Orbán im Interview: Man muss die Realität anerkennen ‒ Russland wird Krieg nicht verlieren
Paul Ronzheimer war einfach eine schlechte Wahl. Der Springer-Journalist, der vor allem für die Bild-Zeitung über den Ukraine-Krieg berichtet, glaubt das deutsche Narrativ zum Ukraine-Konflikt, setzt in seiner Berichterstattung auf Emotionalisierung und moralische Empörung. Für Ronzheimer beginnt der Ukraine-Konflikt am 24.02.2022 und hat keine Vorgeschichte.
Die Ukrainer leiden unendlich und die Russen sind grausam wie Tiere. Was die Ukraine im Donbass tut, fällt bei Ronzheimer unter den Tisch. Ronzheimer hat wie die deutsche Politik keinen rationalen Zugang zum Konflikt. Beide lassen aus, was nicht ins Bild passt, und überzeichnen das, was seiner Dramatik dient. Wäre es anders, wäre Ronzheimer nicht bei Springer.
Viktor Orbán verfügt dagegen über diesen rationalen Zugang ‒ seine Friedensmission ist daher in der Lage, einen Beitrag zur Beendigung des Krieges zu leisten. Ronzheimer als Vertreter einer typisch deutschen Position kann das nicht. Das politische und mediale Establishment in Deutschland hat sich im eigenen Narrativ verfangen und kann daher nichts zur Lösung beitragen. Der Zugang zur Rationalität muss in Deutschland erst wieder erarbeitet werden. Orbán weist Ronzheimer dabei den Weg. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es ein anderer Vertreter des journalistischen Mainstreams besser gemacht hätte. Vermutlich nicht. Es ist ein sehr deutsches, systemisches Problem, das im Interview der Welt deutlich wird.
"Der Krieg ist das Ergebnis der Entscheidung bestimmter Menschen. Deshalb müssen wir diese Führer der Welt finden. Wie gehen China, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union vor? China hat einen Friedensplan. Amerika hat eine Kriegspolitik. Und Europa, statt eines eigenen strategischen Ansatzes, kopiert einfach die amerikanische Position", ist der Vorwurf Orbáns an die Politik der EU.
Statt auf den schweren Vorwurf des ungarischen Ministerpräsidenten einzugehen und ihn aufzunehmen, spielt Ronzheimer die moralische Karte:
"Wie ist es, Wladimir Putin die Hand zu schütteln, den viele für einen Kriegsverbrecher halten und der Stalin schätzt?"
Ein Fremdschäm-Moment. Dass Ronzheimer mit gleicher moralischer Hybris eine ähnliche Frage an einen Staatenlenker stellen könnte, der Obama, Blair, Bush, Trump oder Biden die Hand geschüttelt hat, kann bezweifelt werden. Er macht damit auf eine Schieflage im deutschen Journalismus aufmerksam. Man ist um Ausgewogenheit und journalistische Distanz noch nicht einmal mehr bemüht.
Orbán weist Ronzheimer auf seine Defizite hin. Die Entscheidung, in einen Krieg zu ziehen, wird rational getroffen, führt er aus. Im Falle des Ukraine-Konflikts geht es darum, den Beitritt der Ukraine zur NATO zu verhindern, nachdem das zuvor auf diplomatischem Weg nicht umzusetzen war. Russland sieht in einem NATO-Beitritt eine rote Linie, da er die Sicherheit Russlands bedrohen würde.
"Zunächst einmal müssen wir verstehen, dass der Krieg nicht darüber entscheidet, wer Recht hat und wer nicht. Jede Seite hat ihre eigenen Argumente, warum es vernünftig ist, in den Krieg zu ziehen. Im Krieg wird nur entschieden, wer stirbt und wer am Leben bleibt. In Brüssel, in Paris oder in der Nähe des Atlantiks hat man vielleicht die Distanz, den Krieg theoretisch zu betrachten."
Orbán macht deutlich, dass es um eine nachhaltige Lösung gehen muss. Sowohl die ukrainische als auch die russische Seite denkt, dass ein Waffenstillstand nur der anderen Seite dienen würde, indem er ihr Zeit zur Aufrüstung verschafft.
Orbán sagt es nicht, aber aus diesem Grund ist der Vorschlag Putins, gemeinsam mit allen Ländern auf dem eurasischen Kontinent eine neue Sicherheitsarchitektur zu etablieren, weitreichend. In ihm ist die nachhaltige Lösung des Ukraine-Konflikts und die Verhinderung der Entstehung neuer Konflikte angelegt. Deutschland hat Putins Einladung zur Kooperation unmittelbar abgelehnt. Orbán weist auf das dafür zugrundeliegende Problem hin.
Die EU und auch Deutschland sind nicht in der Lage, eine eigenständige Position zu formulieren. Die EU folgt ausschließlich den US-Vorgaben. Sie liefert Waffen mit dem Ziel, Russland eine strategische Niederlage beizubringen. Das aber ist unmöglich.
Orbán ist das klar: "Man muss auf die Realitäten blicken. Putin kann nicht verlieren, wenn man sich die Zahl der Soldaten, die Ausrüstung und die Technologie anschaut."
Diese Realität will in Deutschland kaum jemand zur Kenntnis nehmen. Experten, die auf diese Tatsache hinweisen, kommen in den großen deutschen Medien nicht mehr zu Wort. Deutschland hat sich medial von der Realität isoliert. Von dieser geistigen Isolation ist auch der Duktus des Interviews getragen. Dort zeigt sich diese Isolation Deutschlands in Ronzheimers Frage:
"Wir sprechen seit Kriegsbeginn auch darüber, dass die russische Armee ein NATO-Land angreifen könnte. Haben Sie mit Putin darüber gesprochen?"
Orbáns Antwort ist klar.
"Ich mag es nicht, lächerlich zu sein. Kein ernsthafter Mensch kann davon sprechen, dass Russland die Absicht hat, die NATO anzugreifen."
In Deutschland wird genau dieses lächerliche Narrativ gezüchtet. Die Deutschen müssen kriegstüchtig werden, denn Russland plane, das Land anzugreifen, ist eine weitgehend unhinterfragte These, mit der in Deutschland die Entstehung eines neuen Militarismus legitimiert wird. Orbán dagegen fordert, endlich eine eigenständige europäische Position zu formulieren. Seine Reise nach Kiew, Moskau und nun China ordnet er hier ein.
Orbáns Reisen haben das Potenzial, das politische Vakuum zu lösen, das in der EU herrscht. Er hat bewiesen, dass man ‒ entgegen den Behauptungen zahlreicher Politiker ‒ mit Putin reden kann. Seine Reisen haben deutlich gemacht, dass es im Gegenteil die EU ist, die keinen Frieden will.
"Ich denke, wir sollten anfangen, etwas mehr und gründlicher darüber zu sprechen, was das strategische Interesse Europas ist, insbesondere für die Zeit nach den US-Wahlen. Ich will Alternativen zu den vorherrschenden Linien aufzeigen. Deshalb ist die Diskussion, die meine Reisen ausgelöst haben und die meine künftigen Reisen auslösen werden, nicht schlecht, sondern gut."
Orbán denkt aufgeklärt und in den Abläufen der Geschichte. An einen "unprovozierten russischen Überfall auf die Ukraine" wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) die Entstehung des Konflikts beschreibt, glaubt Orbán selbstverständlich nicht, denn das entspricht schlicht nicht der Abfolge der Ereignisse. Im Gegenteil sieht er eine große Mitverantwortung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bei der Entstehung des Konflikts.
"Wir haben den Fehler gemacht, dass es einen Konflikt gibt, dass es einen Krieg gibt. Und anstatt ihn zu isolieren, haben wir ihn eskaliert und immer internationaler gemacht."
Für den Mainstream-Journalisten Ronzheimer, der die unterkomplexe deutsche Sicht vertritt, müssen die eigentlich selbstverständlichen Aussagen Orbáns zum Konflikt eine nervliche Belastungsprobe gewesen sein. Aber ja, Orbán hat Recht, es muss verhandelt werden, denn ohne Verhandlungen ist der Konflikt nicht zu lösen. Moralische Empörung und geistige Verhärtung helfen bei der Konfliktlösung nicht.
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