
Warum die Geldnot der deutschen Kommunen anhalten wird

Von Dagmar Henn
Wie die kommunalen Finanzstatistiken zeigen, ergab das vergangene Jahr ein Rekorddefizit bei den Kommunen: um 24,3 Milliarden Euro lagen die Einnahmen unter den Ausgaben. Ein Ergebnis, das laut dem neuesten Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung gleichzeitig fast überall eintrat, während in früheren Krisenphasen zumindest einige Regionen sich vergleichsweise gut halten konnten (übrigens ist der Report ganz beiläufig, trotz des Herausgebers Bertelsmann, im ersten Teil eine gute und recht umfassende Einführung in kommunale Finanzen an sich).
Das ist eine Situation, die nicht nur viele Streichungen zur Folge haben wird. Das Problem dabei ist, dass auch Streichungen nur in jenen Bereichen möglich sind, die nicht zum übertragenen Aufgabengebiet gehören; in den anderen wird dann eher gestreckt. So gehören beispielsweise Standesämter und Passbehörden zum übertragenen Wirkungskreis, die Kommune kann also nicht beschließen, sie einfach abzuschaffen, wenn das Geld knapp wird; aber sie kann die Anschaffung neuerer Technik verzögern, frei gewordene Stellen langsamer besetzen oder die Öffnungszeiten reduzieren. In dem kleinen, recht überschaubaren Bereich der freiwilligen Leistungen, in den beispielsweise kommunal betriebene Schwimmbäder oder Jugendzentren gehören, bedeutet eine bedrängte Finanzlage oft eine Streichung der Leistung.

Wenn die Kommunen finanziell klamm sind, wirkt sich das allerdings sehr schnell und deutlich auf die örtliche Wirtschaft aus; weil über die Hälfte der öffentlichen Investitionen von den Kommunen getätigt werden, entsteht gerade auf dieser Ebene ein selbstverstärkender Kreislauf nach unten. Das Problem: Auf wenige der Kosten, die sie begleichen müssen, haben die Kommunen selbst einen Einfluss, viele sind die Folge von Bundesgesetzen, wie beispielsweise der Anspruch auf einen Krippenplatz. An sich müssten diese Kosten von der politischen Ebene getragen werden, die auch den Beschluss gefällt hat, das ist das Konnexitätsprinzip; aber in der politischen Wirklichkeit vergehen meist mehrere Jahre, bis das tatsächlich der Fall ist.
Der Finanzreport ist ungewohnt ehrlich in der Beschreibung der allgemeinen Wirtschaftslage:
"Die lange Phase historisch niedriger Inflationsraten endete 2020 im Zuge der Covid-Pandemie und folgend des russischen Angriffskrieges. In Summe ist aus einer stagnierenden Wirtschaftskraft eine sinkende Steuerdynamik zu erwarten, während Inflation die Ausgaben schneller steigen lässt."
Das bedeutet, die Prognose ist nicht gut. Aber schon das Defizit 2023, das "nur" 6,8 Milliarden betrug, war dennoch ungewöhnlich:
"Ein derart hohes Minus war historisch und wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur in den Jahren der Finanzkrise 2009/2010 erreicht, als die Defizite bei 7,2 bzw. 7,7 Milliarden Euro lagen."
Das dreimal so hohe Defizit des Jahres 2024 sei "in seiner Dimension beispiellos", und es wurzelt (noch) nicht in einem Einbruch der Einnahmen, sondern in einer Explosion der Ausgaben, die allerdings nicht so einfach zu verorten ist. Die Gewerbesteuereinnahmen sind beispielsweise nominal seit 2022 nicht gesunken; was real dennoch einen Verlust bedeutet.
Klar ist jedenfalls, dass die Kosten stärker gestiegen sind als die allgemeine Inflation. Was auch daran liegt, dass beispielsweise die Heizkosten für Kommunen anteilig recht hoch sein können, die in vielen Bundesländern nicht nur Kindertagesstätten, sondern auch Schulgebäude betreiben (während für die Finanzierung der Lehrer und die Lehrpläne das Land zuständig ist). Die Preisentwicklung bei Erdgas, das sowohl für viele Gebäudeheizungen als auch für Fernwärme genutzt wird, macht sich da klar bemerkbar.
Kommunale Investitionen, das sind zu einem guten Teil auch Bautätigkeiten, die große Teile der Infrastruktur umfassen. Während der Verbraucherpreisindex aber von 2014 bis 2024 von 100 auf 126,9 stieg, erhöhte sich der Baupreisindex für Neubauten im selben Zeitraum auf 161,3. Dabei sind gerade diese kommunalen Investitionen der Bereich, in dem besonders viel nachzuholen ist. 216 Milliarden Euro soll der Investitionsstau betragen, und an anderer Stelle stellt der Report fest:
"So lagen die Brutto-Bauausgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände gemäß Kassenstatistik im Jahr 2024 bei rund 35 Milliarden Euro. Damit lagen sie rund 1,4 Milliarden Euro unter den Abschreibungen. Dies bedeutet, dass die laufenden Bauausgaben im Jahr 2024 – rein statistisch gesehen – nicht hinreichend waren, um den alterungsbedingten Qualitätsverlust der Straßen, Kanäle oder öffentlichen Gebäude im selben Zeitraum auszugleichen."
Das bedeutet, der Rückstand wächst weiter. Das tat er auch in den vergleichsweise guten Jahren bis 2020. Um ihn einholen zu können, wäre eine erhebliche Ausweitung der Bautätigkeit erforderlich. Die stößt aber nicht nur auf finanzielle Grenzen: Vielerorts wurden die Baubehörden zu Sparzwecken so eingedampft, dass die Abarbeitung bereits beschlossener Investitionen sich verzögert; also selbst ein plötzlicher, aber vorübergehender Geldsegen würde nicht viel daran ändern, weil es die erforderlichen Bauingenieure nicht gibt.
Die Personalausgaben der Kommunen, das ist womöglich das überraschendste Ergebnis des Berichts, sind zwar im betrachteten Zeitraum von 2014 bis 2024 um 94 Prozent gestiegen, weil die Zahl der Beschäftigten gestiegen ist (die Kindertagesstätten hatten daran einen großen Anteil), aber proportional sind die Personalausgaben bei den Kommunen sogar gesunken. Und das, obwohl die Tarifabschlüsse zumindest ein wenig über der Inflation lagen. Nein, der Posten, der am deutlichsten zugelegt hat, ist der Bereich Jugend und Soziales.
Und hier wird es dann im Detail verwickelt, und der Report kann nur sehr verallgemeinernd und an der Oberfläche darstellen. Beispielsweise ist der Anteil, den der Bund bei den Kosten der Unterkunft im Bürgergeld ersetzt, inzwischen auf 70 Prozent gestiegen; auch ein Ergebnis der Tatsache, dass die Kommunen diese Kosten, die schließlich auch bei der Mehrzahl der Flüchtlinge anfallen, nicht mehr stemmen konnten. Darüber hinaus gibt es aber noch einen anderen, ebenfalls stetig wachsenden Posten, die Hilfe zur Pflege, bei der die Kommune keinerlei Ausgleich erhält. Die Hilfe zur Pflege, das sind überwiegend die Eigenanteile, die die Pflegeheime fordern, die nicht von den Renten abgedeckt sind. Gerade diese Eigenanteile sind in den letzten Jahren massiv gestiegen und erreichen im Bundesdurchschnitt inzwischen einen Wert von 3.000 Euro, bei einer Durchschnittsrente von 1.100 Euro. Dass inzwischen Kinder Pflegebedürftiger erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro herangezogen werden, hat diese Kosten weiter steigen lassen.
Insgesamt tragen derartige Kostenerstattungen oder auch zweckgebundene wie ungebundene Zuschüsse von Bund und Land entscheidend zur kommunalen Finanzierung bei – 2024 lag der Anteil der Zuweisungen bei den Gemeinden im Schnitt bei 40,9 Prozent, noch vor den Steuern und steuerähnlichen Einnahmen (von der Gewerbe- bis zur Hundesteuer) mit 35,1 Prozent. Allerdings ist es ausgesprochen schwierig, festzustellen, ob damit alle Aufgaben finanziert sind, die den Kommunen "von oben" aufgebürdet wurden.
Erstaunlich ist, dass, trotz aller beträchtlichen Unterschiede im Detail, die vom jeweiligen übertragenen Aufgabenkreis über die Einnahmen und Ausgaben pro Kopf bis hin zur Verschuldung reichen, die Grundtendenz überall gleich ist: Der finanzielle Spielraum der Kommunen ist bereits jetzt nicht mehr existent, und die Prognosen für 2025 sprechen von einer weiteren Verschlechterung, weil sich dann der wirtschaftliche Zustand auch bei der Gewerbe- und Einkommensteuer bemerkbar machen wird. Damit sind im Grunde alle großen Planungen, wie beispielsweise ein milliardenteurer Ausbau der Fernwärmenetze, ganz zu schweigen von deren Umstellung auf 65 Prozent "erneuerbare Energie", Makulatur. Eine Tatsache, die die Autoren der Stiftung entsetzt zur Kenntnis nehmen.
Und noch etwas anderes fällt ihnen auf: dass nämlich der Zustand der Kommunen "die Zufriedenheit mit sowie das Vertrauen in Demokratie in unserem Land" maßgeblich prägt. Rahmenbedingungen und Ressourcen müssten stimmen.
Das jedoch ist weit und breit nicht in Aussicht – die gigantischen Schuldenpakete, die auf Bundesebene beschlossen wurden, werden kaum Mittel liefern, die den Kommunen nützen. Im Gegenteil: Auch im Rahmen der Aufrüstungsfantasien wurden zusätzliche Aufgaben geschaffen, die die Kommunen erfüllen sollen, während der Investitionsstau von mindestens 216 Milliarden weiter nicht abgebaut werden kann. Darüber, wie sich eine weitere Verschlechterung der kommunalen Finanzlage auswirken wird, möchte man nicht einmal nachdenken.
Mehr zum Thema - Warum die Armut der Kommunen der Demokratie schadet
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.