Deutschland

Die große Angst vor dem Umbruch: Von Verfassungsschützern und Presseorganen

Wenn man betrachtet, wo dieses Deutschland alles Umstürze sieht, fürchtet und bekämpfen zu müssen meint, fragt man sich, wo dieses Land liegt, in dem das sein soll. Der Kampf gegen Publikationen ist ein Kampf gegen eine noch ungeborene Zukunft.
Die große Angst vor dem Umbruch: Von Verfassungsschützern und Presseorganen© Eugène Delacroix, Public domain, via Wikimedia Commons

Von Dagmar Henn

Militärisch würde man das eine Zangenbewegung nennen, wenn man das Vorgehen gegen Compact und die Bewertung, gegen die die junge Welt gerade einen Prozess führt, zusammen liest. Die beiden Presseorgane verbindet politisch so gut wie nichts; aber in beiden Fällen dreht sich die Auseinandersetzung um eine rechtliche Konstruktion, mit der aus einer Publikation und deren herausgebendem Unternehmen eine "Personengruppe" gemacht wird, die man dann verbieten könnte oder, wie im Falle von Compact, bereits verboten hat.

Der Prozess, den die junge Welt gerade führt, geht auf eine Klage aus dem Jahr 2021 zurück; ein Detail, das belegt, wie lange diese begriffliche Konstruktion, die die Meinungs- und Pressefreiheit aushebelt, bereits in Arbeit ist und dass es an diesem Punkt eine völlige Kontinuität zwischen der radikal antidemokratischen Haltung der Ampelkoalition und der vorhergehenden Merkel-Regierung gibt. (Ein Rätsel, das sich vermutlich in Gestalt des zuständigen Ministerialdirektors lösen lässt.)

Dieses Vorgehen in zwei Schritten – erst aus einem Presseorgan einen Verein zu machen und dann den Verein zu verbieten – ist ein Angriff auf die Pressefreiheit auf einer Ebene, wie er in demokratischen Phasen Deutschlands nicht zu finden ist. Wobei es aufschlussreich ist, dass der Beginn des Prozesses der jungen Welt mit der Aktion gegen Compact zusammenfällt; das wirkt gerade so, als wäre das bereits durchgeführte Verbot eine Rechtfertigung für ein kommendes, mit dem Hintergedanken, man könne das dann wunderbar als ein Vorgehen gegen "Extremisten jeder Art" rechtfertigen.

Interessanterweise gibt es einen Begriff, der in beiden Zusammenhängen angeführt wird: Umsturz. Eine "umstürzlerische Agenda" verfolge die junge Welt; das ist etwas, das sie wohl aus Sicht der Verfassungsschützer und der Bearbeiter im BMI mit Compact gemein hat; ein Vorwurf, der, gegen ein Presseorgan erhoben, vielleicht dann Sinn machen würde, wenn es eine AK 47 als "Gimmick der Woche" samt Grundrissen relevanter Gebäude mitliefern würde, und ernsthaft betrachtet nicht einmal dann.

Denn jeder, der sich jemals gründlicher mit der Geschichte von Umstürzen beschäftigt hat, weiß, dass die Dynamik dahinter stets eine soziale ist, keine publizistische, und es völlig unmöglich ist, einen Umsturz herbeizuschreiben. Übrigens ist es ebenso wenig möglich, ihn wegzuschreiben. Das Extrembeispiel dafür lieferte Grigori Sinowjew im Oktober 1917. Der veröffentlichte nämlich einige Tage nach dem Beschluss des Zentralkomittees der Bolschewiki zum Aufstand, bei dem er abwesend war, in der Zeitung Maxim Gorkis einen Artikel, in dem er gegen ebendiesen Beschluss zu Felde zog. Hat das am Ergebnis etwas geändert?

Es ist schwer, eine logische Erklärung für dieses amtliche Vorgehen zu finden. Nicht nur, dass aus jeder Mücke ein Elefant wird – man denke nur an den Rollatorputsch und die zwei Pistolen, die den Bundestag unter Kontrolle bringen sollten – und Ereignisse zum Umsturzversuch aufgeblasen werden, die es zu Weimarer Zeiten allerhöchstens zu einer Kurznotiz in der Lokalpresse gebracht hätten. Dazu kommt noch, dass die Deutschen selbst, die ja schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts den Ruf hatten, vor der Erstürmung des Bahnhofs eine Bahnsteigkarte lösen zu wollen, in großer Mehrheit die Internierung in der eigenen Wohnung und andere freiheitsberaubende Maßnahmen klaglos über sich ergehen ließen und auch gegen die laufende Kriegspolitik nur sanften Widerspruch erheben.

Dennoch gibt es derartige Manöver gegen die Pressefreiheit, und sie gliedern sich ein in eine (nicht ganz) beispiellose Verwischung der Grenze zwischen Wort und Tat, wenn man gleichzeitig an die vielfach eingeführten und verschärften Delikte wie § 140 StGB denkt. Die Liste der Sätze und Zusammenhänge, die nicht mehr gesagt werden dürfen, wird stetig länger. Im selben Moment wird, nicht nur mit dem Vorgehen gegen Druckerzeugnisse, der Raum des Handelns außerhalb des Strafrechts stetig erweitert – es ist schließlich beim Verbot von Compact kein nachgewiesener Verstoß gegen das Strafrecht, sondern die Bewertung durch den Verfassungsschutz, die als Begründung angeführt wird.

Wenn aber diese Bewertung unmittelbare materielle Konsequenzen hat, dann ist das gleichbedeutend damit, dem Verfassungsschutz Exekutivgewalt zu verleihen (etwas, das sich schon in der Änderung des Verfassungsschutzgesetzes in den "Wir rufen alle an"-Passagen abzeichnete). Natürlich sind es dann nach wie vor nicht die Verfassungsschützer selbst, die Wohnungen stürmen und Büros ausräumen, aber die vom Grundgesetz vorgegebene Trennung zwischen Nachrichtendienst und Polizei verschwindet dadurch dennoch, insbesondere, weil manche der möglichen Konsequenzen dessen, was der Verfassungsschutz mittlerweile darf, weiter gehen als das, was die Polizei dürfte.

Durch diese Schritte entsteht eine Grauzone des Exekutivhandelns, die außerhalb jeder rechtlichen Grundlage, außerhalb jeder Überprüfbarkeit steht, denn die Schlapphutbehörde schafft sich ihre Begriffe und Kategorien nach Gusto, wie "Delegitimierung des Staates".

Da wird also der deutschen Zeitung junge Welt vorgehalten, marxistisch zu sein, in einem Deutschland, das immerhin noch 2003 Karl Marx in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Senders ZDF auf den dritten Platz der größten Deutschen beförderte (auch wenn es ein Rätsel ist, wie ausgerechnet der Separatist Konrad Adenauer auf Platz 1 geraten konnte). Marx, das müsste selbst dem Verfassungsschutz klar sein, ist so deutsch wie Schweinsbraten und die Luther-Bibel, und einer deutschen Zeitung vorzuwerfen, sich an seiner Philosophie zu orientieren, so sinnvoll, wie ihr die Großschreibung von Substantiven vorzuhalten.

Aber die Schaffung dieser Grauzone, deren Existenz doch eher auf Diktatur hinweist als auf Demokratie, die Aufhebung der Trennung zwischen Wort und Tat und die kreative Erfindung von Umstürzen, das alles macht noch keinen Sinn. Man wundert sich eher, wenn man weiß, wie ungeheuer dicht das Netz der Manipulation ist, das in Deutschland jede reale politische Entwicklung verhindert. Von zwei Seiten. Auf der einen mit verschiedensten Methoden der Repression und Überwachung, die vielen Nebengeheimdienste eingeschlossen, auf der anderen durch zielgerichtete Zersetzung. Wer mitbekommen hat, wie schnell vor Jahren das Projekt "Aufstehen" scheiterte, weiß, was gemeint ist. Jeder, der längere Organisationserfahrung hat, hat längst begriffen, dass man vor Manipulation nur um den Preis völliger Abschottung sicher wäre, und die kostet nun einmal weitgehend die politische Wirksamkeit.

Das macht die Vorhaltungen über "Umstürze" so ungeheuer lächerlich. Schließlich braucht es dafür, so sind nun einmal die technischen Anforderungen, entweder eine beträchtliche Zahl bewaffneter und organisierter Kräfte, oder aber eine noch wesentlich beträchtlichere Zahl aufgebrachter, handlungsbereiter Menschen. Der Sturm auf die Bastille erfolgte nicht mit einer Handvoll. Die Frage, ob diese beträchtliche Zahl aufgebrachter und handlungsbereiter Menschen zur Verfügung steht, entzieht sich aber persönlichen Wünschen, selbst den kollektiven Wünschen größerer Organisationen, als sie derzeit in Deutschland zu finden sind; diese historische Dynamik wird nicht gemacht, sie ereignet sich.

Sogar wenn man erstaunt auf die immer wieder berüchtigte Geduld der Deutschen blickt, die sich jetzt scheinbar auch noch die industrielle Grundlage nehmen lassen, und feststellen muss, dass objektiv, also nach den Maßstäben des nationalen, des kollektiven Interesses, weitaus mehr Unruhe vorhanden sein müsste, ein Umsturz ist, so sehr man das bedauern mag, nicht in Sicht. Nicht einmal, wenn man berücksichtigt, dass, dem Vorbild von Bundeskanzler Olaf Scholz folgend, große Teile des Bundestags so entbeint sein dürften, dass sie vielleicht tatsächlich alle miteinander mit zwei Pistolen in Schach zu halten wären. Man kann es ja nachvollziehen, dass das Königreich Preußen die Neue Rheinische Zeitung, für die Marx schrieb, 1848 mit Verboten verfolgte; aber bei dem verzerrten Verhältnis zwischen Angriff und Widerstand, das in Deutschland herrscht, hat das Vorgehen gegen jede Art oppositioneller Presse schon etwas davon, einen toten Hund zu prügeln.

Allerdings – wenn man die Einschätzung ernst nimmt, dass die Möglichkeiten organisatorischer Arbeit fast vollständig blockiert sind, dass also der Zustand bezogen auf die Entwicklung politischer Gegenkräfte im Grunde eine Art Illegalität in der Legalität darstellt, in dem ein formelles Verbot gar nicht mehr nötig ist, weil Durchdringung und Einschüchterung, die immerhin Jahrzehnte anhielten, die Wirksamkeit ohnehin verhindern (allein, wenn man die Liste der Organisationen durchgeht, die vor vierzig Jahren gegen die Stationierung der Pershing tätig waren, und deren heutige Positionen betrachtet, wird klar, wie weit das ging), dann verändert sich die Rolle der Presse tatsächlich.

Denn auch das lässt sich an den historischen Beispielen erkennen. Die veröffentlichte Meinung ist der letzte Faden, an dem sich Organisation, Handlungsfähigkeit kristallisieren kann, wenn alles andere verschwunden ist (ob zerschlagen, übernommen oder zersetzt, macht da keinen Unterschied). Schon im deutschen Bauernkrieg waren es vielfach Flugblätter, um die herum sich Strukturen bildeten; eingeschmuggelte Zeitungen waren für die russische Sozialdemokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenso zentral wie für den deutschen Widerstand in der Nazi-Zeit. Weil dann, wenn die konkrete Zusammenarbeit konkreter Personen massiv erschwert ist, es diese Veröffentlichungen sind, die dazu beitragen, gemeinsame Überzeugungen herauszubilden, die dann, sobald die Hindernisse für eine Organisierung fallen, aus welchem Grund auch immer, schnell in politische Organisation umschlagen können.

Das bedeutet, die Angriffe, die derzeit gegen die wenigen in Deutschland noch vorhandenen oppositionellen Medien laufen (und das wird so gut wie alle treffen), zielen mitnichten auf einen gegenwärtigen Zustand, sondern auf einen künftigen. Wenn man schon so gut wie jede Form politischer Organisation zerstört hat, auf jeden Fall dort, wo einmal die traditionelle Linke war, dann soll mit der Unterbindung von Publikationen dafür gesorgt werden, dass auch künftig kein Gras mehr wächst. Schon die Gedanken, die der Organisation vorausgehen, sollen nicht mehr geteilt werden dürfen.

Wer allerdings glaubt, damit habe man nun endlich das Ei des Kolumbus gefunden und mit der Kombination aus Allzeitüberwachung, Existenzvernichtung nach Gusto der Verfassungsschützer und Aufhebung der Meinungs- wie der Organisationsfreiheit sei es nun endlich dauerhaft gelungen, das Land in ein Freiluftgefängnis zu verwandeln, das nicht einmal mehr Wachen benötigt, der könnte die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben.

Denn so wenig sich ein Umsturz herbeischreiben lässt, weil sich die große Maschinerie der gesellschaftlichen Widersprüche wenig darum schert, was gedruckt wird und was nicht, so wenig nützen all diese Manöver. Die Umbrüche weltweit sind atemberaubend, da ist all das große Getue von Faeser und Co. nicht mehr als ein vergeblicher Versuch, einen Holzschuh ins Getriebe zu werfen. Es gibt da ein hübsches Lied von Bertolt Brecht, Das Lied von der Moldau:

"Am Grunde der Moldau wandern die Steine,

Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine,

Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag."

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