Widerspruch in Bundestag: Lühr Henken kritisiert Panzerbrigade in Litauen als Provokation
Am 16.12.2024 tagte der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Es fand eine öffentliche Anhörung zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr statt ("Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr"). Insbesondere drehte sich die Besprechung um das im Januar 2025 zu verabschiedende Artikelgesetz, welches die Stationierung der deutschen Panzerbrigade 45 in Litauen regeln soll.
Als Sachverständiger eingeladen war unter anderem Lühr Henken, der Co-Sprecher vom Bundesausschuss Friedensratschlag. In seiner Stellungnahme argumentierte er gegen die Stationierung der deutschen Brigade in Litauen. Die Ängste vor einem russischen Angriff auf ein NATO-Gebiet seien unbegründet, folglich seien auch die NATO- und die Bundeswehraufrüstung unsinnig (und somit auch die Stationierung der Brigade Litauen).
Henken begründet dies damit, dass Russland der NATO im konventionellen Bereich um ein Vielfaches unterlegen sei. Und dies nicht nur gegenüber den Gesamtstreitkräften der NATO unter Zählung der USA, sondern auch bereits gegenüber den Streitkräften der europäischen NATO-Mitglieder. Um eine Invasionsfähigkeit Europas zu erlangen, müsste Russland seine konventionellen Streitkräfte enorm aufrüsten, und das alles innerhalb einer Frist von fünf bis acht Jahren.
Und selbst dann wären Überraschungsangriffe nur gegen die europäischen NATO-Staaten erfolgreich, nicht gegen die NATO insgesamt unter Einbeziehung der USA. Statt einer weiteren Aufrüstung der NATO empfiehlt Lühr Henken Folgendes: Friedensverhandlungen mit Russland und Abrüstungsangebote. Außerdem Verträge, die eine sogenannte "Flankenregelung" enthielten (beiderseits der Grenze zum NATO- beziehungsweise OVKS-Gebiet sollte eine Truppenentflechtung stattfinden) und scharf kontrolliert würden. Eine künftige europäische Friedensordnung müsse allen Seiten einen gleichen Grad an Sicherheit gewährleisten.
Während der Fragerunde im Bundestag mahnte Henken die Berücksichtigung der russischen Forderungen an die NATO und die USA vom Dezember 2021 an. Wichtige Punkte für eine Entspannung des Verhältnisses seien die Neutralität der Ukraine und die Bereitschaft des Westens zur Abrüstung. Stattdessen höre man immer nur, der Westen soll aufrüsten und Russland, eine Atommacht, in die Knie zwingen, kritisierte er.
Die BSW-Abgeordnete Żaklin Nastić vom BSW wollte von Herrn Henken wissen, wie er die geplante Stationierung ab 2030 von 94 Kampfpanzern Leopard 2 A8 (die Hälfte davon aus Deutschland) in Litauen bewerte, an einer geopolitisch neuralgischen Stelle, dem sogenannten Suwałki-Korridor, einer schmalen Landverbindung zwischen den NATO-Staaten Polen und Litauen, in unmittelbarer Nachbarschaft Russlands (Oblast Kaliningrad) und Weißrusslands. Sie fragte ihn direkt: "Sehen Sie überhaupt eine Perspektive, aus dieser Aufrüstungsspirale noch herauszukommen?"
Zunächst wies der Friedensaktivist erneut auf die militärische Überlegenheit der NATO-Staaten zusammen mit den USA gegenüber Russland hin, die die Stationierung der Brigade nicht grundsätzlich erforderlich machen. Zusammen mit einem litauischen Panzerbataillon stellten die etwa 100 hochmodernen deutschen Kampfpanzer nahe der weißrussischen Grenze für Russland natürlich eine erhebliche Bedrohung dar. Sie könnten aus russischer Sicht bidirektional eingesetzt werden, sowohl gegen Weißrussland als auch gegen die russische Exklave Kaliningrad.
Darüber hinausgehende Maßnahmen müssten die russischen Befürchtungen noch weiter verstärken. Nämlich die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO, der jeweils Abkommen über den Aufenthalt US-amerikanischer Truppen in diesen Ländern gefolgt seien. Dann die Präsenz ausländischer NATO-Verbände im Baltikum, der Aufbau einer polnischen Infanteriedivision mit vier Brigaden, mit schweren Panzern aus den USA und Südkorea, an der litauisch-weißrussischen Grenze. Ebenso die permanente Präsenz von US-Truppen in Polen.
Russland habe darauf militärisch reagiert, den Militärbezirk "West" wieder aufgelöst und in die Militärbezirke "Sankt Petersburg" und "Moskau" unterteilt. Des Weiteren habe Russland taktische Atombomben an Flugzeugen in Weißrussland stationiert. Auch die russische Drohung, die neue Hyperschallrakete Oreschnik in Weißrussland stationieren zu wollen, gehöre zu diesen Maßnahmen. Die Oblast Kaliningrad werde militärisch weiter aufgerüstet. Henkens Fazit:
"Die Präsenz deutscher und anderer NATO-Truppen mit schwerem Gerät entlang der NATO-Ostgrenze führt nicht zur Entspannung, sondern im Gegenteil, erhöht die Spannung, versetzt eine Aufrüstungsspirale in immer weitere Umdrehungen. Wenn das nicht gestoppt wird, droht in Europa die Katastrophe."
Wie man da herauskomme? Indem im Westen der Pfad der Kriegslogik verlassen und der Pfad der Friedenslogik beschritten werde. Man müsse auf erprobte Verfahren des Kalten Krieges zurückkommen: vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, Rüstungskontrolle und Abrüstung inklusive der diversen Verifikationsverfahren. Für das konkrete Verfahren verweist Henken auf eine Stellungnahme von Oberst a. D. Wolfgang Richter aus dem Jahr 2019.
Richter plädiere für das im adaptierten KSE-Vertrag vorgesehene subregionale Stabilitätsregime. Dieser Vertrag sei derzeit leider nicht in Kraft. Es gehe darin um Truppenbegrenzung in festzulegenden Gebieten beiderseits der NATO-OVKS-Grenze. Auch der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, wünsche sich einen aktualisierten KSE-Vertrag über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte mit neuen Flankenregelungen. Er möchte diese insbesondere auf das Baltikum angewendet sehen.
Auch der in den Medien vielfach zitierte Politikwissenschaftler und Professor an der Universität der Bundeswehr München, Carlo Masala, nahm an der Anhörung teil. Auf das Argument des Militarisierungskritikers Henken, die NATO sei Russland konventionell vielfach überlegen, erwiderte er, dass es gar nicht um einen großangelegten Russland-Angriff gehe, sondern um das Austesten eines NATO-Bündnisfalls an einer verwundbaren Stelle ‒ sei es in der Arktis oder im Baltikum ‒, um damit Streitigkeiten innerhalb des Bündnisses zu provozieren. "Russland zielt darauf ab, dass die NATO keine Einigkeit herstellt", sagte er. Die konventionelle Überlegenheit nütze nicht, wenn man nicht in der Lage sei, diese auch im Bündnisfall einsetzen zu können.
Die Aufstellung der Bundeswehr-Brigade in Litauen lobte Masala als militärischen "Stolperstein" im Sinne der sogenannten Vorwärtsverteidigung. Die russische Truppenverstärkung in den westlichen Bezirken des Landes verglich der Experte faktisch mit der Remilitarisierung des Rheinlandes in Nazi-Deutschland.
"Wenn Sie geschichtliche Vorkenntnisse haben, kann man das mit der Remilitarisierung des Rheinlandes vergleichen. Also ein bewusster Test, der die NATO-Bereitschaft testen soll, das eigene Bündnisgebiet zu verteidigen",
sagte er.
Von diesem Standpunkt aus gesehen, könnten alle militärischen Maßnahmen Russlands auf eigenem Territorium als Austesten eines NATO-Bündnisfalls gewertet werden und damit als bewusste Provokation. Denn Russland ist nicht wie das Dritte Reich damals völkerrechtlich verpflichtet, bestimmte Territorien frei von Soldaten zu halten. Außerdem drängte der Militärexperte in seinem Redebeitrag darauf, dass das Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet werde, denn sonst würde Deutschland seine Glaubwürdigkeit gegenüber den litauischen Partnern aufs Spiel setzen.
Auch Brigadegeneral Christoph Huber, der Kommandeur der deutschen Panzerbrigade in Litauen, war als Sachverständiger eingeladen. In seiner Stellungnahme betonte er, dass die Soldaten vom Sinn ihres Dienstes in Litauen überzeugt seien. Die russische Bedrohung sei in Litauen sehr stark spürbar und aufgrund dessen erfahre die Bundeswehr in Litauen großen Zuspruch durch die örtliche Bevölkerung, auch vonseiten der Verantwortungsträger. Obwohl die Stationierung der Bundeswehr den litauischen Staatshaushalt stark belaste, sei die Zustimmungsrate mit 85 Prozent der Litauer sehr hoch. Er sei den Litauern persönlich dankbar, dass er dort spüren dürfe, gebraucht zu werden.
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