Deutschland

Merz ließ Tausende Strafanzeigen gegen Online-Kritiker stellen – teils mit Hausdurchsuchungen

Seit 2021 ließ Merz fast 5.000 Strafanträge wegen Online-Beleidigungen einreichen, teilweise über die Abmahnagentur "So Done". In Einzelfällen führten die Anzeigen zu Hausdurchsuchungen, darunter bei einer schwerbehinderten Rentnerin. Trotz der Masse an Verfahren blieb eine strafrechtliche Verurteilung zumeist die Ausnahme.
Merz ließ Tausende Strafanzeigen gegen Online-Kritiker stellen – teils mit HausdurchsuchungenQuelle: Gettyimages.ru © Sean Gallup

Seit 2021 hat der CDU-Vorsitzende und Deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz Hunderte Strafanzeigen wegen angeblicher Beleidigungen gegen sich gestellt oder begleiten lassen.

Recherchen der Welt am Sonntag ergaben, dass der Politiker systematisch gegen Kritiker in sozialen Medien vorgegangen ist. Teilweise arbeitete er dabei mit der Agentur "So Done" zusammen, die das Internet nach beleidigenden Beiträgen durchsucht und diese zur Anzeige bringt. Die Agentur erhält dann die Hälfte der eingetriebenen Geldstrafen und Schadensersatzzahlungen.

Einige der Strafanzeigen führten zu drastischen Maßnahmen: In mindestens zwei dokumentierten Fällen kam es zu Hausdurchsuchungen. So wurde bei einer schwerbehinderten Rentnerin mit jüdischen Wurzeln, die Merz als "kleinen Nazi" bezeichnet hatte, trotz sofortigem Geständnis das Mobiltelefon beschlagnahmt. Das Gerät diente der Frau zur Kommunikation mit Ärzten und Pflegediensten.

In einem anderen Fall wurde bei einem Mann, der Merz als "drecks Suffkopf" bezeichnet hatte, ebenfalls eine Durchsuchung durchgeführt, die später von einem Gericht als rechtswidrig eingestuft wurde.

Dokumente der von Merz beauftragten Kanzlei zeigen eine durchnummerierte Liste der Strafanzeigen, die bis zur Nummer 4.999 reicht. 

Die Praxis von Merz sorgt auch innerhalb der CDU für Diskussionen

Parteifreunde warnen, dass die aggressive Verfolgung von Beleidigungen das politische Ansehen der Union beschädigen könnte, insbesondere nachdem Hausdurchsuchungen bei Bürgern wie im Fall des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz oder bei der "Schwachkopf"-Beleidigung gegen Robert Habeck für öffentliche Empörung gesorgt hatten.

Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski weist darauf hin, dass die Reaktionen auf Online-Äußerungen oft unverhältnismäßig seien. Die Verfolgung rechtlich fragwürdiger oder geringfügiger Beleidigungen könne "Formen der Selbstzensur" erzeugen und damit die Meinungsfreiheit gefährden.

Trotz der hohen Zahl der Verfahren blieben Verurteilungen selten, während Kritik an der Praxis sowohl juristisch als auch politisch deutlich wurde.

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