
Aufbruch beim 32. Bundesweiten Friedensratschlag: Jugendorganisationen mit an Bord

Von Felicitas Rabe
Auf dem 32. Bundesweiten Friedensratschlag trafen sich am Wochenende rund 400 Vertreter von Friedensinitiativen aus ganz Deutschland. Damit bleibe der Ratschlag in diesem Jahr das größte Treffen zur Vorbereitung von Demonstrationen und Kämpfen, zum Beispiel gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und gegen den Völkermord in Gaza, erklärte Jutta Kausch-Henken von der Initiative Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder in ihrer Eröffnungsrede.

Wie sehr immer mehr Menschen das Thema Frieden und Krieg umtreibe, sehe man auch daran, dass in diesem Jahr ein Viertel der Teilnehmer zum ersten Mal in Kassel dabei sei. Während hierzulande eine wahnsinnige Aufrüstung zulasten unseres Sozialsystems stattfinde, werde dies mit antirussischer Propaganda begründet. Kausch-Henken erklärte gleich zur Kongresseröffnung:
"Wir werden tagtäglich vollgestopft, der Russe stünde bald vor dem Brandenburger Tor! Belege dafür: Keine!"

Rüstungsindustrie verursacht Deindustrialisierung
Im Rahmen dieses Berichts kann nur ein kleiner Einblick in die Themen und Diskussionen auf dem Friedensratschlag gegeben werden, der in diesem Jahr von bereichernden Analysen, spannenden Kontroversen und einer Aufbruchstimmung geprägt war, die vor allem von den jungen Teilnehmern und der Vorstellung ihrer Aktionen und Kampagnen inspiriert wurde.
Auf dem Eröffnungsplenum wurden die auf der Konferenz diskutierten Themen auf hohem Niveau eingeführt. Der Publizist und Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Ingar Solty, sprach über den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands zugunsten einer Kriegswirtschaft – und erklärte anschaulich, wie die Rüstungsindustrie die Deindustrialisierung eines Landes vorantreibt. Soltys’ Analyse zufolge, wandelte sich Deutschland im Jahr 2022 von einer AbstiegsANGST-Gesellschaft in eine tatsächliche Abstiegsgesellschaft.
EU-Politiker gefährden Frieden in Europa
Der ehemalige UN-Diplomat und aktuelle Europa-Abgeordnete Michael von der Schulenburg erinnerte in seinem Vortrag "Welchen Frieden wollen wir in Europa haben?" daran, dass es Europa sei, das in einem Nuklearkrieg zerstört werden würde. Als Wladimir Selenskij gegenüber dem US-Präsidenten Donald Trump erklärt habe, die Ukraine verteidige auch die USA, habe Trump völlig richtig erklärt, es sei nicht die Ukraine, die die USA verteidige, sondern der Atlantische Ozean. Schon allein deshalb, weil wir als Europäer am stärksten betroffen wären, müssten unsere Politiker rational gesehen eine ganz andere Politik und Diplomatie betreiben, so Schulenburg.
Stattdessen rüsteten Deutschland und Europa massiv auf und begründen diese Aufrüstung mit einer angeblichen russischen Bedrohung. Dabei würden die NATO-Staaten schon jetzt 55 Prozent aller weltweiten Militärausgaben tätigen – für Russland ergebe es aber überhaupt keinen Sinn, einen NATO-Staat anzugreifen. Unsere Politiker litten unter einem kompletten Realitätsverlust, während die Ukrainer als Spielball in einem übergeordneten Machtkampf ein betrogenes Volk seien. Es sei erschütternd, wie wenig Bewusstsein unter europäischen Bürgern über die aktuelle Kriegsgefahr herrsche.
Die deutsche Unterstützung Israels aus Staatsräson hat ihren Ursprung nicht in Schuldgefühlen
Die Politikwissenschaftlerinnen Helga Baumgarten und Karin Leukefeld, sowie der Sprecher der palästinensischen Gemeinden in Deutschland, Dr. George Rashmawi, erläuterten die Situation im Nahen Osten und die Situation der Palästinenser nach dem Friedensabkommen in Scharm El-Scheich. Karin Leukefeld erklärte detailliert die historische Entwicklung der Ereignisse auf dem Gebiet, das aktuell Israel und Palästina umfasst. In ihrem Vortrag wurde überdeutlich, dass die israelischen Siedler das letzte Glied in einer jahrhundertelangen Kolonialisierungsgeschichte der ursprünglich dort lebenden Menschen und des Landes sind.
Leukefeld vertrat dabei auch die Position, dass die deutsche aus "Staatsräson" basierende Unterstützung Israels mitnichten auf der deutschen Schuld in der Nazizeit beruhe. Bereits der Diplomat des Auswärtigen Amts, Max von Oppenheim, habe zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Konzept eines Heiligen Krieges für den deutschen Kaiser und die Gründung eines Judenstaats in Palästina unterstützt. Leukefeldt erklärte:
"Deutschland ist ein strategischer Partner Israels und das hat wenig mit dem II. Weltkrieg zu tun."
Dies sei zuletzt auch aus einer Presseerklärung des Auswärtigen Amts vom 13. Januar 2025 hervorgegangen.
Aktionen und Kampagnen der Jugendorganisationen gegen die Wehrpflicht
Überwiegend gehörten die Konferenzteilnehmer zur Generation 60plus. Doch im Gegensatz zu den vergangenen Jahren wehte auf dem Ratschlag 2025 auch ein frischer Wind. So waren rund 30 Vertreter von linken Jugendorganisationen als engagierte Mitgestalter der Diskussionen und Workshops auf der Konferenz präsent.
Auf der Podiumsveranstaltung "Wie können wir den Wehrdienst verhindern?" stellten junge Delegierte der ver.di-Gewerkschaftsjugend, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend – Die Falken, vom Netzwerk "Offener Schülertreff", vom Sozialistischen Studentenverband SDS und der Jugendorganisation der Deutschen Friedensgesellschaft DFG-VK in Hessen ihre Bewertungen und Kampagnen zur deutschen Kriegsertüchtigung und zur Wiedereinführung des Wehrdienstes vor.
Die Jugend überraschte mit tiefgründigen Analysen und engagierten Kampagnen gegen die Kriegsvorbereitung ihrer Generation. Dabei betonten sie immer wieder, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht auf der Lüge basiere, der Russe würde uns bedrohen. Tatsächlich wolle Deutschland aber mit der Wiedereinführung selbst einen Krieg vorbereiten. Die SDAJ-Vorsitzende Andrea Horn erklärte zu dem Narrativ "der Russe wolle Europa überfallen":
"Das ist eine Lüge – es sind die NATO-Staaten, die Kriege führen."
Entsprechend sei es mit am wichtigsten, gezielt zur Aufklärung dieser Lüge beizutragen. Eine weitere Lüge sei, dass die Jugend verpflichtet sei "etwas zurückzugeben und die Demokratie zu verteidigen". "Welche Demokratie?" fragte Horn an dieser Stelle und betonte:
"Das ist keine Demokratie, in der Demonstrationen und freie Meinungsäußerung verboten sind."
Die Verhinderung der Wehrpflicht sei entscheidend für die Verhinderung der Kriegsvorbereitung. Die SDAJ-Vorsitzende machte deutlich:
"Wenn wir es schaffen, die Wehrpflicht zu verhindern können wir auch einen wichtigen Teil der Kriegsvorbereitung verhindern."
Das Jugendpodium und die von den Jugendorganisationen vorgestellten Analysen und Kampagnen zur Verhinderung der Wehrpflicht werden ausführlicher in einem weiteren Konferenzbericht vorgestellt. Vorab schon mal die Information: Für den 5. Dezember, den Tag, an dem die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Bundestag verabschiedet werden soll, mobilisieren Jugendorganisationen in breiten Bündnissen zu einem bundesweiten Aktionstag gegen die Wehrpflicht mittels Schülerstreiks und Demonstrationen in vielen Städten Deutschlands.
Die Rolle Europas: Europäischer Imperialismus – versus Aufklärung
In seinem Vortrag über den Niedergang des kulturellen "Werte"-Westens berief sich der Kulturhistoriker Hauke Ritz auf die bedeutende Rolle der europäischen Kultur in der Welt und begründete, warum es diese Kultur zu bewahren gelte. Unter anderem spannte er dabei einen Bogen von der emanzipatorischen Frühchristenheit über die Aufklärung bis zu jüngeren revolutionären Bewegungen, die die europäische Kultur prägen würden. Die UN-Charta, das Gebot der Meinungsfreiheit und andere demokratische Elemente würden wir der europäischen Aufklärung und Geisteskultur verdanken.
Sein Vortrag löste eine interessante Debatte über dem Redner unterstellten Eurozentrismus und Kolonialismus aus. Als die Kontroverse ins Persönliche abzugleiten drohte, bewährten sich die alten "Haudegen" der Friedensbewegung. So eröffnete eine Teilnehmerin aus dem Publikum am Saalmikrofon ihren Redebeitrag mit den Worten "Ich mach’ jetzt mal die Rote Oma" und ging auf die Argumente und Anliegen beider Seiten ein.
Eine weitere Teilnehmerin stellte sich als ausgebildete Mediatorin vor und spiegelte den Kontrahenten ihre beiderseits unsachlichen Angriffe. Schließlich breitete sich eine friedfertigere Diskussionsatmosphäre aus, in der unterschiedliche Argumente und Perspektiven zum Eurozentrismus, zum Kolonialismus und zur Rolle der europäischen Kulturgeschichte von den Konferenzteilnehmern gemeinsam vertieft wurden.
Ein Höhepunkt der Konferenz: Unterschiedliche Perspektiven aushalten und sachlicher Austausch
Die Autorin empfand dies als einen der bereichernsten Momente auf dem Friedensratschlag: Mit vereinten Kräften gelang es, die Diskussion von einer emotionalen Angriffsebene auf eine Sachebene zurückzuholen. Wobei aus zeitlichen Gründen sicher längst nicht alle Argumente ausgetauscht werden konnten – aber es konnte eine Atmosphäre des Aushaltens unterschiedlicher Positionen etabliert werden, die man in verschiedenen Debatten heutzutage oft schmerzlich vermisst.
Der Referent Hauke Ritz brachte noch einen weiteren interessanten Aspekt in die Diskussion ein: Wenn man als Europäer die eigene Kultur komplett ablehne oder abschaffen wolle, mache man sich womöglich zum Komplizen eines US-Kolonialismus, der die ganze Welt mit der US-amerikanischen Kultur beglücken wolle.
Klimakatastrophe übertrifft Kriegsgefahr?
Auch die Klimakatastrophe wurde auf der Konferenz behandelt, wenn auch weniger präsent als auf früheren Konferenzen, so zumindest der Eindruck der Berichterstatterin. Beim Abschlussplenum relativierte der Bundesvorsitzende der Naturfreunde Deutschlands, Michael Müller, in gewisser Weise die drohende Kriegsgefahr. In seinem Vortrag erklärte er, dass das Wort "Klimakollaps für den drohenden Zusammenbruch des planetaren Ökosystems" viel zu kurz greife, es handele sich um einen drohenden Kollaps des Erdsystems.
Seit dem Bericht "Global 2000" aus dem Jahr 1979, also seit 56 Jahren, wisse man um die drohende Erderwärmung – und in Bezug darauf würden wir seit 56 Jahren eine Geschichte des Versagens erleben. Die Debatte über die Einschränkung der Erwärmung auf höchstens 1,5 Grad sei lächerlich, so Müller. Denn über den Landflächen habe man durchschnittlich bereits eine Erwärmung von 1,91 Grad erreicht. Diese Entwicklung führe zu einem Krieg zwischen den Reichen und den armen Menschen auf diesem Planeten.
Denn wenn die Armen den Reichen aufgrund der Klimakatastrophe zukünftig den Platz streitig machen wollten, würden sich die Reichen gegen die Armen wehren. Der Kampf zwischen Reichen und Armen würde demnach aufgrund des Klimakollapses stattfinden, so Müllers Bewertung. Beim Kampf gegen die Aufrüstung müsse man die drohende Klimakatastrophe mitdenken, forderte der Vorsitzende der Naturfreunde.
Zu den auf dem Kongress vorgestellten geplanten Aktionen gehören unter anderem die Durchführung von Schülerstreiks gegen die Wehrpflicht, die Mobilisierung gegen die Wehrpflicht in Hochschulen und Betrieben, die Wiederbelebung von Städtepartnerschaften mit Russland, die Organisation einer Demonstration in Brüssel gegen den Militarismus in Europa, Petitionen gegen die Wehrpflicht in Deutschland und die Mobilisierung zu Kämpfen gegen die Aufrüstung in den Gewerkschaften.
Alles in allem fand am vergangenen Wochenende in Kassel ein ermutigendes Treffen der Friedensbewegung statt, von dem hier nur ein paar Eindrücke wiedergegeben werden können. Wer mehr über die Vorträge, Workshops und Diskussionen auf dem 32. Bundesweiten Friedensratschlag erfahren möchte, findet Diskussionsmitschnitte und Bilder auf der Webseite https://friedensratschlag.de/.
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