
Fackelrituale und Lumpenpazifismus – Was hat die Feuertaufe der Litauen-Brigade zu bedeuten

Von Wladislaw Sankin und Astrid Sigena
Mittlerweile hat sich auf der Plattform X eine lebhafte Debatte um das Bundeswehr-Video entwickelt, wobei viele Diskutanten das Video zunächst für eine Fälschung hielten. Unter den bekannteren deutschen Publizisten nahmen sich als Erste Susann Witt-Stahl ("Militarismus in finsterster Tradition"; "archaisches Kriegerritual im Feuerschein") und Florian Warweg des Themas an ("ein astreines Propaganda-Video", das der Schaffung einer angeblich notwendigen Kriegstüchtigkeit diene). Warweg selbst wiederum hatte sich wiederum auf Jürgen Müller bezogen, den die in dem Videoausschnitt dargestellte Szene an eine Sekte erinnerte. Es sei "kein Fake und keine KI, sondern der in Video gegossene Ausdruck von Wahnsinn".
Zur gleichen Zeit griff die BSW-Politikerin Sevim Dağdelen das Video auf und hielt es für nötig, gleich die ganz schweren Geschütze aufzufahren. Dass es sich um eine "Anlehnung an NS-Ästhetik ... im Propaganda-Video des Deutschen Heeres an der Ostfront" handele, war für die frühere Bundestagsabgeordnete eine ausgemachte Sache. Es stellte sich ihr nur die Frage: "Zufall oder Absicht?" Auf diese Unterstellung einer Anleihe an nationalsozialistisches Brauchtum reagierten etliche Kommentatoren mit dem Vorwurf, Dağdelen habe einen "Nazi-Fetisch" oder leide unter einer "Nazi-Psychose".

Mittlerweile hat sich auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht zu dem feurigen Treiben der Brigade Litauen geäußert, ebenfalls auf der Plattform X. Sie blieb auf Dağdelens Linie eines NS-Revivals, sprach von "Fackelästhetik aus dunkelsten Zeiten" und fühlte sich an das Jahr 1935 erinnert, "als das Deutsche Heer noch Wehrmacht hieß". Sorgen bereite Wagenknecht, wie das Video bei der Atommacht Russland ankomme. Die BSW-Poltikerin gibt sich geschockt. Ihr habe es geradezu die Sprache verschlagen, als sie das Video gesehen habe, so Wagenknecht.
Dağdelens Nazi-Keule wiederum erboste den AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen, seines Zeichens Verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und früherer Offizier bei den Heeresfliegern (letzter Dienstgrad: Oberst). Er meinte, das Deutsche Heer gegen die erhobenen Vorwürfe einer Nazi-Traditionspflege verteidigen zu müssen und teilte seinerseits heftig aus: "Linke", "Lumpenpazifisten" und Rechte "mit Bürostuhl-Ritterkreuz" fielen nun über die Bundeswehr her und zerrissen sich "ihre Schandmäuler". Es handele sich dabei um Leute, die allesamt "keine Erfahrung in der deutschen Militärkultur" hätten und niemals Teil "dieser Kaste" gewesen seien. Wer die soldatische Kultur in den Dreck ziehe, ohne selbst je gedient zu haben, sei "im besten Fall ein ambitionsloser Wicht, im schlimmsten Fall ein vaterlandsloser Lump". Das Freilich Magazin sprach von einem "fast schon verstörend erratischen Kommentar". Auf Facebook setzte Lucassen sogar noch einen drauf und bedankte sich bei Generalleutnant Freuding dafür, "dass er bei dem Appell im Rahmen seines Truppenbesuchs bei unseren Streitkräften in Litauen soldatische Tugenden mit Leben" gefüllt und Korpsgeist geweckt habe.
Mit der Bundeswehr an der russischen Grenze scheint die AfD offenbar kein Problem zu haben. Und die Anleihen bei NS-Fackelmärschen zum Selbstermutigen gelten dann wohl als Militärkultur.Eine Friedenspartei sieht eben anders aus. https://t.co/c98OmSxtaY
— Sevim Dağdelen (@SevimDagdelen) October 27, 2025
Man sieht, Dağdelen hatte es Lucassen mit ihrer Konzentration auf eine angebliche nationalsozialistische Ästhetik leicht gemacht, vom eigentlichen Kern der Sache abzulenken und sich als Verteidiger einer in ihrer Ehre angetasteten Bundeswehr aufzuspielen. Tatsächlich ist der Vergleich mit nationalsozialistischen Riten (man denkt da als Erstes wohl an den Fackelmarsch bei der Machtergreifung oder an andere mit Fackeln und Appellen verbundene Riten) recht oberflächlich. Dağdelen war aber mit ihrer Anmutung nicht allein, denn auch Tobias Riegel von den NachDenkSeiten schrieb, dass die verwendete Symbolik mit Fackelschein und Wappen "an dunkelste Zeiten" (also wohl an den Nationalsozialismus) erinnere. Die BSW-Politikerin zog denn auch ihre NS-Unterstellung nicht zurück, sondern bestätigte sie nochmals in ihrer Entgegnung auf Lucassens Post. Auch ausländische Beobachter, zum Beispiel polnische X-Nutzer, verknüpften das Szenario mit der Wehrmacht.
Lucassen seinerseits gab keine Auskunft darüber, um welchen Brauch der deutschen Militärkultur es sich denn beim Freudingschen Fackelritual handele. Offenbar genügte es ihm, auf das Geheimwissen seiner "Kaste" zu pochen und den Rest der Bürger, die nicht der Kriegerkaste angehören, im Unwissen zu lassen. Tatsächlich gibt es in der deutschen Militärtradition ein Ritual, in dem Fackeln eine bedeutende Rolle spielen, der sogenannte "Große Zapfenstreich". Die Widmung dieses Zeremoniells gilt als eine große Ehre und wird vor allem verdienten Militärs und hohen Politikern zuteil. Aber auch bei öffentlichen Gelöbnissen und beim Abschluss von Manövern hat der Große Zapfenstreich als Abendveranstaltung seinen Raum. Der Große Zapfenstreich wurde zwar auch während der Zeit des Nationalsozialismus (zum Beispiel bei Hitlers Geburtstag) durchgeführt, ursprünglich stammt er jedoch aus der preußischen Militärtradition der Befreiungskriege und hat sogar Elemente des russischen Militärs aufgenommen. Dementsprechend wurde das Ritual sowohl in der Bundeswehr als auch in der NVA (in der preußisch angehauchten Endphase der DDR) weiterbetrieben.
Was Lucassen aber außer Acht lässt: Mit dem Großen Zapfenstreich hat zumindest der Filmausschnitt, den uns die Bundeswehr aus Litauen zukommen lässt, wenig zu tun (wenn man die Fackeln außer Acht lässt): Weder findet sich darin der traditionelle Yorcksche Marsch von Ludwig van Beethoven noch der Befehl "Helm ab zum Gebet", der dem Ganzen ein christliches Gepräge gibt. Das Ganze wirkt eher wie eine Improvisation. Von dem Umstand, dass sich die Bundeswehr in Litauen in Frontstellung gegen Russland befindet und ihr künftiger, von Freuding besichtigter Standort im Wald von Rūdninkai einst Rückzugsgebiet jüdischer Partisanen im Kampf gegen die nationalsozialistischen Häscher war, ganz zu schweigen. Lucassen geht auch nicht auf den martialischen Inhalt von Freudings Rede (kriegstüchtige Ausbildung, "siegen können") ein, der Befürchtungen weckt, dieser Appell sei der Vorbote eines schon beschlossenen Krieges.
Anstelle traditioneller Märsche oder des Chorals "Ich bete an die Macht der Liebe" hat es die Bundeswehr für gut befunden, das Ritual mit dem Nazgûl-Motiv aus der Film-Trilogie "Herr der Ringe" zu unterlegen – was auch vielen der Kommentatoren auf X aufgefallen ist. Nur in der Deutung war man sich uneinig. Die Filmmusik gibt dem ganzen Szenario in den vom Fackelschein erleuchteten baltischen Wäldern einen düsteren, heidnischen Touch. Da der Missbrauch der Tolkienschen Fantasiewelt während des laufenden Ukraine-Kriegs schon allseits bekannt ist (mit der rassistischen Verunglimpfung der Russen als bestialisch-dumpfe "Orks"), lag es eigentlich nahe, diesen Gebrauch des Nazgûl-Themas durch die Bundeswehr nur als weiteren Dämonisierungsversuch zu deuten – mit den deutschen Soldaten als Verteidiger Gondors.
Zeitenwende: #Bundeswehr hat auf Insta ein astreines Propaganda-Video veröffentlicht, mit dem neuen🇩🇪Heereschef, Generalleutnant Christian Freuding als Protagonisten: Der appelliert dort an🇩🇪Kriegstüchtigkeit & "siegen können, wenn es darauf ankommt":pic.twitter.com/VlYJ1Q0tDf…
— Florian Warweg (@FWarweg) October 27, 2025
Dem widerspricht jedoch, dass die Musik-Unterlegung eindeutig affirmativ wirken soll. Gezeigt wird ja, wie Freuding zu dieser Melodie beschwingt auf seine Soldaten zuschreitet, nicht die (vorgebliche) russische Bedrohung. Die Musik soll diese Aufbruchsstimmung, die in Freudings Rede der Brigade Litauen unterstellt wird, unterstreichen. Deshalb ist es nicht von vornherein abwegig davon auszugehen, dass der Ersteller des Videos seine Bundeswehrkameraden mit den Nazgûlen identifiziert, vielleicht in dem Wunsch, die Krieger in den litauischen Wäldern mögen unter ihren Feinden ebenso viel Furcht und Schrecken verbreiten, wie das die Nazgûl bei Tolkien tun. Letzteres ist eine Spekulation, aber ganz offensichtlich verortet das Video die Bundeswehrsoldaten auf der finsteren Seite.
Dazu passt, dass "Nazgûl" schon das Rufzeichen der deutschen Heeresflieger während des Afghanistan-Einsatzes war, wie ein aufmerksamer Kommentator auf X bemerkte. Also lange bevor sich Deutschland in die Konfrontation gegen Russland hineinbegab. Ein anderer X-Nutzer verwies darauf, dass bereits die Deutsche Marine im vergangenen Jahr bei ihrem Einlaufen in die Metropole London den imperialen Marsch aus der "Star-Wars"-Reihe zum besten gegeben hatte – sehr zum Befremden britischer Medien. Es handelt sich dabei um ein Musikstück, das für gewöhnlich mit dem Schurken Darth Vader in Verbindung gebracht wird. Wie Darth Vader waren auch die Nazgûl genannten Ringgeister einst Menschen, die sich dann einer bösen Macht verschrieben. Stellt sich also die Bundeswehr bewusst auf die "Dunkle Seite der Macht"? Oder ist das einfach nur eine Form von Selbstironie (die Deutschen als die ewigen Bösewichter)?
Freudings Zeremonie in den litauischen Wäldern ist von einer düsteren Spiritualität. In einem heidnisch anmutenden Szenario, des Ausschnitts, den wir zu sehen bekommen, soll die Waffenbrüderschaft zwischen Deutschen und Litauern beschworen werden. Nicht umsonst zeigt das in der Flammenschale aufscheinende Wappen der Panzerbrigade 45 auf der einen Seite den deutschen Stauferlöwen, auf der anderen Seite den litauischen Gediminas-Turm, getrennt von einem Schwert mit Jagiellonen-Kreuz. Dieses deutsch-litauische Bündnis wird gewissermaßen in Feuer getauft. Hier geht es um mehr als nur um den Schutz eines NATO-Partners. Freudings Verheißung an seine Soldaten: "Sie bauen hier etwas auf, was Bestand haben wird" klingt nach Landnahme. Der Gedanke an die Ostkolonisation des mittelalterlichen Reiches liegt nahe. Und durch das Fackelzeremoniell wird eine spirituelle Besetzung des Raumes, gewissermaßen seine Weihe vollzogen.
Das Fackelritual der Brigade Litauen blieb auch in Russland nicht unbemerkt. Das Telegram-Portal "Kanzlerdaddy" schrieb von einem heidnischen Ritual, um die Kampfmoral der Verbündeten zu stärken. Auf Ostashko-News fühlte man sich nicht nur an die Riten Nazi-Deutschlands erinnert, sondern auch an die heidnischen Rituale des Asow-Bataillons. Und an letzterem könnte tatsächlich etwas dran sein. Die Asow-Bewegung (und generell ukrainische Nationalisten) liebt es, mit Fackeln und Flammen aufzutreten. Bekanntermaßen hat Generalleutnant Freuding Bezüge zu Asow: Den 9. Mai (in der postsowjetischen Welt der Tag des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland) verbrachte der deutsche Offizier offenbar mit Oleg Romanow, dem Kommandanten der aus Asow hervorgegangenen ukrainischen Paskuda-Gruppe. Oder wie der deutsch-türkische Historiker Tarik Cyril Amar trocken unter Dağdelens Post konstatierte:
"Freuding hat sich viel zu lang in der Ukraine aufgehalten. Stabil war er sicher nie, aber das (hat) ihm den Rest gegeben."
Und zuletzt: Welchen Eindruck machte der Feuer-Appell auf die Soldaten derjenigen Streitkraft, die laut Generalleutnant Freuding von der Bundeswehr "im Fall der Fälle" besiegt werden müsse? Uns liegen die Einschätzungen eines Fronthelfers und eines Soldaten einer Sturm-Einheit vor, die das Video des Deutschen Heeres angesehen haben. Diese geben wir ungeschminkt weiter.
"Das ist bloß eine dämliche Prahlerei", sagte Jegor, der freiwillige Fronthelfer. Er sammelt Spenden für die Soldaten einer Sturm-Einheit und beliefert sie regelmäßig mit Wasser, Medikamenten und notwendiger technischer Aufrüstung. Die Szenenpracht, Feuer, Kriegsgerät und viel Ausrüstung am Körper wiesen auf ein Unsicherheitsgefühl hin, das diese Soldaten plage.
"Der mit Erfolg absolvierte Marschlauf von 40 Kilometern mit einer Flussüberquerung unter extremen Bedingungen sollte die Nachricht sein, aber nicht das. Diese Meute wird nach dem ersten Kampf einfach wegrennen."
Jegor beliefert unter anderen Walentin, der Mitglied einer Sturmgruppe ist. Er bewertete das Video ähnlich. Dies sei ein reiner Werbespot, der für Instagram gedreht worden sei, mit echter Kriegstüchtigkeit habe das nichts zu tun. Die Männer, die in dem Video gezeigt werden, seien Soldatendarsteller. "Es gibt nur wenige in Deutschland, die bereit, sind eine Waffe in die Hand zu nehmen", ist er sich sicher. Für die heidnischen Anklänge der Szenerie hat er hingegen Verständnis. Heidentum sei kriegerisch. Aber wahrer Kampfgeist sei diesen Soldaten fremd, einem militärischen Konflikt von hoher Intensität, wie es der Ukraine-Krieg nun mal sei, seien sie nicht gewachsen.
"Die militärische Sonderoperation hat gezeigt, dass es in Russland genug Männer gibt, die bereit sind, Waffe in die Hand zu nehmen."
Vor einem Krieg gegen Russland warnt Walentin. Wenn Deutschland "genug Hirnmasse" habe, werde es alles dafür tun, das zu vermeiden. "Dann verliert Deutschland alles – die letzten wenigen kampffähigen Männer und ihr Land, das dann von Migranten übernommen wird." Sollte es aber doch zu einem Krieg mit Deutschland kommen, dann sei er gerne bereit, auch in diesen Kampf zu ziehen.
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