"Gebräunt und federnden Schrittes" – Spiegel berichtet ganz sachlich über Habecks Kanzler-Ambitionen
Noch sei er nicht Kanzlerkandidat, schreibt der Spiegel, trotzdem plane Robert Habeck, derzeit nur Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister in der Ampelkoalition, schon "seine nächsten Schritte", um sein großes persönliches Ziel zu erreichen, nämlich Bundeskanzler aller Deutschen zu werden (Bezahlschranke).
Zu Beginn erinnern die Autoren, dass der Grünenpolitiker "erst vor wenigen Tagen eine Coronainfektion überstanden" habe, nun jedoch wieder mit voller Stärke seinen politischen Verpflichtungen nachkomme:
"Aber das ist ihm an diesem Vormittag in Berlin nicht anzumerken. Gebräunt und federnden Schrittes eilt Robert Habeck in dem abgedunkelten Saal zum Stehpult."
Auch im zweiten Absatz des Artikels setzen sich die positiven, fast bewundernden Töne für den Kinderbuchautor fort:
"Der 55-Jährige wirkt wie ein Motivationscoach auf einer Managertagung, bei der es um Optimismus und Tatkraft geht. Das Land müsse 'die Fesseln für Innovationen und Investitionen lösen', sagt er."
"Wir haben es in uns", habe Habeck auf einem "Innovationsfestival beim Bundesverband der Deutschen Industrie" in Berlin den Anwesenden "zugerufen". Deutschland dürfe sich laut dem Minister "nicht damit zufriedengeben, im Ranking der innovativsten Nationen auf Rang Zwölf zu verharren". Diese Aufforderung sei von den Gästen "mit lautem Applaus gedankt" worden.
Der Termin samt Auftritt habe dem Spiegel zufolge gezeigt:
"Es ist ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf, wie ihn Habeck zu führen gedenkt. Im Zweifel liberal, auf keinen Fall stramm links – so könnte sein Arbeitsmotto lauten."
Das Bündnis 90/Die Grünen hätten ihn zwar "noch nicht formal zum Kanzlerkandidaten bestimmt". Doch gehe es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch "um das Wie":
"Die Grünen suchen gerade nach einem geeigneten Rahmen für die Kür. Zeitpunkt: Oktober, mit ausreichend Abstand zum Bundesparteitag Mitte November."
Politische wie auch gesellschaftliche Einwände, wonach "der grüne Anspruch auf das Kanzleramt … angesichts von Umfragewerten um die elf Prozent vermessen" sei, lassen die Parteikollegen Habecks demnach "nicht gelten".
Bei den jüngsten Landtagswahlen kam die Ampelpartei in Thüringen auf 3,2 Prozent, in Sachsen auf 5,1 Prozent. Laut Umfragen (4,5 Prozent) droht am Sonntag der Nichteinzug in den Brandenburger Landtag. In der "Sonntagsfrage" erreicht die Partei bundesweit derzeit Werte zwischen zehn und zwölf Prozent.
Laut Spiegel-Informationen liefen im Umfeld des ambitionierten Ministers sowie in der Parteizentrale bereits die Planungen für die Wahlkampfzeit, samt "Kampagnenteam und Wählerpotenzial". Das Autorenteam wirft daher die Frage auf: "Kann Habeck so tatsächlich wieder nach vorn kommen?"
Die jüngste Mitteilung der CDU, dass die Oppositionspartei den Ex-BlackRock-Angestellten Friedrich Merz im kommenden Jahr in den Wahlkampf schickt, sei bei Habeck sehr gut angekommen, denn:
"Er liebäugelt schon länger mit dem strategischen Ziel, enttäuschte Unionswählerinnen und -wähler zu gewinnen, die mit Merz’ konservativem Kurs und seinem harten Ton fremdeln. Es wäre fahrlässig, diese Gruppe potenzieller Wähler liegenzulassen, heißt es aus Habecks Umfeld."
Anfang September irritierte Habeck mit seiner Feststellung, in der CDU existiere eine "Merkel-Lücke". Er fragte daher:
"Was ist da eigentlich los? Die Union, sie weiß nicht mehr, wo sie hinwill. Solange Merkel dort das Heft in der Hand hatte, hat man in der Partei gewusst, was sich gehört."
Die "Merkel-Lücke" werde bei der Union jedoch "mit jedem Tag größer". Habeck will diese nun mit seiner Wahlkampfstrategie anscheinend schließen. Der Spiegel-Artikel erklärt:
"Es ist ein Ansatz nicht ohne Risiko. Die Strahlkraft der früheren Kanzlerin, die in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag feierte, hat nachgelassen. Die Folgen ihrer Flüchtlingspolitik bewerten viele Bürger negativ. Manche Grüne sehen auch ihren beschwichtigenden Kurs gegenüber Russland und Präsident Wladimir Putin kritisch."
Ein "führender Realo", der ungenannt blieb, empfehle Habeck daher, dass er "mit einer Politik der Mitte Unionswähler überzeugen, aber den Namen Merkel lieber nicht zu laut sagen" sollte. Ein anderer ungenannter "Stratege" rät dem Vize-Kanzler, "in die Merkel-Lücke [zu] stoßen, ohne in die Merkel-Falle zu tappen".
Die Grünen seien "als Produkt beschädigt", analysiert der Spiegel, was "die größte Herausforderung für den Kandidaten" darstelle. Als Beispiel führt das Magazin an:
"Habeck sagte kürzlich, bei der Bundestagswahl 2021 habe der Ball für seine Partei auf dem Elfmeterpunkt gelegen, jetzt liege sie 0:4 zurück. Habeck habe vergessen zu erwähnen, dass an dem Spielstand auch seine Eigentore schuld seien, spottet ein führender Grüner."
Eine "zentrale Frage" für die Habeck-Strategen laute daher, wie Habeck persönlich mit "diesem Fehler", seinem desaströsen Heizungsgesetz, umgehen sollte. Laut Spiegel-Informationen kursiere die Idee, "Habeck könne eine Rede halten, bei der er seine eigene Schuld einräumt", jedoch ging im Mai dieses Jahres ein "erster Mea-Culpa-Versuch … bereits schief".
Der Kinderbuchautor sei dem Spiegel zufolge "gut darin, die großen Zusammenhänge zu erklären, seine spontane Kommunikation birgt jedoch das Risiko von Fehlern". Zu den jüngsten, annähernd pastoral vorgetragenen Kurzvideos zu unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Themen heißt es:
"Erfolgreicher ist Habeck, wenn er seine 'Vizekanzler-Videos' publiziert. Die Redetexte schreibt Habeck größtenteils selbst, er liest sie ab, aber es ist seine Sprache, und sie wirkt aus dem Moment heraus formuliert."
Auf der Videoplattform Instagram hat Habeck aktuell "504.000 Follower, auf TikTok knapp 45.000 und auf der Karriereplattform LinkedIn rund 414.000". Der Spiegel erfuhr außerdem:
"In seinem Ministerium gibt es ein eigenes neunköpfiges Online-Kommunikationsreferat, das Habecks Videos und den gesamten Internetauftritt seines Hauses managt."
Bei den Grünen würden trotz aller Niederlagen und des sinkenden Zuspruchs bei den Bürgern weiterhin "kühne Hoffnungen keimen":
"Zu Ostern, so heißt es intern, sei man in den Umfragen vielleicht schon wieder bei 15 Prozent – und dann sei alles offen."
Es sei "vor allem Habecks Charisma, das nach den Vorstellungen der Grünen den Erfolg bringen soll". Fraktionschefin Dröge behauptet: "Merz und Scholz sind beides keine Typen, die Menschen begeistern." Habeck könne im Wahlkampf zudem "auf die Unterstützung seiner ehemaligen Konkurrentin Annalena Baerbock zählen":
"Vor einer Woche posteten beide auf Instagram ein gemeinsames Selfie, unterlegt mit einem Song der Kultband Oasis, die kürzlich ihr Comeback ankündigte."
Diese demonstrative Harmonie "sei nicht gespielt", heißt es laut Spiegel-Informationen "übereinstimmend aus dem Habeck- und dem Baerbock-Lager". Habeck wolle ein "Kandidat für die ganze Republik sein und nicht für eine Partei", behaupten Parteifreunde aus seinem Umfeld.
Der Spiegel erklärt: "Man könnte auch sagen: Ein grüner Kandidat, der nicht zu grün ist." Der "aufgekratzte Vize-Kanzler" habe dieser Tage in einem TV-Interview geäußert:
"Diese Haltung – Come on Leute, Start-up Germany – das können wir jetzt gut gebrauchen. So fühlt es sich in mir auch an, und ich laufe jetzt auch los."
Habeck verwies dabei auf eine aktuelle Initiative der Regierung für "Wachstums- und Innovationskapital", kurz "WIN". Habeck betonte gegenüber Journalisten, "das sei mehr als eine Abkürzung, es sei 'ein politischer Kampfauftrag: Let's win that thing'."
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