme Kommunen, so viel Arbeit wie möglich derlei Billigjobbern zu überlassen. Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 sind Hartz-IV-Bezieher verpflichtet, jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Lehnen sie ab, drohen ihnen Kürzungen des Existenzminimums. Als zumutbar gilt fast alles.
"Bester Niedriglohnsektor Europas"
Wie das "Fördern und Fordern" der Jobcenter funktioniert, hatte Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) bereits ausgiebig auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos im Jahr 2005 dargelegt. So sei es dank der umfassenden Arbeitsmarktreformen unter dem Titel Agenda 2010 gelungen, "einen der besten Niedriglohnsektoren Europas aufzubauen", lobte Schröder und pries die Sanktionen als Druckmittel.
Einer der größten Verfechter von seiner Agenda war Heils Amtsvorgänger im ersten Kabinett unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Franz Müntefering. Mit seinem Spruch, wonach nicht essen solle, wer nicht arbeitet, goss der Ex-SPD-Arbeitsminister 2010 neues Öl ins Feuer der Faulheitsdebatte rund um zur Schau gestellte Parade-Hassobjekte, wie Arno Dübel. Die mitregierenden Unionsparteien freuten sich. Ihr Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft", bekam Rückenwind.
So ähnlich hält es heute auch Minister Heil. "Es ist besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit", sagte er kurz vor Ostern. Er kündigte an, die Koalitionspläne rasch umzusetzen. Bereits im Sommer will er einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) weiß die SPD hinter sich. "Das geht in die richtige Richtung", lobte deren Chef Reiner Hoffmann.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach pflichtete Hoffmann bei. Allerdings müsse die Regierung darauf achten, dass die vier Milliarden Euro tatsächlich für die angekündigten Jobs eingesetzt werden, forderte sie. Denn: "Da den örtlichen Jobcentern Geld für Personal- und Verwaltungskosten fehlt, ist die Gefahr groß, dass ein Teil des Geldes dahin fließt statt in direkt in die Maßnahmen für Arbeitslose", so Buntenbach.
Wagenknecht kritisiert Armutslöhne
Kritischer sieht es Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Zwar sei die Debatte über Armut und Hartz IV zu begrüßen. Müllers Vorhaben sei aber falsch, "weil damit noch mehr Menschen für Armutslöhne arbeiten sollen", sagte sie der Augsburger Allgemeinen. Als "Trauerspiel" bezeichnete sie die Äußerungen von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Dies zeige, dass die SPD-Spitze an Hartz IV festhalte, obwohl damit weder Armut noch Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen seien. Unter diesen Bedingungen sei "mit der SPD auch künftig keine sozialdemokratische Politik möglich", erklärte Wagenknecht.
Die Wirtschaft sieht das geplante Staatsprogramm unterdessen offenbar als Konkurrenz zu ihrem eigenen privaten Niedriglohnsektor. Das SPD-Modell schade dem Gewerbe, wetterte Holger Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) gegenüber dem ZDF. "Entweder ich biete Tätigkeiten an, die sinnlos sind und für die es keinen Markt gibt", sagte er. Oder die Jobs hätten einen Sinn und verdrängten gewerbliche Anbieter, so Schäfer.
Wenig begeistert zeigten sich auch die politischen Fürsprecher der Privatiers und von Hartz IV. Der Vizechef der Unionsfraktion, Hermann Gröhe, kündigte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters "Widerstand" gegen eine Aufweichung von Hartz IV an. Der CDU-Abgeordnete Kai Whittaker klagte über "staatliches Lohndumping". Hartz IV müsse bleiben wie es ist und so "die Eigenverantwortung fördern". "Solange die SPD versucht, ihre Traumata über die Agenda 2010 von Gerhard Schröder zu bearbeiten, werden wir da nicht zueinander finden", sagte er. Offenbar haben beide nicht verstanden, dass die Führungsspitze der SPD nicht daran denkt, Hartz IV zu lockern.
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