
Das Gutachten des Brandenburger Verfassungsschutzes: Viele Worte, wenig Welt

Von Dagmar Henn
Je öfter man derartige Papiere aus den Büros des Verfassungsschutzes liest, desto fragwürdiger und eigenartiger kommt einem diese Behörde vor. Ja, die knapp hundertvierzig Seiten des Brandenburger Verfassungsschutzes, die das Portal Nius veröffentlicht hat, liefern durchaus neue Erkenntnisse, wenn auch nicht über die AfD.
Das beginnt mit der Heuchelei zum Einstieg: Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz "hat nur das Ziel, den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit aufzuklären und ist weder gegen den Bestand der politischen Partei gerichtet, noch wird eine Sanktion gegen die Partei, ihre Funktionäre, Mitglieder oder Unterstützer verhängt". Das ist angesichts der jüngeren Entwicklungen dreist gelogen. Als Beispiel genügen Ankündigungen, Mitglieder der AfD aus dem Staatsdienst zu entfernen, und Beschlüsse, AfD-Kandidaten den Antritt bei Kommunalwahlen zu verweigern. Man kann auch nur das Verfassungsschutzgesetz in seiner durch Nancy Faeser aufgerüsteten Fassung lesen, mit dem berüchtigten Abschnitt "wir rufen alle an".

Aber vermutlich muss man sich einreden, die eigene Tätigkeit sei harmlos, wenn man in diesen Amtsstuben seine Arbeitstage verbringt. Und sich derweil, vielleicht weil es unverbindlicher wirkt, in einer skurrilen Form scholastischer Exegese üben. Denn eines ist, da der Brandenburger Bericht nicht nur das Thema Migration, sondern auch das Thema Corona umfasst, klar: Die Frage, was in der Gesellschaft geschehen ist und geschieht, spielt keine Rolle bei dieser Betrachtung, die konsequent so tut, als gäbe es keine Welt um die gesammelten politischen Aussagen herum. Wenn beispielsweise vorgehalten wird: "Parteien und Politiker werden immer häufiger des "Verrats am deutschen Volk" bezichtigt … Wie war das noch einmal mit Nord Stream? Das ist sicher ein extremes Beispiel, aber es ist objektiv schwierig, zu bestreiten, dass das Verhalten der Bundesregierung und der überwiegenden Mehrheit der Parteien nach diesem Terroranschlag auf ein Objekt der Infrastruktur von überragender wirtschaftlicher Bedeutung die Verwendung des Begriffs "Verrat" zumindest nahelegt.
So, wie die Aussagen zum "Parteienstaat" ebenfalls vor dem Hintergrund der Corona-Maßnahmen und der damit verbundenen völligen Unterdrückung abweichender Ansichten völlig anders aussehen. Denn keine Aussage, keine politische Handlung ereignet sich in einem luftleeren Raum. Und wenn man ernsthaft die Bestrebungen einer Partei bewerten wollte, müsste man auch imstande sein, zwischen den aus der Partei erwachsenden Handlungen und jenen, in denen sich durch die Partei ein gesellschaftliches Bedürfnis artikuliert, zu unterscheiden. Andernfalls scheitert diese Behörde an ihrer eigentlichen Aufgabe; dazu später mehr.
Natürlich gibt es immer wieder auch Momente der Heiterkeit. Beispielsweise hier: "Christoph Lebek, Beisitzer im AfD-KV Potsdam-Mittelmark, beteiligte sich am 30.08.2024 am 'Volkstanz unter den Linden' in Rhinow. Diesen 'Volkstanz' organisierte u.a. der als 'Volkslehrer' bekannt gewordene Neonazi Nikolai Nerling." Nun, von Potsdam nach Rhinow, das ist nicht die Welt. Und besagter Herr Nerling war nicht einmal der Veranstalter; das war eine Übersetzerin und Kandidatin der Kleinpartei "Deutsche Mitte", Verena Blum de Sardon. Es mag ja sein, dass die Deutung, die hier wegen der Teilnahme an einer Tanzveranstaltung erfolgt, zutrifft, aber man ist dennoch versucht, mit Sigmund Freud zu sagen, "manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre".
Oder so überwältigende Aussagen wie "Bei einer Wahlkampfveranstaltung am 14.09.2024 in Bad Freienwalde befand sich in unmittelbarer Nähe der Rednerbühne ein Stand des rechtsextremistischen Magazins Compact." Auch das eine Aussage, die sich darauf reduziert, ein solcher Stand sei zugelassen worden. Natürlich wird Compact im ganzen Gutachten immer wieder als Beleg für "rechtsextremistische Verbindungen" angeführt; was aber unglaubwürdig wird, weil das von Nancy Faeser damals verhängte Verbot von Compact völlig ohne jeden Zweifel als aussagekräftig angeführt wird, obwohl bereits vor der gerichtlichen Aufhebung im Juni dieses Jahres (das Dokument des VS stammt aus dem April) durch die vorläufigen Maßnahmen des Gerichts klar war, dass Faeser hier über die Stränge geschlagen hat und ihr Verbot vermutlich nicht zu halten sein wird.
In Bezug auf einen Kandidaten der AfD wird ernsthaft angeführt, er sei im Jahr 2015 "in einem Leak von Kundendaten rechtsextremistischen Labels 'Opos Records' … den die linksextremistische Plattform 'linksunten' veröffentlichte", zu finden gewesen. Ähnliche Sprünge über viele Jahre hinweg finden sich immer wieder; Vorwürfe, die steinalt sind, werden angeführt. Aber eine Berufung auf Indymedia durch den Brandenburger Verfassungsschutz, die hat schon etwas Besonderes.
Ein schönes Beispiel für die fehlende Wahrnehmung gesellschaftlicher Reaktionen ist folgendes Zitat vom 25. August 2024, das dem Landtagsabgeordneten Lars Hünich zum Vorwurf gemacht wird: "Diese Pandemie war niemals eine medizinische, sie ist und bleibt politisch gewollte Unterdrückung von euch! Und wir werden als eine der ersten Maßnahmen, werden wir sämtliche Bußgelder, sämtliche Strafbefehle, sämtliche Rückzahlungen von euch, die ihr leisten musstet, werden wir anstandslos nicht nur zurückzahlen, sondern wir werden jeden freisprechen, weil nicht ihr seid die Täter, sondern diese Regierung, das sind die wahren Täter – und wir werden sie verurteilen dafür!"
Ja, jetzt kommen wir doch schon etwas früher auf die Frage, wo und wie der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg an seiner Aufgabe scheitert. Es ist schwer zu bestreiten, dass Corona die Gesellschaft tief gespalten hat. Und es hat sie vor allem dank des äußerst aggressiven Vorgehens der damaligen Regierung gespalten, weil jede abweichende Position unterbunden und massiv attackiert wurde, bis weit über die Grenze hinaus, die eigentlich verfassungsrechtlich zulässig gewesen wäre (man nehme den "Blinddarm" einer Frau Bosetti als Beispiel). Die Wut über diese Behandlung ist immer noch vorhanden. Wäre es jetzt das Ziel dieser vermeintlich die Verfassung schützenden Behörde, zur Stabilität der Gesellschaft beizutragen, müsste sie eine Warnung an die Regierung schicken, dass es dringend erforderlich wäre, diese Wut wahrzunehmen; auch angesichts dessen, dass sich viele amtliche Aussagen der Corona-Zeit inzwischen als falsch entpuppten. Und dass es erforderlich wäre, Maßnahmen einzuleiten, die wieder befrieden, wie Richtigstellungen oder Entschuldigungen.
Das ist aber nicht, was geschieht. Das ist auch nicht, was das Landesamt für Verfassungsschutz tut. Stattdessen werden solche Sätze, die einem objektiv vorhandenen Unmut, einer realen Misshandlung Ausdruck verleihen, als Beleg für Radikalisierung und Demokratiefeindlichkeit angeführt, was dann zu der Konsequenz führt, Hünich und seine Partei zur Gefahr zu erklären, was wiederum, bezogen auf das Ziel einer Stabilisierung der Gesellschaft, ungefähr das Gegenteil von sinnvoll ist.
Aber selbst wenn man annehmen will, dass der Auftrag der Behörde sich auf die Gesellschaft bezöge, kollidiert er dann natürlich mit der Tatsache, dass auch der Verfassungsschutz weisungsgebunden ist. Das bedeutet, dass im Falle eines Widerspruchs zwischen dem langfristigen Gesellschaftsinteresse und dem kurzfristigen der regierenden Parteien das kurzfristige siegt. Was übrigens im Gutachten einen weiteren hübschen Zirkelschluss auslöst, weil die Antwort, die der Fraktionschef der AfD im Brandenburger Landtag, Hans-Christoph Berndt, in einem Interview auf die Frage gab, ob "rechtsextremistische Akteure" wie Elsässer die richtigen Partner seien, selbst wieder als Beleg für den Rechtsextremismus von Berndt gebracht wird: "Das sind Einschätzungen des Verfassungsschutzes, und der Verfassungsschutz, das wissen wir, unterliegt der Weisung des Innenministers. Das heißt, die Regierung legt fest, wer Extremist ist."
Immer wieder wurde schlecht recherchiert. So wurde dem Bundestagsabgeordneten René Springer ein Post auf Facebook aus dem Jahr 2023 vorgehalten, in dem er eine Verdrängung von Rentnern aus ihren Wohnungen durch Migranten befürchtet. "Anlass war eine Studie der Universität Regensburg, die laut Springer festgestellt haben soll, dass ältere Menschen u.a. in zu großen Wohnungen leben würden, weshalb die Studie angeblich eine Umverteilung von Wohnraum angeregt haben soll."
Derartige Studien gibt es schon seit Jahren. Das Problem, das tatsächlich dahintersteckt, ist, dass viele Mieter, die seit Jahrzehnten in einer großen Wohnung leben, eine geringere Miete zahlen, als sie nach einem Umzug für eine wesentlich kleinere Wohnung zahlen würden. Günstigere kleine Wohnungen, in die sie ziehen könnten, gibt es aber nicht. In München wurde schon vor fünfzehn Jahren an Konzepten herumgedacht, wie man wenigstens bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften einen Tausch ermöglichen könnte, aber ohne überzeugendes Ergebnis.
Die Veränderung, die heute im Verhältnis zu damals stattgefunden hat, ist, dass es heute tatsächlich politische Akteure gibt, die mit dem Gedanken spielen, die Älteren aus den Wohnungen zu zwingen. Und dass es inzwischen im Aufenthaltsgesetz eine Regelung gibt, die die Kommunen verpflichtet, genau eine Personengruppe unterzubringen: die zugewiesenen Asylbewerber. Gegenüber anderen besteht diese Verpflichtung nicht. Und ja, ich habe schon Aussagen gelesen, die Alten sollten doch den Platz für Flüchtlingsfamilien räumen … und es gibt konkrete Verdrängungsfälle.
Es ist also unangebracht, so zu schreiben, als beriefe sich Springer auf etwas, das es eigentlich nicht gibt oder das nur falsch interpretiert wurde. Man könnte darauf verweisen, dass derartige Pläne bisher nur eine begrenzte Wahrscheinlichkeit haben, umgesetzt zu werden, aber die Bewertung der Aussage verändert sich völlig, sobald man überprüft, in welchem Verhältnis sie zur Lebenswirklichkeit steht.
Das Spannendste an dem ganzen Papier ist der Beleg für eine Hypothese, die zumindest von der Behörde gar nicht aufgeworfen wird. Dass nämlich die Reaktion auf die Frage der Migration in den ostdeutschen Bundesländern etwas mit der Stellung ihrer Einwohner seit der Annektion zu tun hat. Man kann das an dem Wahlkampfschlager erkennen, der mit Abscheu zitiert wird: "Im Osten heißt Familie Mutter, Vater, Kind, dem Westen ist das scheißegal, weil die so offen sind … Im Osten hat man Kühe und einen Hühnerstall, im Westen LGBTQ und einen Knall."
Da wären wir wieder bei der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Bei den zehn Prozent Führungspositionen im Osten, die nicht mit Wessis besetzt sind. Bei der beständigen Abwertungserfahrung, die per Fernseher frei Haus geliefert wird. Wodurch das auch in diesem Gutachten vorgetragene (sehr weit überzogene) Argument, jede Ablehnung von Migration wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde, zu einer zusätzlichen Demütigung wird, weil sich über die Menschenwürde der Angeschlossenen im Grunde niemand Gedanken gemacht hat.
Die im Übrigen ja die historische Phase, als die Integration dank der Vollbeschäftigung gut funktioniert hat, nie erlebt haben, die gerade bei der politisch dominanten Generation die Wahrnehmung verstellt, dass das ohne die Arbeitsplätze, die Wohnungen und eine halbwegs gesicherte Zukunft ganz anders abläuft, sondern nur die durch Berlin aufgezwungene Flüchtlingswelle kennen. Und nichts, wirklich gar nichts erzeugt, wenn man selbst getreten wird, mehr Widerwillen, als andere vor die Nase gesetzt zu bekommen, denen auch noch mehr Rechte gewährt werden.
Wobei man, zugegebenermaßen, angesichts der seit Jahrzehnten geförderten Spaltung zwischen Ost und West nicht mehr an Zufälle glauben kann. Es muss für die "geeinte" Bundesrepublik konstitutiv sein, ebendas keinesfalls zu werden und dauerhaft im Osten Bürger zweiter Klasse zu sehen. Wenn wir jedenfalls abermals einen Blick auf das werfen, was unser fiktiver, um eine stabile Zukunft bemühter, Verfassungsschutz in diesem Zusammenhang tun müsste, dann wäre dies, darauf zu drängen, dem geringschätzigen Blick des Westens etwas entgegenzusetzen. Denn abgesehen von der Verzerrung, der der ganze Migrationsdiskurs im Westen unterliegt – die reale Zurücksetzung wäre heilbar.
Immerhin gibt es bis in die Nachrichtensendungen viele Deutsche mit Migrationshintergrund. Das ist eine Eigenschaft, die in den letzten beiden Jahrzehnten in bestimmten Berufen ausgesprochen karriereförderlich war. Es gibt bedeutend weniger Quotenossis als Quotenmigranten. Im Gegenteil, Ostdeutsche sind sogar dort eine Minderheit, wo sie die Mehrheit stellen, wie die zehn Prozent Führungskräfte belegen. Wenn dann, und das ist der Tenor, der auch in dem Brandenburger Gutachten dominiert, den Vertretern der AfD vorgeworfen wird, einen ethnisch-völkischen Begriff von Nation zu vertreten – kann man einfach feststellen, dass er für den Anspruch steht, selbst als Teil des Volkes ernst genommen zu werden. Wie tief der (berechtigte) Zorn darüber ist, dass dem nicht so ist, zeigt sich auch, wenn ein AfD-Politiker eine Forderung der "Freien Sachsen" nach einer Sezession und einer Föderation der östlichen Bundesländer teilt.
Wie gesagt, wäre der Verfassungsschutz keine Behörde, die nur ein Werkzeug der jeweils Regierenden ist, sondern eine Behörde, der es tatsächlich um die Sicherheit des Staates geht, dann wären völlig andere Konsequenzen zu ziehen, schon aus dem in diesem Gutachten vorgelegten Material. Die einzige Konsequenz, die gezogen wird, lautet aber: AfD böse. Was, im Gegensatz zur erlogenen Behauptung zu Beginn, sehr wohl dazu dienen soll, die Partei, ihre Funktionäre, Mitglieder oder Unterstützer zu sanktionieren. Der Nutzen, den die Tätigkeit dieses Apparats für das Gemeinwohl abwirft, bewegt sich dadurch nicht nur gegen null; er befindet sich stabil im negativen Bereich.
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