Deutschland

Wehrpflicht-Wende bei der AfD: Hier hat die Basis das Sagen

Bei der Suche nach den Ursachen für die überraschende Wende beim Thema Wehrpflicht kommt man an der AfD-Basis nicht vorbei. Ihre tendenziell positive Einstellung zum Wehrdienst als wünschenswerte Schule der Disziplin für die Jugend heißt jedoch nicht, dass sie eine Wiedereinführung in der jetzigen Lage unterstützt.
Wehrpflicht-Wende bei der AfD: Hier hat die Basis das SagenQuelle: Legion-media.ru

Von Astrid Sigena und Wladislaw Sankin

Am Dienstagnachmittag hatte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel während einer Pressekonferenz die Bombe platzen lassen: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Tino Chrupalla gab sie bekannt, die AfD-Fraktion werde auf absehbare Zeit das Projekt einer Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht weiterverfolgen. Zu riskant sei unter der Regierung Merz die Rückkehr der Wehrpflicht. Die AfD stehe in der Verantwortung, deutsche Soldaten vor einem Einsatz im Ukraine-Krieg zu bewahren. An einer grundsätzlichen Bejahung der Wehrpflicht will die AfD jedoch festhalten (RT DE berichtete).

Derweil rätselt die deutsche Presselandschaft immer noch herum, was die AfD-Fraktion – die mehrheitlich als wehrpflichtaffin gilt – zu diesem Schwenk bewogen hat. Immerhin hatten die AfD-Verteidigungspolitiker in den vergangenen Monaten einen eigenen Gesetzentwurf zugunsten der Wiedereinführung der Wehrpflicht vorbereitet, der im Herbst im Plenum vorgelegt werden sollte. In den letzten Wochen mehrte sich zwar der Widerspruch aus den Reihen hochrangiger Ostpolitiker wie Björn Höcke ‒ es sah aber nicht danach aus, als könnten sich die gegenüber den Westverbänden quantitativ unterlegenen ostdeutschen AfD-Parteikollegen diesbezüglich durchsetzen.

Die BILD erklärt sich die wehrpolitische Wende der AfD-Fraktion mit Drückebergerei. Die AfD drücke sich vor einem Wehrdienstbeschluss, heißt es in der Titelzeile. Die AfD sei "angetreten zum großen Wegducken". Man habe sich nicht auf ein gemeinsames Wehrdienstkonzept einigen können. Zitiert wird ein namentlich nicht genanntes Fraktionsmitglied mit dem Vorwurf: "Bei Teilen der Fraktionsspitze ende der Patriotismus beim Wehrdienst." Die AfD als ein Haufen unpatriotischer, zerstrittener Drückeberger? Wohl kaum!

Die bezüglich der AfD-Bundespolitik für gewöhnlich gut informierte Junge Freiheit erklärte Co-Fraktions- und Parteichef Tino Chrupalla zum großen Sieger der innerparteilichen Auseinandersetzung. Er stehe vor einem seiner größten Erfolge. Auf seine Initiative hin verabschiede sich "die AfD-Spitze still und heimlich von der Wehrpflicht". Henning Hoffgaard von der Jungen Freiheit deutet dies auch als Revanche des Sachsen. Er habe seine Niederlage bei einer Mitgliederumfrage zum Thema Wehrpflicht nie verwinden können. Mittlerweile sei es ihm als heimlichem Strippenzieher hinter den Kulissen gelungen, die explizite Wehrpflichtbefürworterin Alice Weidel auf seine Seite zu ziehen.

Bei seinem Kampf gegen eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht zum jetzigen Zeitpunkt nutze Chrupalla auch die Abwesenheit einiger Fraktionsmitglieder aus, die als dezidierte Wehrpflicht-Fans gelten. Laut Hoffgaard spielen auch Animositäten innerhalb der Fraktion eine Rolle. Das Chrupalla-Lager habe damit dem Baden-Württemberger Markus Frohnmaier eins auswischen können, der vor einigen Monaten den russlandfreundlichen Sachsen Matthias Moosdorf um das Amt des außenpolitischen Sprechers der AfD-Fraktion brachte. Ist die Wehrpflicht-Wende also aus Intrigen und Ranküne geboren?

Wieder andere Kommentatoren sehen das Höcke-Lager siegreich. Es habe sich in der AfD zumindest bei diesem Thema durchgesetzt. Der thüringische Landespolitiker Höcke sitzt zwar selber nicht im Bundestag, sein Vertrauter Stefan Möller (seit diesem Februar Bundestagsabgeordneter und Fraktionsmitglied) soll aber eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Presseberichten zufolge stellte er im Namen von zwei Dutzend Abgeordneten einen Gegenantrag zum Gesetzentwurf der Wehrpflichtbefürworter, der die Beendigung des Ukraine-Konflikts zur Bedingung einer Wiedereinführung der Wehrpflicht machte. Diese These erklärt allerdings immer noch nicht, wie sich die (eigentlich zahlenmäßig unterlegenen) Wehrpflicht-Kritiker durchsetzen konnten.

Dass die Parteibasis bei dieser Entwicklung eine Rolle gespielt haben könnte, darauf kommt keiner der Kommentatoren. Dabei gibt es Hinweise, dass sich gerade in Ostdeutschland bei Parteiversammlungen und AfD-Bürgertreffs zunehmend Widerstand gegen die Wehrpflicht-Pläne der Bundestagsfraktion artikuliert hat. Heftig diskutiert wurde das Thema bei den Bürgerdialogen mit den AfD-Abgeordneten in Gosen-Neu Zittau, Burg Stargard, Genthin, Berlin-Köpenick und vielen anderen Orten. 

Oft reichte nur eine mutige Person, die ihre Bedenken gegenüber den anwesenden Parteipolitikern zum Ausdruck brachte, um die Schleusen zu öffnen. Viele weitere Parteianhänger fanden dann den Mut, ihre Stimme zu erheben. Es kam zu Drohungen, man würde sich eine andere Partei suchen, wenn der Wehrpflichtantrag ins Plenum eingebracht würde. Und gerade bei den Wehrpflicht-Gegnern scheint es sich oft um besonders engagierte Parteimitglieder und wichtige Multiplikatoren zu handeln, auf die keine Partei verzichten kann.

Verteidiger einer zeitnahen Wiedereinführung der Wehrpflicht in der AfD hatten immer wieder auf Umfragen hingewiesen, die eine Präferenz von AfD-Anhängern zugunsten der Wehrpflicht nachweisen. Auch eine nichtöffentliche Umfrage unter Parteimitgliedern hatte im Dezember 2024 eine Mehrheit von 71,5 Prozent der Teilnehmer für den Vorschlag ergeben, die Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht ins Wahlprogramm zu schreiben.

Aber offenbar heißt eine prinzipielle Bejahung der Wehrpflicht nicht, dass AfD-Anhänger – insbesondere in Ostdeutschland – diese zum jetzigen, geopolitisch hochbrisanten Zeitpunkt wünschen. Zumal sowohl medial als auch aus der Politik vermittelt wird, die Rekrutierung junger Leute sei notwendig wegen einer (angenommenen) Bedrohung aus Russland. Selbst Leute, die die Wehrpflicht wegen ihrer disziplinierenden Wirkung schätzen, werden da stutzig. Kämpfende deutsche Soldaten in den Weiten der Ukraine oder gar Russlands – das wollen sie dann doch nicht. Gerade die letzten Wochen, in denen die Politik der Regierung Merz immer mehr auf eine Konfrontation mit Russland hinauslief, dürften zu einem Bewusstseinswandel beigetragen haben.

Damit kommt 35 Jahre nach der Wiedervereinigung dem Standort Ost eine besondere friedenspolitische Rolle zu. Im Gegensatz zu den westdeutschen AfD-Anhängern scheinen die ostdeutschen AfD-Wähler zu begreifen, dass Aufrüstung und Wiedereinführung der Wehrpflicht auf einen Krieg mit Russland hinauslaufen ‒ den sie natürlich nicht begrüßen. Hier könnte bei den älteren Jahrgängen auch die Sozialisierung in der NVA eine Rolle spielen. Diese wird von den ehemaligen DDR-Bürgern heute als Friedensarmee gepriesen. Außerdem waren in der NVA die (Ost-)Deutschen die Waffenbrüder der Russen. Eine Waffenbrüderschaft, die den Westdeutschen vollkommen fremd ist.

Der Erfolg der Wehrpflichtskeptiker in der AfD zeigt, wie viel gut informierte, kritische und zugleich beherzte Einzelne erreichen können, indem sie andere aufklären und mutig das Wort ergreifen. Dass sich die AfD zumindest in diesem Punkt dem Fortschreiten Deutschlands auf dem Weg zur Kriegstüchtigkeit verweigert, ist ihr Verdienst. Wie auch schon in der Corona-Zeit hat offenbar die Basis den richtigen Instinkt bewiesen.

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