Deutschland

AfD: Das leidige Thema Wehrpflicht

Das Thema Wehrpflicht könnte für die AfD zum Spaltpilz beim Bundesparteitag in Riesa werden. Obwohl die Beschlusslage auf dem Papier klar ist, wird sie zunehmend in Frage gestellt. Das gefällt nicht jedem in der Partei – und wird voraussichtlich zu hitzigen Diskussionen auf dem Parteitag führen.
AfD: Das leidige Thema WehrpflichtQuelle: www.globallookpress.com

Von Astrid Sigena

Die AfD hat bekanntermaßen gerade einen Lauf: Die Umfragewerte stehen bei gut 19 Prozent (und könnten sich noch erhöhen), die Kanzlerkandidatin Dr. Alice Weidel erfreut sich zunehmender Beliebtheit beim Wähler. Da kommt eine Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht (genau genommen: der Aufhebung ihrer Aussetzung) und die Positionierung der AfD dazu zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

Prinzipiell ist die Sachlage klar (und wird auch oft genug als Kritikpunkt von links gegen die AfD eingesetzt): Die AfD ist für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Konkret heißt es im Grundsatzprogramm (Zitat nach der Kurzfassung): "Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen."

In der Langfassung heißt es als Begründung, man wolle damit eine Identifizierung der Bevölkerung mit "ihrer Bundeswehr" stärken und ein Bewusstsein für die wehrhafte Demokratie wecken. Durch das Abschöpfen des Rekrutenreservoirs aus allen Bevölkerungsschichten entstehe eine intelligentere Armee und ein breites Potenzial an Reservisten. Für Kriegsdienstverweigerer ist ein Ersatzdienst vorgesehen, für Frauen die Möglichkeit eines freiwilligen Dienstes in den Streitkräften. Generell solle die Bundeswehr gestärkt und zur Einsatzbereitschaft befähigt werden.

Nur: Dieses Grundsatzprogramm der AfD stammt von anno dunnemals. Genau genommen vom Frühling 2016. Wer hätte damals geahnt, dass die Bundeswehr vier Jahre später in der Corona-Zeit zur Nachverfolgung von Kontaktpersonen und zur Bewachung von Senioren- und Pflegeheimen eingesetzt werden könnte? Wer hätte damals vermutet, dass hohe Luftwaffenoffiziere im gepflegten Denglisch über die Bombardierung der russischen Kertsch-Brücke mit Taurus-Marschflugkörpern schwadronieren könnten? Wer hätte damals gedacht, dass ein Krieg mit Russland jemals wieder in Betracht gezogen werden könnte und Deutschland wieder "kriegstüchtig" gemacht werden müsse?

Damals war man noch aufgeregt wegen der Wiedervereinigung der Krim mit der Russischen Föderation und des Wechselspiels daraufhin verhängter Sanktionen und Handelsbeschränkungen als Replik. Oder wie es der damalige Agrarminister Christian Schmidt 2014 angesichts russischer Importstopps für Lebensmittel aus Deutschland so launig formulierte: "An apple a day keeps the Putin away!" Damals genügte es, dass die AfD in ihrem Programm die Aufhebung der Sanktionen und eine Verbesserung der Beziehungen mit Russland forderte. Mittlerweile setzt man jedoch gerade in der BRD eher auf Vorwärtsverteidigung und eine deutsche Garnison in Litauen.

Der AfD-Parteivorsitzende Tino Chrupalla wollte den veränderten Zeitläuften Rechnung tragen und angesichts von "Kriegstüchtigkeit" und "Zeitenwende" die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht aus dem AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl heraushalten. Laut einem Welt-Bericht von Ende November setzte er sich dafür ein, dass die Bundesprogrammkommission eine entsprechende Passage aus dem Entwurf zum Wahlprogramm streicht.

Der Antragssteller für die Streichung Dr. Marc Jongen hatte – so die Welt – damit argumentiert, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht während des Ukrainekrieges zum falschen Zeitpunkt komme, gerade in den ostdeutschen Landesverbänden stark umstritten und generell während des Wahlkampfes kein Gewinnerthema sei. Dr. Hans-Thomas Tillschneider vom Landesverband Sachsen-Anhalt schlug in dieselbe Kerbe: Angesichts der aggressiven Ukraine-Politik der Altparteien wäre die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht das falsche Signal.

Chrupalla soll als Vater mehrerer Kinder sogar regelrecht emotional geworden sein: Er wolle nicht, dass seine Söhne für ausländische und US-amerikanische Interessen verheizt würden. Letztendlich wurde (so die Welt) dann bei einer Abstimmung mit fünfzehn Ja- und acht Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen für die Entfernung der Wehrpflicht aus dem Entwurf des Wahlprogramms votiert.

Es war aber zu erwarten, dass sich die Befürworter einer zeitnahen Wiedereinführung der Wehrpflicht in der Partei damit nicht zufriedengeben würden. Sie kommen aus dem militärischen Bereich, waren Berufs- oder Zeitsoldaten bei der Bundeswehr oder dienen immer noch als Reservisten. In den Medien fallen Namen wie Jan Nolte, Gerald Otten, Rüdiger Lucassen oder auch Hannes Gnauck.

Auch sie wollen zwar keinen Einsatz der Bundeswehr im Ukrainekrieg, drängen aber auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht ohne Rücksicht auf "Zeitenwende" und Ukrainekrieg, weil sich das Modell einer Freiwilligenarmee nicht bewährt habe. Der Bundestagsabgeordnete Gnauck konstatierte sogar eine Misstrauenshaltung gegenüber der Bundeswehr: Eine Positionierung als Friedenspartei dürfe nicht in ein generelles Misstrauen gegenüber der Bundeswehr abdriften. Die Voraussetzung für Frieden sei eine starke Bundeswehr. Er verstehe die Sorge der Bürger, dass deutsche Soldaten in einen fremden Krieg geschickt würden. In einer AfD-geführten Bundesregierung würde sich die Bundeswehr aber selbstverständlich nicht am Ukrainekrieg beteiligen.

Ob Gnauck da nicht etwas zu blauäugig argumentiert angesichts der Einbindung der Bundeswehr in NATO-Strukturen, NATO-Bündnisverpflichtungen (und deren möglichen Missbrauchs) und einer anzweifelbaren Souveränität Deutschlands? Außenministerin Annalena Baerbock ist da schon weiter und fordert deutsche "Friedenstruppen" in der Ukraine. Und bis zu einer AfD-geführten Bundesrepublik Deutschland ist es noch lange hin.

Da die AfD auf Basisbeteiligung und innerparteiliche Demokratie sehr viel Wert legt, wurden schließlich auch die einfachen Parteimitglieder per Online-Umfrage befragt. Dies geschah noch im Dezember. Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung liegen mittlerweile ebenfalls der Welt vor. Sie können nur als enttäuschend für Parteichef Chrupalla und die Wehrpflichtkritiker in der Partei gedeutet werden: Bei einer Beteiligung von 15,7 Prozent an der Umfrage stimmten 71,5 Prozent der teilnehmenden AfD-Mitglieder für eine Aufnahme der Wehrpflicht in das Wahlprogramm.

Offenbar haben die Wehrpflichtbefürworter ihre Unterstützer tüchtig mobilisiert. Das war schon bei den Aufstellungsparteitagen in den Landesverbänden zu verspüren, wo fast jeder Kandidat zu seiner Einstellung zur Wehrpflicht befragt wurde (sofern er nicht von selbst in seiner Kandidatenrede auf das Thema gekommen war). Allerdings ist das Ergebnis der Mitgliederbefragung nicht bindend, sie hat nur empfehlenden Charakter.

Nun liegt der Ball bei den Delegierten beim Bundesparteitag in Riesa. Dort soll am 11. und 12. Januar 2025 das Wahlprogramm für die Bundestagswahl im Februar endgültig beschlossen werden. Verteidigungspolitiker Jan Nolte hat schon angekündigt, in Riesa einen Änderungsantrag zu stellen, der die Wehrpflicht wieder ins Wahlprogramm bringen soll. Sollte das so beschlossen werden, könnte das sicher ein Angriffspunkt im Wahlkampf gegen die AfD werden und dem militärkritischeren BSW gerade Wähler aus Ostdeutschland zutreiben. Auch die derzeit herrschende Einigkeit innerhalb der AfD würde damit auf eine schwere Probe gestellt.

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