Geschichtsrevisionismus: Symposium in Berlin schlägt "Übergangsjustiz" für Sowjetmonumente vor

Von Astrid Sigena
Am 14. Oktober 2025 gab das Ukrainische Institut in Deutschland auf der Social-Media-Plattform X bekannt, dass im November in Berlin ein Symposium zum Thema Sowjetmonumente geplant sei, und zwar als Vorveranstaltung im Rahmen der "Berlin Freedom Week", einer erstmals stattfindenden "neuen stadtweiten Initiative für Freiheit und Demokratie" unter der Schirmherrschaft des Berliner Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner. Weitere Veranstalter sind unter anderem der World Liberty Congress, die Axel Springer Freedom Foundation sowie der Berliner Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Der Titel des Symposiums, das am 6. und 7. November in der Botschaft der Republik Polen stattgefunden hat, klang ominös: "Echos des Imperiums: Sowjetische Denkmäler und die Maschinerie der Desinformation". Er erweckte den Anschein, als wollte man den aus der Sowjetzeit herrührenden Monumenten von vornherein Lüge und Propaganda unterstellen, während man selbst offenbar die historische Wahrheit gepachtet zu haben glaubte.
Dem Ukrainischen Institut zufolge sollte das Symposium "Experten aus Wissenschaft, Kultur und Politik" zusammenbringen, "um zu erörtern, wie zeitgenössische Gesellschaften mit dem Erbe sowjetischer Denkmäler in Europa umgehen". Als weitere Veranstalter wurden das Auswärtige Amt (als finanzieller Unterstützer), die Botschaften der drei baltischen Staaten sowie das polnische und das litauische Kulturinstitut genannt. Weitere am Symposium Beteiligte waren der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, das Museum Berlin-Karlshorst sowie die Deutsch-Ukrainische Historische Kommission.
An den beiden Novembertagen sollte "die Rolle der Denkmäler aus der Sowjetzeit und die sie umgebenden Narrative" in rechtlicher, politischer und kultureller Hinsicht untersucht werden, ebenso eine mögliche Instrumentalisierung "im aktuellen geopolitischen Kontext" – womit wohl der Ukraine-Krieg gemeint war. Anhand internationaler Erfahrungen "im Umgang mit dem Erbe der Sowjetherrschaft" wollte man diskutieren, welche Lehren für Deutschland gezogen werden könnten. Eingeladen waren "deutsche und internationale Historiker, Rechtswissenschaftler, Künstler, Kuratoren und politische Entscheidungsträger", mit denen man Ansätze "zur Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit" erarbeiten wollte. Denkmäler aus der Sowjetzeit würden schließlich "das kollektive Gedächtnis und den politischen Diskurs in ganz Europa bis heute prägen".
Zweierlei fällt auf: Zum einen war der eigentliche Rechtsnachfolger der Sowjetunion, die Russische Föderation, nicht mit Vertretern an der Tagung beteiligt. Anscheinend wurden die Russen nicht eingeladen. Zum anderen mischten sich die beteiligten baltischen und osteuropäischen Staaten, die den Deutschen beim Umgang mit dem als problematisch empfundenen sowjetischen Erbe helfen wollen, in ein Thema ein, das sie zunächst einmal nichts angeht.
Denn der Fortbestand der sowjetischen Monumente und Kriegsgräberstätten ist rechtlich in Verträgen zwischen Deutschland und der Sowjetunion beziehungsweise Russland niedergelegt. Geregelt wurde dieser Komplex in einem Brief der beiden deutschen Außenminister im Rahmen des Abschlusses des Zwei-plus-Vier-Vertrages im September 1990 sowie im Deutsch-Russischen Kriegsgräberabkommen von 1992. In beiden Abkommen verpflichten sich die Deutschen, die in Deutschland befindlichen Weltkriegsdenkmäler und sowjetischen Kriegsgräberstätten zu achten und zu erhalten.
Dabei wollte man es aber offenbar nicht mehr belassen, auch wenn man nicht damit rechnete, gleich "unmittelbare politische Ergebnisse zu erzielen". Die Monumente zu sprengen oder die Toten auszugraben und an abgelegenere Orte zu verlegen, wie im Baltikum und in Polen geschehen, also einen offenen Vertragsbruch, wird man in Deutschland voraussichtlich (noch) nicht wagen. Aber die Tagesordnung und Zitate der Symposiumsteilnehmer deuteten an, wohin die Reise geht.
How do Soviet monuments shape Europe’s public space and memory? What narratives do they preserve, and what new meanings do they acquire in changing political contexts?1/5 pic.twitter.com/dNwMZO0Cad
— Ukrainisches Institut in Deutschland (@UA_Institute_DE) October 24, 2025
In Panel 1 wurden die sowjetischen Monumente als "schwieriges Erbe" bezeichnet – wobei sich schon die Frage stellt, warum und für wen sie "schwierig" sind. Es würde doch einfach reichen, sie zu pflegen und freien Zugang zu ihnen zu gewährleisten. Referenten waren die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, der ukrainische Botschafter Alexei Makejew sowie der frühere lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks.
Die Rechtswissenschaftlerin Ana Milošević beleuchtete in einem Impulsvortrag, wie man "Übergangsjustiz durch Denkmäler neu denken" könne. Sie wird mit der Forderung zitiert, die Denkmäler sollten nicht ausgelöscht werden, vielmehr müssten "die Geschichten, die sie umgeben, neu geschrieben werden". Sollte hier ausgelotet werden, wie weit man bei der Entfremdung der Denkmäler von ihrem eigentlichen Zweck gehen kann, ohne formal gegen die völkerrechtlich bindenden Verträge zu verstoßen?
Das anschließende Panel "Rechtliche Rahmenbedingungen für die Arbeit mit komplexem Kulturerbe" deutet darauf hin. Teilnehmer waren der Direktor des Museums Berlin-Karlshorst Jörg Morré, eine Angestellte der Senatsverwaltung, die für das Friedhofswesen der Stadt Berlin zuständig ist, der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick Oliver Igel, ein Referatsleiter der Kriegsgräberfürsorge sowie ein Fachbereichsleiter des Museums Berlin-Pankow (in Pankow – Schönholzer Heide – steht übrigens das dritte sowjetische Ehrenmal Berlins). Schon die Zusammensetzung aus Personen, die mit der praktischen Gedenkstättenarbeit befasst sind, zeigt, dass es um mehr als nur um einen allgemein gehaltenen gegenseitigen Gedankenaustausch ging.
Ein heißer Herbst in der polnischen Botschaft im Zentrum Berlins. Fast täglich organisieren wir gemeinsam mit unseren Partnern Veranstaltungen für hunderte Gäste. Heute endete das zweitägige Symposium „Echoes of Empire: Soviet Monuments and the Machinery of Disinformation”.… pic.twitter.com/enw3eyZIsq
— Botschaft Polen DE (@PLinDeutschland) November 7, 2025
Auch Panel 4 ("Instrumentalisierung von Erinnerung: Falsche Narrative und Propaganda") und 5 ("Kreative Praktiken des Erinnerns und Umdeutens") erwecken den Eindruck, man wolle die Ehrenmale antasten. Zwar nicht in ihrem Bestand, aber in ihrem eigentlichen Sinn. Unter "kreativen Praktiken" lassen sich schließlich alle möglichen Varianten des Verhüllens und Verstellens vermuten, ohne dass man die Monumente unwiederbringlich zerstören muss.
Pabriks artikulierte es schließlich deutlich genug: Sowjetische Symbole hätten in der freien Welt keinen Platz mehr; wenn man sie toleriere, gefährde man die eigene moralische Integrität. Und die Estin Lina Kaljundi möchte "konkrete Rekontextualisierungen umstrittener Denkmäler" entwickeln. Für den ukrainischen Historiker Andrei Portnow wiederum stellte sich die Frage nach den sowjetischen Soldatenfriedhöfen in Deutschland. Es sei "angesichts des andauernden Krieges Russlands gegen die Ukraine" zu hinterfragen, ob sie "weiterhin als 'russische' Gedenkstätten behandelt" werden sollten.
Berin strebt #Geschichtsrevision an: Sowjet-Denkmäler für Sieger über Hitler-Faschismus sind für Banderisten und Co. ein Dorn in Auge. Richtig @Pabriks, sie sind dafür da um Zweifel und Misstrauen zu säen. Unter den #Nazis und sonstigen Erbauer des Vierten Reiches wie Sie! pic.twitter.com/cC2llHQFZr
— Wlad Sankin (@wladsan) November 8, 2025
Insbesondere die sowjetischen Ehrenmale in Treptower Park und Tiergarten (Letzteres wurde fast genau vor 80 Jahren, am 11. November 1945, eingeweiht) sind etlichen Gruppen schon lange ein Dorn im Auge, seien es national Gesinnte, die die deutsche Niederlage nicht anerkennen wollen, oder Ukraine-Anhänger, die ihre russophobe Ader im Februar 2022 entdeckt haben. So hatte der CSU-Bundestagsabgeordnete Lorenz Niegel im November 1975 das Denkmal im Tiergarten als "demütigendes Siegerdenkmal im freien Teil der Stadt Berlin" bezeichnet. Bereits 1970, ebenfalls im November, hatte der Westberliner Rechtsterrorist Ekkehard Weil einen Anschlag auf einen am Ehrenmal aufgestellten Wachsoldaten unternommen. Iwan Schtscherbak überlebte schwer verletzt.
Im Frühjahr 2014 hatten Bild und B. Z. mittels einer Petition versucht, die beiden am Tiergarten-Denkmal aufgestellten sowjetischen Panzer entfernen zu lassen. Die Begründung: "In einer Zeit, in der russische Panzer das freie, demokratische Europa bedrohen, wollen wir keine Russen-Panzer am Brandenburger Tor." Die Senatsverwaltung hatte sich damals geweigert. Aber steter Tropfen höhlt den Stein, dachte sich wohl die Berliner CDU-Abgeordnete im Abgeordnetenhaus Stefanie Bung und forderte im Jahr 2022 ebenfalls, die Geschütze und Panzer vor dem Ehrenmal als Symbole "der aggressiven und territoriale Grenzen und Menschenleben missachtenden Kriegsführung des Putin-Regimes" zu entfernen. Die sowjetischen Großwaffen stehen immer noch da, allerdings wurden sie im Frühjahr desselben Jahres kurzfristig mit jeweils einer Ukraine-Flagge verhüllt.
Zuletzt stießen sich die beiden SPD-Politiker Andreas Geisel und Alexander Freier-Winterwerb an der Gestaltung des Treptower Ehrenmals ("Zu viel stalinistischer Bombast, es geht zu wenig um die gefallenen Soldaten") und pochten in Zusammenarbeit mit dem Verein Memorial im Oktober 2025 auf eine geschichtspolitische Einordnung des Monuments. Laut Freier-Winterwerb soll in Zukunft betont werden, dass der Zweite Weltkrieg nicht mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion begonnen habe, "sondern mit dem Hitler-Stalin-Pakt und der gewaltsamen Aufteilung Polens und der baltischen Staaten". Man müsse deutlich machen, dass Russland Polen überfallen habe und es sich bei den baltischen Republiken um okkupierte Gebiete gehandelt habe, so der ehemalige Innensenator Geisel.
Die Befreiung Europas wiederum sei das Werk vieler Nationen gewesen, auch Polens, der Ukraine und Weißrusslands. Infotafeln sollen vor allem die inkriminierten Stalin-Zitate kontextualisieren und über die stalinistischen Verbrechen informieren. Schließlich beziehe sich der russische Präsident Putin heutzutage auf den Großen Vaterländischen Krieg, instrumentalisiere die Erinnerung daran und führe den Imperialismus Stalinscher Prägung fort. Auch die Bewegungsfreiheit der Besucher soll eingeschränkt werden – im Namen der Pietät. Vorgeschlagen wird eine gartentechnische Abgrenzung des Gräberfeldes, "damit niemand auf den Gräbern herumläuft oder ein Sonnenbad nimmt".
Bereits im Juli 2025 hatte Freier-Winterwerb eine Anfrage zu den Stalin-Zitaten am Treptower Ehrenmal gestellt (Drucksache 19/23 614). In seiner Antwort bejahte die Senatsverwaltung die Notwendigkeit einer Kontextualisierung. Man beabsichtige, die bestehenden Informationstafeln zu überarbeiten. Eine Veränderung oder Entfernung einzelner Elemente sei jedoch aus denkmalschützerischen und völkerrechtlichen Gründen ausgeschlossen.
In diesen Kontext muss man das Symposium in der polnischen Botschaft einordnen. Auch wenn der Besuch der Gedenkstätten am 8. und 9. Mai durch Kontrollen auf der Suche nach Georgsbändern und sowjetischen Symbolen schon erheblich erschwert wurde, finden sich für den Geschmack der Russophoben immer noch zu viele Gedenkwillige jedes Jahr an den sowjetischen Ehrenmalen ein. Offenbar hofft man, durch geschichtliche Umdeutung und Kontextualisierung – also Einordnung in das eigene Narrativ –, vielleicht auch durch Einzäunung bestimmter Flächen immer mehr Menschen den Besuch der Ehrenmale verleiden zu können. Je weniger Besucher sich aber einfinden, desto schneller geraten die Gedenkorte in Vergessenheit – und damit das, woran sie erinnern sollen: die nationalsozialistischen Verbrechen und die ungeheuren Opfer, die die Sowjetvölker bei der Niederringung des nationalsozialistischen Deutschland erbringen mussten.
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