Deutschland

Vereine fordern steuerliche Begünstigung für "Kampf gegen Rechtsextremismus"

Der Einsatz für die Demokratie sei in Gefahr, wenn das Steuerrecht nicht geändert würde, sollen hundert Vereine bei Bundeskanzler Scholz moniert haben. Es geht um die Gemeinnützigkeit, die von den Finanzämtern zunehmend angezweifelt wird.
Vereine fordern steuerliche Begünstigung für "Kampf gegen Rechtsextremismus"Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/ARCHEOPIX

Einen "Brandbrief" sollen hundert Vereine und Stiftungen an Bundeskanzler Scholz geschrieben haben, weil sie durch ihr "Engagement für Demokratie" ihre Gemeinnützigkeit bedroht sehen. "Wir bekommen Briefe vom Finanzamt, die die Gemeinnützigkeit anzweifeln, weil wir Demonstrationen organisiert haben", zitiert der Spiegel aus dem Schreiben.

Auseinandersetzungen um die Gemeinnützigkeit gibt es seit einigen Jahren, als dem Verein Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, weil er zu politisch sei. Die Auseinandersetzung mit Attac endete in einem Urteil des Bundesfinanzhofs im Jahr 2019. Im Gefolge dieses Urteils erging 2022 ein Erlass des Bundesfinanzministeriums, der die Grenzen für gemeinnützige Vereine genauer definierte.

"Es ist einer steuerbegünstigten Körperschaft gleichwohl gestattet, auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt. Die Beschäftigung mit politischen Vorgängen muss im Rahmen dessen liegen, was das Eintreten für die steuerbegünstigten Zwecke und deren Verwirklichung erfordert. Zur Förderung der Allgemeinheit gehört die kritische öffentliche Information und Diskussion dann, wenn ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahegebracht werden soll. (…) Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Bei Verfolgung der eigenen satzungsmäßigen Zwecke darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen."

Vereinzelte Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen, die nicht Satzungszweck sind, seien möglich.

Im Falle des Vereins Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e. V. hatte das Finanzamt Eberswalde bereits 2022 die Gemeinnützigkeit aberkannt – weil die Vorsitzende Liane Kilinc im Verlauf von drei Jahren auf insgesamt fünf Kundgebungen aufgetreten war, das aber nicht einmal im Auftrag des Vereins. Allerdings beschäftigt sich Friedensbrücke seit Jahren mit Hilfe für den Donbass, und dieses Thema ist anscheinend kritischer, weshalb ein Anteil politischer Tätigkeit, der im Promillebereich liegt, bereits die Gemeinnützigkeit gefährdet.

Nicht, dass das im Fall von Friedensbrücke besonders wirkungsvoll war – im Gegensatz zu der jetzigen Berichterstattung beispielsweise des SWR bedeutet eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit nicht, dass ein Verein keine Spenden mehr annehmen darf; es bedeutet nur, dass die Spender den Steuervorteil verlieren, den sie andernfalls für die getätigte Spende erhielten, und – im Falle der jetzt betroffenen Vereine womöglich besonders wichtig – unter Umständen der Zugriff auf Stiftungsgelder entfällt. Die Spender von Friedensbrücke jedenfalls waren bereit, auch ohne diesen Vorteil weiter zu spenden.

Erst im März dieses Jahres wurde auch dem "Volksverpetzer", einem Denunziationsportal, das noch weit aggressiver ist als "Correctiv", die Gemeinnützigkeit aberkannt. Die Liste der hundert Vereine, die an Bundeskanzler Scholz geschrieben haben, wurde bisher nicht veröffentlicht, aber es wäre nicht überraschend, wenn sich auch der "Volksverpetzer" darunter fände.

Auch wenn in dem Schreiben behauptet werden soll, es sei das "Anschwärzen durch die AfD", der die Unterzeichner Schwierigkeiten mit den Finanzämtern zu verdanken hätten, dürfte das nicht der Wahrheit entsprechen. "Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen", schrieb einst Anatole France, und die Finanzbehörden stehen vor dem Problem, dass es auf Dauer nicht möglich ist, Vereinen wie Friedensbrücke die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, und sie Vereinen wie "Volksverpetzer" zu belassen. Insofern handeln die Finanzbehörden nur konsequent, wenn sie auch Aufrufe zu Demonstrationen "gegen Rechts" als tagespolitische Tätigkeit behandeln.

Der Bundestag kann selbstverständlich jederzeit beschließen, die Grenzen des Steuerrechts anders zu ziehen und damit den Finanzämtern andere Vorgaben zu machen. Eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts soll auch bereits im Koalitionsvertrag enthalten gewesen sein; sie sei aber auch im bereits beschlossenen Jahressteuergesetz 2024 nicht enthalten. Allerdings deutet die Berichterstattung über das Schreiben an, dass die Unterzeichner mitnichten eine Änderung anstreben, die alle Arten der politischen Tätigkeit gleich behandelt, sofern man sie im Licht der aktuellen Verwendung der Begriffe liest:

"Die Unterzeichner rufen die Regierung auf, den Einsatz für demokratische Werte, Menschenrechte, Antidiskriminierung und Rechtsstaatlichkeit in die Liste gemeinnütziger Zwecke aufzunehmen. Zudem solle es etwa Sportvereinen möglich sein, zu Demonstrationen gegen rechts aufzurufen, ohne um ihre Existenz fürchten zu müssen."

Die große Lücke in dieser Liste jedoch fällt selbst dann auf, wenn man bei "demokratischen Werten" nicht sogleich an Bundesinnenministerin Faeser oder die "Delegitimierung des Staates" oder "Desinformation" im Verfassungsschutzbericht denkt. Einsatz für den Frieden und für Völkerverständigung wird nicht erwähnt.

Wie das Beispiel von Volksverpetzer schon zeigt, können sich auf der Liste der Unterzeichner kleinere und größere Vereine (wie die Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt) finden; solche, die tatsächlich sinnvolle politische Bildung vermitteln, und solche, die genaugenommen illegale Privatgeheimdienste darstellen, wie Correctiv oder die Amadeu-Antonio-Stiftung. Genau diese Mischung dürfte auch der Grund sein, warum diese Liste nicht veröffentlicht wurde; denn es könnte dazu führen, dass das Publikum bei dem einen oder anderen Unterzeichner in Zweifel gerät.

Die Tatsache, dass die Meldung über dieses Schreiben auch in der Tagesschau groß gebracht wurde, legt nahe, dass neben dem Steuerrecht noch ein anderes politisches Ziel verfolgt werden könnte. Nancy Faeser hatte Ende vergangenen Jahres ein "Demokratiefördergesetz" vorgelegt, das eine dauerhafte Bundesfinanzierung von Projekten wie eben Correctiv oder der Amadeu-Antonio-Stiftung sichern sollte. Das Gesetz kam im März zur ersten Lesung; seitdem gibt es keine weiteren Nachrichten, was womöglich mit dem schwindenden politischen Einfluss der Grünen zu tun haben könnte, deren Klientel damit vorrangig finanziert würde. Die öffentliche Klage, "Vereine sehen Arbeit gegen Rechtsextremismus bedroht", wie die Tagesschau titelte, könnte auch die Absicht verfolgen, dieses Gesetzesvorhaben wiederzubeleben.

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