
Stand der Kriegsvorbereitung im Gesundheitswesen – Zivilbevölkerung wird zuletzt behandelt

Von Felicitas Rabe
Bereits im Jahr 2023 erklärte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, Deutschland müsse bis 2029 "kriegstüchtig" werden. Damit habe er zum Ausdruck gebracht: "Es wird Krieg geben, und wir bereiten uns darauf vor." Mit dieser Einleitung eröffnete Nadja Rakovic vom Verband demokratischer Ärzte die Veranstaltung: "Wir werden Euch im Kriegsfall nicht helfen können! – Militarisierung und Widerstand im Gesundheitssystem" auf dem antimilitaristischen Camp "Rheinmetall-Entwaffen" am Mittwoch.

Was "kriegstüchtig machen" bedeute? Sämtliche gesellschaftlichen Bereiche seien von der Kriegsvorbereitung betroffen – ganz besonders das Gesundheitssystem. Dieses sei ein ganz zentraler Bereich für die Militarisierung, der durch die geforderte Kriegstüchtigkeit völlig umgestaltet würde. Gleichzeitig sei die medizinische Versorgung aber auch essenziell für die Gesellschaft. Welche Folgen das mit sich bringe, würde auf der Veranstaltung diskutiert, fasste Nadja Rakovic das Thema zusammen.
Neue Triagekriterien: Leichtverletzte Soldaten zuerst behandeln, Zivilisten zuletzt
Die Umgestaltung zur Kriegstüchtigkeit beträfe im Gesundheitswesen nicht nur die medizinische Infrastruktur. Als Beispiel führte die Referentin die sogenannte Triage an. Triage ist ein Entscheidungsverfahren, wonach Ärzte im Falle von vielen Verletzten entscheiden müssen, wen sie zuerst behandeln. Unter zivilen Bedingungen behandelten sie Schwerverletzte als Erstes, um deren Leben zu retten. Dagegen würden in Kriegszeiten zuallererst die leicht verletzten Soldaten behandelt, damit sie so schnell wie möglich wieder an die Front könnten. Erst in zweiter Reihe kümmere man sich – sofern man dafür noch Kapazitäten habe – um Schwerverletzte und um Zivilisten. Fortbildungen für Mediziner beinhalteten immer häufiger die Behandlung von Kriegsversehrten, zum Beispiel bei abgerissenen Gliedmaßen und zerfetzten Innereien.
Schon seit Jahren könne man an den Beiträgen in medizinischen Fachzeitungen erkennen, wie die deutschen Ärzte auf Kriegseinsätze vorbereitet werden. So habe das Rheinische Ärzteblatt erst kürzlich den Aufsatz "Gerüstet für den Kriegs- und Krisenfall" veröffentlicht. Bereits am 21. April 2023 empfahl das US-Fachblatt Medical Tribune eine neue Post-Atombomben-App zur Hilfe bei Triage-Entscheidungen. Zudem könne man damit angeblich messen, wie viel Strahlung man abbekommen habe.
Zwangsverpflichtung von Medizinern und Pflegern im Kriegsfall
Im März 2024 kündigte der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein Gesundheitssicherstellungsgesetz an, welches die medizinische Versorgung im Katastrophen- und Kriegsfall regeln soll. Bereits in den 1980er Jahren, während des Kalten Krieges, sollte ein solches Gesetz eingeführt werden. Demzufolge würden die deutsche Ärzteschaft und alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen im Kriegsfall unter Androhung von Haftstrafen zur Versorgung des Militärs zwangsverpflichtet. Damals habe der Widerstand der deutschen Sektion der "Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzt*innen in sozialer Verantwortung" (IPPNW) das Gesetz verhindern können.
Laut dem Grünbuch zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit bräuchte das deutsche Militär im Kriegsfall pro Tag jeweils 1000 neue Betten, davon rund 33 Prozent in Intensivstationen. Zurzeit verfügten die beiden deutschen Bundeswehrkrankenhäuser aber insgesamt nur über 1800 Betten. Das hieße, dass die Bundeswehrkliniken innerhalb von zwei Tagen voll belegt wären.
Aus diesem Grund würde eben jetzt die ganze zivile Ärzteschaft auf den Kriegsfall vorbereitet, insbesondere die Chirurgen und die Anästhesisten, aber auch die Pfleger und Pflegerinnen, sowie die Rettungssanitäter. Gleichzeitig sei aber auch geplant, von den rund 17.000 Kliniken in Deutschland noch mehrere hundert zu schließen, um die Kosten im zivilen Gesundheitswesen zu senken. Da im Kriegsfall die militärische Gesundheitsversorgung priorisiert würde, so Rakovic, ginge das summa summarum mit einer erheblich reduzierten Versorgung der Zivilbevölkerung einher.
Bundeswehr bekommt Befehlsgewalt über ziviles Gesundheitspersonal
Wenig bekannt sei auch, dass für zivile Krankenhäuser Anreize geschaffen würden. Klinikleiter versuchten sich als "kriegstüchtig" zu klassifizieren, um ihre Existenz zu retten und einen Anteil von den 800 Milliarden Euro für ihr Krankenhaus zu bekommen. In der Planung sei unter anderem der Ausbau von Kliniken nach israelischem Vorbild. Unter den Universitätskrankenhäusern sollten dafür im Nachhinein Bunker mit Operationssälen gebaut werden. Man müsse schließlich nach Bombardierungen weiter operieren können.
Grundsätzlich sollten fast alle Kliniken zu Kriegskrankenhäusern umfunktioniert werden und die Bundeswehr im Kriegsfall die Befehlsgewalt über die Infrastruktur und das Personal im Gesundheitswesen übernehmen. Bereits jetzt schon bereisten Bundeswehrgeneräle deutsche Großstädte und Landtage und forderten die Kommunen auf, Konzepte zur Kriegsinfrastruktur vorzulegen.
An der Veranstaltung im Rahmen des "Rheinmetall-Entwaffnen"-Camps beteiligten sich rund 60 Menschen, darunter viele Betroffene, Pfleger, Ärzte und Rettungssanitäter. Sie berichteten aus ihrer Praxis im Gesundheitswesen und trugen viele interessante Informationen zum Stand der Entwicklung zusammen.
Ein Teilnehmer berichtete, er habe vom städtischen Mitarbeiter einer Großstadt die Information, wonach die Kommune mit so einer Konzeptentwicklung "hoffnungslos überfordert" sei. Nach Angaben eines anderen Workshopteilnehmers würden derzeit Listen von ehemaligen Pflegern erstellt. Er sei diesbezüglich bereits angeschrieben worden. Die älteren Pfleger würden im Kriegsfall zusätzlich rekrutiert. Offenbar sollte das "reaktivierte" Gesundheitspersonal auch dazu eingesetzt werden, stillgelegte Kliniken wieder in Gang zu setzen. Darüber hinaus sei man gerade flächendeckend dabei, alle Ehrenamtler zu registrieren, sei es in Turnvereinen, sei es egal wo. Auch diese Personen würde man als zusätzliche Manpower im Kriegsfall einsetzen.
Schon während ihrer Ausbildung zur Rettungssanitäterin in den Jahren 2018 bis 2021 sei sie für Kriegsszenarien ausgebildet worden, erklärte eine andere Teilnehmerin. Bundeswehrmediziner hätten Teile der Sanitäterausbildung übernommen. Dabei seien die angehenden Rettungssanitäter für bestimmte Lehrinhalte auch in die Kasernen der Bundeswehr geschickt worden. Während das Rote Kreuz nach einem neuen Gesetz mittlerweile der Bundeswehr unterstellt sei, gebe es bei den Maltesern einen ehemaligen Bundeswehrgeneral als neuen Geschäftsführer. Ein Anästhesist berichtete, dass Chirurgen und Narkosefachärzte an Unikliniken schon Triage-Fortbildungen entsprechend der Kriegslogik absolviert hätten.
Aufklärung und Widerstand
Um sich gegen die Kriegsverwendung zu wehren, sammelte die deutsche Sektion der IPPNW aktuell Unterschriften für die Frankfurter Erklärung 2.0: "Wir können Euch nicht helfen!" Dazu würden die IPPNW-Mitglieder im Oktober ein Symposium veranstalten.
Für die Aufklärung über den militärischen Umbau des Gesundheitswesens und über die Folgen für die zivile Gesundheit hat der Verband der demokratischen Ärzte die Broschüre "Wir werden Euch nicht helfen können" herausgegeben.
In der engagierten Diskussion wurde in erschreckender Weise und mit vielen Details belegt, wie sich das deutsche Gesundheitswesen auf die Versorgung von Soldaten im Kriegsfall umstellt, unter Vernachlässigung der Zivilbevölkerung. In den Medien erfährt man über die fortgeschrittene Umstellung im Gesundheitswesen vergleichsweise wenig. Zum intensiveren Austausch setzten sich die Gesundheitsarbeiter nach der Veranstaltung noch zu einem besonderen Fachtreffen zusammen. Am Ende wurde dazu eingeladen, sich an der Demonstration "Kriegskrankenhäuser verhindern" zu beteiligen, die am 13. September in Köln stattfindet.
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