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Handreichung an Deutsche: Russisches Haus zeigt Agentenkrimi "Lieber Willi" zu Brandts Geburtstag

Womit kann man dem berühmten Bundeskanzler der Ostpolitik an seinem Geburtstag gedenken? Mit einem packenden Agentenkrimi. In Deutschland kann man den Film nur an einem Ort sehen: im Russischen Haus in Berlin.
Handreichung an Deutsche: Russisches Haus zeigt Agentenkrimi "Lieber Willi" zu Brandts Geburtstag© Screenshot Premier

Von Wladislaw Sankin 

Neulich klagte die NATO-Analystin Florence Gaub, es fehle den Deutschen an packenden Spionage-Krimis, die heimische Geheimdienste dem Volk menschlich näherbringen. Damit sie ihnen zum Zweck der Erhöhung der Resilienz im Kalten Krieg 2.0 besser vertrauen. Französische und britische Produktionen trügen mit ihren populären Agentenfilmen maßgeblich dazu bei, dass diese in Deutschland als erstrebenswert gelten. Russen erwähnte sie nicht als nachahmungswürdig. Natürlich, sie sind doch trotz gewisser äußerlicher Ähnlichkeiten keine Europäer, wie sie selbst sagt. Cancel Culture erledigt den Rest. Was in Russland an Filmen produziert wird, ist in Deutschland kaum noch bekannt.

Aber ausgerechnet jetzt in der heutigen Zeit lohnt es sich, ausgerechnet eine russische Miniserie mit einer Agentengeschichte anzuschauen. Die Serie, die am 1. November erschienen ist, trägt den Titel "Lieber Willy". Die im Film dargestellte Figur "Willy" ist niemand anderes als der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, der im Jahr 1970 die neue Ostpolitik initiierte. So wurde er auch von dem später mit ihm befreundeten UdSSR-Generalsekretär Leonid Breschnew genannt. Der Film verdeutlicht die politischen Beweggründe beider Staatsmänner für ein gegenseitiges Kennenlernen. Ein lohnender Aspekt ist insbesondere, dass sie als die eigentlichen Weltenlenker im Mittelpunkt des Films stehen und nicht etwa schlagfertige Agenten mit ihren jeweiligen Geschichten.

Das Russische Haus in Berlin widmet sich in dieser Woche der Aufgabe, den genannten Film dem deutschen Publikum nahezubringen. Pünktlich zu Brandts 113. Geburtstag am 18. Dezember, wurden am Mittwoch die ersten zwei Folgen der Miniserie präsentiert. Die letzten zwei Folgen erscheinen am Freitag. "Die Ausstrahlung der Serie "Lieber Willy" erweist sich als besonders bedeutsam und zeitgemäß, da sie in die Epoche der Systemkonfrontation zurückführt und die Geschehnisse aus der Perspektive menschlicher Empfindungen sowie moralischer Entscheidungsfindungen schildert. Der Film hilft, die Vergangenheit neu zu betrachten und unsere Gegenwart besser zu verstehen", erklärte Pawel Izwolskij, Direktor des Russischen Hauses in Berlin, vor der Aufführung. 

"Lieber Willy" erweist sich zweifelsohne als eine fesselnde Erzählung, die von zwei intellektuellen Agenten, Verfolgungsjagden, Schlägereien in Sackgassen, Erotik und Liebesaffären sowie der gegenseitigen Observation durch nicht weniger als drei Nachrichtendienste – KGB, CIA und Stasi – geprägt ist. Der größte Wert dieser Erzählung liegt darin, dass sie, abgesehen von vielen Details, der Wahrheit entspricht. Zumindest fanden die wichtigsten Elemente dieser Geschichte in einer der kältesten Phasen des Kalten Krieges in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren so oder so ähnlich statt. 

Leonid Breschnew will verhindern, dass US-Amerikaner atomar bestückte Raketen nach Westdeutschland bringen. Mit seinem politischen Gespür erkennt er, dass Willy Brandt in dieser Frage gleiche Interessen haben könnte. Nun geht es darum, auch vom eigenen KGB unerkannt, mit Brand in direkte Verhandlungen zu treten. Parallelen zu heute? Fast zum Werwechseln!

In beiden Lagern bilden sich politische Gegenparts zu den Protagonisten Breschnew und Brandt: der CDU-Fraktionsvorsitzende Scheer (als reale Figur Rainer Barzel), der im Bundestag ein Misstrauensvotum einreicht, und der mächtige Ideologie-Chef und Mitglied des Politbüros Michail Suslow. Aus ihrer Sicht stellt die Annäherung an Kontrahenten einen Verrat und ein Zeichen von Schwäche dar. In einer Woche, in der in Berlin Verhandlungen zum Ukraine-Konflikt unter Beteiligung der EU, der USA und Selenskijs stattfanden, muten die fiktiven Dialoge aus dem Jahr 1970 an, als wären sie heute unmittelbar im Kreml oder Kanzleramt belauscht worden.

Sergei Makowezkijs Darstellung des Breschnew erweist sich als die eines geistreichen, schlagfertigen Kettenrauchers und versierten Strategen. Ihm geht es um nicht weniger als der Bewahrung der Welt vor einem nuklearen Inferno. Obwohl er dem Beschluss des Politbüros widerwillig Folge leistet und ein Unterseeboot mit Atomwaffen zur US-amerikanischen Küste entsendet, bemüht er sich zeitgleich um die Etablierung eines geheimen Gesprächskanals zu Bahr und Brandt. Brandt geht es um die Schaffung der europäischen gemeinsamen Sicherheit – zum Trotz der Revanchisten im Inneren und den USA im Äußeren, die maximalen Druck auf die Sowjetunion ausüben wollen. 

"Geschichte wird zeigen, wer von uns beiden recht hat", sagt Breschnew Suslow am Ende des Films. Aus heutiger russischer Perspektive erscheinen die Warnungen Suslows, "Kapitalisten" keinesfalls Vertrauen zu schenken, als Bestätigung ihrer Richtigkeit. Es wäre interessant zu erfahren, wie der Film im heutigen politischen Berlin bewertet werden könnte, da in diesem Land kaum noch Erben der Entspannungspolitik existieren. Umso bedeutsamer erweist sich diese in Russland produzierte Miniserie als eine Art Angebot an die deutsche Bevölkerung, die Ostpolitik einer erneuten Reflexion und Diskussion zu unterziehen. Nach nunmehr 55 Jahren wird die erneute Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden in Erwägung gezogen, während in den Medien die Möglichkeit gegenseitiger Nuklearschläge zunehmend offener diskutiert wird. 

"Lieber Willy" wirft die Frage auf, ob es in der heutigen Zeit noch möglich wäre, zu den Zeiten Bahrs und Brandts zurückzukehren und somit – noch rechtzeitig – die ernsthaften Bemühungen um die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Sicherheitsraumes wiederaufzunehmen. Zur Vorführung in Berlin kamen viele deutsche Berliner und äußerten im Rahmen der anschließenden Diskussion den Wunsch, sich am Freitag auch die zweite Hälfte der Miniserie anschauen zu wollen. Einige beschwerten sich darüber, dass es kaum noch Informationen und Werbung für neue russische Filme gäbe, während andere behaupteten, dass die DDR als zweiter deutscher Staat in Filmproduktionen kaum noch eine Rolle spiele.

Der russische Schauspieler Kirill Karo, welcher die Rolle des Brandt verkörperte, erlernte für seine Darstellung die deutsche Sprache von Grund auf – damit er authentisch klingt, damit die Deutschen ihren einstigen Kanzler hören. Er nahm seine Rolle ernst. Weil das Thema sehr ernst ist. Es bleibt zu hoffen, dass auch heute Gesprächskanäle ins jeweils andere Lager bestehen und dass dadurch zumindest darauf geachtet wird, dass bestimmte rote Linien nicht überschritten werden. 

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