"Botschaften in allen alternativen Medien verbreitet" – Ex-NATO-Geheimdienstkoordinator warnt vor RT
Der frühere NATO-Geheimdienstkoordinator und bundesdeutsche Diplomat Arndt Freytag von Loringhoven hat vor russischer Propaganda und Desinformation gewarnt – und dabei ganz besonders vor RT. Im Interview mit dem ebenfalls stramm transatlantischen Tagesspiegel durfte der frühere BND-Vizepräsident sein Buch "Putins Angriff auf Deutschland" bewerben. Russland, so Freytag von Loringhoven, führe einen "hybriden Krieg" gegen Deutschland – mit Desinformation und Propaganda:
"Diesen Krieg führt Russland seit mehr als zehn Jahren. Man kann das an zwei Daten festmachen. Das eine war die Gründung des Senders Russia Today 2005, der später RT hieß und von Anfang an ein Propagandasender für die ganze Welt war. Das andere war die Rede des russischen Generalstabschefs Gerassimow 2013, in der er die taktischen Vorzüge des hybriden Krieges pries."
Russland verfolge eine neoimperiale Agenda. Um die alten Einflusszonen wiederherzustellen, solle der Westen geschwächt und gespalten werden. Konkret gehe es darum, die westliche Unterstützung für das Regime in Kiew und die Zustimmung zu Waffenlieferungen zu untergraben.
Die angebliche russische Propaganda, so der frühere Geheimdienstmitarbeiter, unterscheide sich dabei natürlich ganz grundsätzlich von westlichen Formen der Meinungsmache:
"Alle Regierungen, auch demokratische, versuchen, die öffentliche Meinung von ihren Positionen zu überzeugen. Dabei führen sie häufig besonders die Argumente an, die ihren Überzeugungen und Interessen entsprechen und auch nutzen. Dies ist nicht mit der staatlich organisierten massenweisen Manipulation und den Lügenkampagnen Russlands zu vergleichen."
Die angebliche Desinformationskampagne gegen Deutschland werde aus dem Kreml heraus gesteuert. Geleakte Dokumente würden dies belegen. Deutschland sei wegen seiner Bedeutung und seines Gewichts innerhalb der EU ein wichtiges Ziel. Darüber hinaus gebe es hier "einen fruchtbaren Nährboden für russische Propaganda und Desinformation".
Der frühere Geheimdienstler erklärte, dass die öffentliche Debatte und die angebliche russische Desinformation nicht immer klar zu unterscheiden seien:
"So einfach ist das nicht, weil sich in diesen Debatten vieles mischt und es Wechselwirkungen gibt. Oft tritt Russland eine Debatte gar nicht selbst los, sondern agiert eher als Trittbrettfahrer, indem es sich auf bereits laufende Debatten setzt und versucht, sie zu seinen Gunsten zu manipulieren. So war es zum Beispiel bei der Migration oder bei Corona. Oder nehmen wir die Friedensbewegung, die in Deutschland stärker ist als in anderen europäischen Ländern. Schon zu Sowjetzeiten war sie ein beliebtes Ziel von Einflussnahme."
Angesprochen auf angebliche russische Desinformationskampagnen zum Thema Impfen in der Corona-Zeit sagte Freytag von Loringhoven:
"Auch Themen, die gar nichts mit Russland zu tun haben, werden genutzt, um das Vertrauen in Regierung und traditionelle Medien zu schwächen und Ansatzpunkte für russische Einflussnahme zu schaffen. Genau das haben wir während der Pandemie gesehen. Die Kritik an der angeblich unfähigen und übergriffigen Bundesregierung war damals ein Hauptthema russischer Staatsmedien."
Die angeblichen russischen Kampagnen seien heute nicht mehr so leicht zu erkennen wie noch vor einigen Jahren, weil, so der frühere Spitzenbeamte mit bemerkenswerter Logik, die angeblichen russischen Botschaften nicht mehr nur bei RT zu finden seien:
"Ja. Früher konnte man die russische Agenda an den Schwerpunkten, die RT DE setzte, ablesen. Heute ist das komplexer. Botschaften, die früher von RT propagiert wurden, werden nun in allen möglichen 'alternativen' Medien verbreitet, also anders als früher unter dem öffentlichen Radar."
Letztlich stellt Freytag von Loringhoven der angeblichen russischen Propaganda – und damit RT DE – ein sehr gutes Zeugnis aus:
"In Deutschland verfolgt Russland drei Ziele: die AfD und BSW großzumachen. Die Entsolidarisierung mit der Ukraine zu verstärken. Und das Misstrauen in Regierung und traditionelle Medien zu schüren. In allen drei Bereichen entwickelt sich die öffentliche Meinung in die von Russland gewünschte Richtung. Ich behaupte nicht, dass dies allein auf russische Manipulation zurückzuführen ist. Aber dass sie diese Prozesse befördert, ist wahrscheinlich."
Dabei widerspricht der frühere NATO-Beamte auch ausdrücklich der Einschätzung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, nach der die angeblichen "russischen Lügen" hierzulande nicht verfingen:
"Da würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Wir sehen doch, welchen Zulauf zum Beispiel die These erhält, dass Amerika und nicht Russland Schuld am Krieg in der Ukraine hätte. Das ist genau das Narrativ, das Russland verbreitet, obwohl eindeutig feststeht, wer diesen Krieg begonnen hat."
Der frühere Diplomat verweist gegen Ende des Interviews auf die angebliche (und längst widerlegte) russische Beeinflussung der US-Wahlen im Jahr 2016. Auch mit seiner Behauptung, Russland habe Deutschland den "Gashahn zugedreht", verbreitet Freytag von Loringhoven letztlich selbst Desinformationen. Dennoch fordert er ein konsequentes Vorgehen der "demokratischen Staaten" gegen die angebliche Desinformation aus Russland. Konkret schlägt er vier Punkte vor:
"Erstens müssten wir, ähnlich wie in Frankreich und Schweden, eine schlagkräftige Bundesagentur zur Bekämpfung von Desinformation gründen. Dort sollten alle zuständigen Behörden an einem Tisch sitzen und ihre Handlungen koordinieren. Zweitens sollten wir mehr politischen Mut zeigen und nicht davor zurückschrecken, Russland als Urheber solcher Angriffe zu benennen, wenn wir konkrete Hinweise haben. […]
Drittens müssen wir in den Schulen möglichst frühzeitig einen kritischen Umgang mit sozialen Medien und KI lehren. Viertens müssen digitale Plattformen dazu gebracht werden, russische Manipulationen zu stoppen. Schließlich sollten wir als ultima ratio auch die Fähigkeit zu offensiven Maßnahmen entwickeln. Abschreckung muss auch im Bereich hybrider Kriegsführung ein Element unserer Strategie sein."
Dass die Zensur von sozialen Netzwerken und Internetdienstleistern nicht wirklich mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist, scheint auch den Interviewern zu schwanen. Deren letzte Frage lautet daher:
"Konkret am Beispiel des hochemotionalen Themas Corona: Wenn der Staat definiert, was Desinformation ist – läuft man dann nicht Gefahr zu sagen, dass jeder Impfgegner nur Kremlpropaganda wiedergibt?"
Die Antwort des früheren NATO-Beamten ist aufschlussreich:
"Wir dürfen natürlich nicht die Meinung von Impfgegnern zensieren, und es muss weiterhin jeder sagen dürfen, wenn er Impfungen oder Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt.
Ebenso klar muss aber sein, dass wir dagegen vorgehen müssen, wenn ein äußerer Akteur wie Russland Mechanismen der sozialen Medien in unserer Öffentlichkeit so manipuliert, dass einseitig bestimmte Positionen millionenfach verstärkt werden. Das ist das Gegenteil von freier Meinungsbildung und Meinungsfreiheit. Wehrhafte Demokratien müssen in diesem Punkt aktiv werden."
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