"Umkehr der Unschuldsvermutung": Verteidiger kritisiert Verurteilung von Björn Höcke
Wie bereits von RT berichtet, hat das Landgericht Halle an der Saale den AfD-Politiker Björn Höcke am Dienstag zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130 Euro verurteilt. Sein Verteidiger Dr. Ulrich Vosgerau hat sich nun in einem Interview für die Junge Freiheit zu den Gründen des Urteils und den Aussichten eines Rechtsmittels dagegen geäußert.
Vosgerau nennt das Urteil darin "einen Skandal", weil dem Thüringer AfD-Chef darin der Vorsatz nicht nachgewiesen, sondern dieser ihm entgegen dem Grundsatz "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten) unterstellt worden sei. Dies sei eine Umkehr der Unschuldsvermutung, so der Jurist.
Vosgerau hält außerdem die Behauptung, dass es sich bei der Formel "Alles für Deutschland" um "das Motto oder eine ansonsten wichtige Losung gerade der SA" handele, für "widerlegt". Diese Annahme sei "seinerzeit durch das Oberlandesgericht Hamm in die Welt gesetzt" worden, aber "unhaltbar".
Die ursprüngliche Behauptung, dass Höcke die Zuordnung der Losung aufgrund seines Geschichtsstudiums bewusst gewesen sei, habe das Gericht wohl nicht aufrechterhalten, so jedenfalls die Einschätzung des Anwalts auf Grundlage der mündlichen Urteilsbegründung. Stattdessen haben die Richter Höcke offenbar unterstellt, von anderen AfD-Politikern, insbesondere Ulrich Oehme, "alle Einzelheiten der Auslegung des Paragraphen 86a Strafgesetzbuch" erfahren zu haben. Diese Unterstellung erfolge jedoch, kritisiert der Jurist, ohne dass Oehme als Zeuge je zu etwaigen Gesprächen mit Höcke vernommen wurde. Das Gericht habe sich offenbar auf "Lebenserfahrung" gestützt, wonach "die beiden sich kennen und sich, obwohl beide keine Juristen sind, ständig über Einzelheiten der Auslegung des Strafgesetzbuches unterhalten".
Vosgerau kündigte an, das Urteil durch Revision beim Bundesgerichtshof anzufechten. Dies ist das einzige mögliche Rechtsmittel im Fall Höcke, weil die Staatsanwaltschaft die Anklage vor dem Landgericht erhoben und dem Angeklagten damit eine Instanz abgeschnitten hat.
Im "Rechtsstaat" Deutschland ist für die wirklich schweren Strafsachen, in denen auch langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen werden, im Gegensatz zu Straftaten der Kleinkriminalität, keine Berufung vorgesehen und der Instanzenzug damit nur auf die wenig effektive Revision beschränkt. Bei der Revision erfolgt anders als bei der Berufung keine erneute Prüfung der Beweise. Das Revisionsgericht prüft nur, ob die erste Instanz schwere Verfahrens- oder Rechtsfehler begangen hat. Außerdem ist das Revisionsrecht so kompliziert, dass selbst gestandene Strafverteidiger Schwierigkeiten haben, erfolgreiche Verfahrensrügen zu erheben. Der Bundesgerichtshof hat über die Jahre zahlreiche im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Anforderungen an die schriftliche Urteilsbegründung erfunden, die inzwischen ganze Bibliotheken füllen.
Ein effektives Rechtsmittel, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention fordert, existiert damit in Deutschland nach Auffassung von Kritikern der deutschen Justiz ausgerechnet in jenen Strafverfahren, in denen die schwersten Strafen verhängt werden, faktisch nicht.
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