Deutschland

Staatliche Anerkennung besonderer Art: Landesmedienanstalt NRW geht gegen Portal "Multipolar" vor

Die Medienaufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen geht gegen das Internetportal "Multipolar" vor. Angeblich habe die regierungskritische Online-Plattform journalistische Standards verletzt – inkriminiert werden teilweise Artikel, die vor Jahren erschienen. Nun wird ein kostspieliges Verwaltungsverfahren angedroht.
Staatliche Anerkennung besonderer Art: Landesmedienanstalt NRW geht gegen Portal "Multipolar" vorQuelle: www.globallookpress.com © Carsten Koall/dpa

Das durch Crowdfunding und Leserspenden finanzierte Online-Magazin Multipolar sieht sich staatlicher Repression ausgesetzt. Die Landesanstalt für Medien NRW (LfM; tatsächlich verwendet die Behörde die Abkürzung NRW für Nordrhein-Westfalen in ihrer Eigenbezeichnung) wirft dem regierungskritischen Online-Portal "Verstöße gegen die journalistische Sorgfalt" vor. Dies teilte die Behörde dem Portal in einem Schreiben vom 23. August des Jahres mit. Darin drohte sie mit einem "förmlichen Verwaltungsverfahren". Alle staatlich bemängelten Beiträge des Magazins hatten die regierungsamtliche Corona-Darstellung infrage gestellt.

Nachträgliche Zensur

Wie Multipolar schreibt, ist die LfM die für Nordrhein-Westfalen zuständige Aufsichtsbehörde für private Medien, die ihren Sitz in diesem Bundesland haben, und verfügt über einen Jahresetat von rund 20 Millionen Euro, der über die Rundfunkgebühren aufgebracht wird. Das Magazin betont, in der Vergangenheit keinerlei Kontakt zu der Landesbehörde gehabt zu haben.

Formal begründet die LfM ihre Zuständigkeit mit dem Paragrafen 19 des Medienstaatsvertrages. Dieser besagt, dass Medien "anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen" hätten. Demnach hätten Medien die von ihnen verbreiteten Nachrichten "mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen." Ende 2020 wurde der Medienstaatsvertrag reformiert – seitdem werden Online-Medien von den Landesmedienanstalten überwacht.

Vorgeworfen werden Multipolar ganze vier Abschnitte aus Beiträgen und Interviews zu Corona-Themen, die in den Jahren 2022, 2023 und 2024 erschienen sind. Auffällig daran sei, wie Multipolar feststellt, dass in all diesen Fällen Aussagen beanstandet wurden, die "den Regierungsverlautbarungen entgegenstehen."

LfM missbilligt Kritik an Corona-Maßnahmen

Der am längsten zurückliegende Fall betrifft ein Interview mit dem Arzt und Psychologen Professor Christian Schubert vom März 2022. Darin hatte sich der Mediziner über die Kollateralschäden der staatlichen Corona-Maßnahmen geäußert. Er benannte die psychopathologischen Folgen und bezifferte die aufgrund der Maßnahmen zu erwartende sinkende allgemeine Lebenserwartung. Die LfM behauptet nun in ihrem Schreiben, dass die Herkunft der von Schubert genannten Zahlen "unklar" und "unbelegt" sei. Angeblich hätte der Interviewer diese Angaben näher hinterfragen oder diese "im Nachgang für den Leser nachvollziehbar" einordnen müssen.

Eine im März 2023 von Multipolar veröffentlichte Analyse wurde jetzt von der LfM ebenfalls missbilligt. Der Artikel setzte sich mit den Auswertungen der britischen Statistikbehörde zum Zusammenhang von Sterblichkeit und "Impfung" auseinander. Die Schlussfolgerungen dieser Analyse gefielen der NRW-Medienaufsicht nicht. Sie vertrat in ihrem Schreiben an das Online-Magazin kurzerhand die Auffassung, das Online-Portal und sein Autor hätten die britischen Statistikdaten "fehlinterpretiert" und "falsch dargestellt", wie Multipolar aus dem Behördenschreiben zitiert.

Der dritte bemängelte Artikel betraf die von Multipolar freigeklagten, jedoch noch zu weiten Teilen geschwärzten RKI-Protokolle (RT DE berichtete) und stammt – die LfM wählte für ihre Beanstandungen den Jahresabstand – aus dem März 2024. Das Online-Portal hatte aus den zugänglichen Protokollen geschlussfolgert, dass die hochgestufte Risikobewertung des Robert Koch-Instituts (RKI) im März 2020, anders als bisher öffentlich behauptet, nicht auf der fachlichen Bewertung des Instituts beruhte, sondern auf politische Anweisung von außen erfolgt sein musste. Diese Aussage wollte die LfM nicht durchgehen lassen und behauptete, sie sei "irreführend". Die Risikobewertung des RKI habe angeblich doch auf fachlicher Grundlage beruht, so die LfM. Nur sind pikanterweise dazu "keine weiteren Dokumente" in den Unterlagen des RKI vorhanden, wie die Anwälte des RKI vor dem Verwaltungsgericht Berlin einräumen mussten.

Schließlich hatte Multipolar im Juni 2024 ein Interview mit einem Berliner Feuerwehrmann veröffentlicht, der darin seine Eindrücke und Gespräche mit dem Pflegepersonal der Krankenhäuser aus dem Jahr 2020 schilderte. Die Aussagen des Feuerwehrmanns widersprechen diametral allen offiziellen Darstellungen jener Zeit. Daher ist die LfM offenkundig mit dem Inhalt des Interviews unzufrieden – und behauptet seinerseits das Gegenteil. Auch in diesem Falle wird dem Online-Portal von der Behörde vorgeworfen, die Aussagen des Feuerwehrmanns nicht "eingeordnet" zu haben.

Staat und Medienkonzerne Hand in Hand

Die Landesanstalt setzte dem Magazin eine Frist bis zum 23. September. Bis dahin müssen gemäß Vorgaben der LfM die vier Beiträge "angepasst" und die "verpflichtenden Informationen ergänzt" werden, andernfalls droht die Behörde "zeitnah ein förmliches Verwaltungsverfahren" einzuleiten.

Sollte sich Multipolar den behördlichen Auflagen nicht fügen, drohen "Bearbeitungsgebühren" für jeden beanstandeten Artikel in Höhe von mehreren hundert Euro. In einem ähnlichen Fall wurden dem Internet-Portal apolut von der zuständigen Landesmedienanstalt 800 Euro je Beitrag auferlegt.

Das Online-Portal verweist darauf, dass die Verantwortlichen für diesen Vorgang schließlich der Direktor der LfM, Tobias Schmid, und die Justiziarin Laura Braam seien. Schmid hatte vor seiner Tätigkeit bei der LfM für den Sender RTL gearbeitet – als "Executive Vice President Governmental Affairs". Auch die Stellvertreterin von Schmid, Petra Gerlach, "kommt von RTL", wie Multipolar festhält. RTL gehört mehrheitlich dem Bertelsmann-Konzern.

Die angebliche "Staatsferne" der Landesmedienanstalten sei "eine schöne Fiktion", wie der Vorgänger von Schmid auf dem Direktorenposten der LfM, Jürgen Brautmeier, "schon vor einigen Jahren" festgestellt habe, so Multipolar.

In einem Leser-Kommentar zu dem Artikel äußerte sich der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, Professor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, zu dem skandalösen Vorfall:

"Was soll man dazu noch sagen? Am besten: Es passt ins Bild. Ich hatte ja schon früh darauf hingewiesen, dass der Medienstaatsvertrag über die Hintertür 'Sorgfaltspflichten' ('anerkannte journalistische Grundsätze') aus den Landesmedienanstalten Zensurbehörden macht, bezahlt von uns allen."

Und Meyen weiter:

"Wie man bei Interviews, Interpretationen und Meinungsbeiträgen [...] irgendwelche journalistischen Standards verletzen kann, ist mir rätselhaft. Journalismus hat Öffentlichkeit herzustellen."

Abschließend sei in eigener Sache daran erinnert, dass die damals zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) dem Fernsehsender RT DE die Ausstrahlung seines Programms in Deutschland Anfang Februar 2022 untersagt hat.

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