Corona-Aufarbeitung: Ex-Gesundheitsminister Spahn warnt vor "Querdenkergerichtshof"
Die jüngsten medial-politischen Ereignisse bezüglich der "Corona-Aufarbeitung" waren die kontrovers eingeschätzte und diskutierte Veröffentlichung der sogenannten "RKI-Files" durch das Online-Magazin Multipolar und die daraus resultierenden Reaktionen seitens der Politik. Die verantwortlichen Maßnahmen-Protagonisten der Jahre 2020 – 2022, das offizielle Enddatum der "Corona-Pandemie" wurde Anfang April 2023 durch Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach verkündet, reagieren weiterhin mit nur bedingtem Willen einer kritischen Nachbearbeitung. So verkündete das Bundesland Bayern am 21. April offiziell, dass "die Staatsregierung für eine weitere Offenlegung von Dokumenten keinen Anlass" erkennen würde. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte sich gegenüber dem Sender ntv zum Thema, "welche Maßnahmen man mit dem Wissen von heute 'mit mehr Vorsicht' ergreifen würde".
Spahn wird für die Jahre der Corona-Krise nicht nur in seiner Rolle als ungelernter Bundesgesundheitsminister bis Ende 2021 in Erinnerung bleiben, sondern vor allem für seine frühe, annähernd prophetische Aussage vom 22. April 2020. Während einer Regierungsbefragung im Bundestag in Berlin erklärte der CDU-Politiker, man habe "in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie mit so vielen Unwägbarkeiten, die da sind, so tiefgehende Entscheidungen treffen müssen", um dann vor den Abgeordneten den Satz zu formulieren:
"Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen."
Aus prognostizierten Monaten wurden Jahre, die Spahn nun im April 2024 rückblickend im ntv-Interview wie folgt einschätzt:
"Etwas, was mich zum Beispiel sehr beschäftigt, ist die Frage der Schulschließungen, der Kindergärten, was das für die Familien, für die Kinder vor allem auch bedeutet hat und die Folgen, die das bis heute hat. Ich glaube, mit dem Wissen von heute würde man diese Maßnahmen mit etwas mehr Vorsicht ergreifen."
Spahn war nach der Abwahl der Regierung Merkel im November 2021, seinem persönlichen Verlust des Ministerpostens an Karl Lauterbach (SPD), in der Restphase der Corona-Krise abgetaucht. Im September 2022 erfolgte dann die mehr als profitable Veröffentlichung eines Buches. Titel und Klappentext lauten:
"Wir werden einander viel verzeihen müssen: Wie die Pandemie uns verändert hat – und was sie uns für die Zukunft lehrt. Innenansichten einer Krise."
Der ntv-Artikel erwähnt abschließend zumindest den steuerpolitischen Skandal des "Masken-Gate" in der Amtsphase von Jens Spahn, ohne ihn jedoch im Interview damit zu konfrontieren. So heißt es eher herunterspielend in der Bedeutung:
"Was einen zentralen Punkt seiner Coronapolitik angeht, bekam Spahn erst jüngst einen Rüffel vom Bundesrechnungshof. Wie der "Spiegel" berichtete, warfen die Finanzprüfer dem CDU-Politiker und dem von ihm damals geleiteten Gesundheitsministerium mangelnde Aufarbeitung, was eine "massive Überbeschaffung von Schutzmasken zu Beginn der Coronapandemie" angeht.
Immerhin geht es um die nachweisliche Steuergeldverschwendung von etwa 6 Milliarden Euro, bei dem kopflosen Einkauf von Gesundheitsmaterial und aktuell der damit verbundenen nun angeordneten, notwendigen Vernichtung dieser Materialien. So titelte die Bild-Zeitung diesbezüglicher Realitäten zu Wochenbeginn:
"Steuerzahlerbund fassungslos – Masken-Skandal kostet dieses Jahr weitere 534 Millionen Euro."
Spahn fokussiert sich demgegenüber im ntv-Interview auf die "positiven Effekte" in der Corona-Krise. Der aktuell stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wörtlich in seiner Wahrnehmung:
"Am Ende hat das demokratische System sich als das Stärkere erwiesen, eben weil wir die Dinge kritisch diskutieren, weil wir auch Politik korrigieren können. Wir sind unterm Strich gut durch diese schwere Zeit gekommen […] Die Politik der Bundesregierung hat während der ganzen Zeit übrigens 80 bis 90 Prozent an Unterstützung in der Bevölkerung, bei den Bürgerinnen und Bürgern gehabt."
Zum Thema der kontrovers diskutierten Notwendigkeit einer "Corona-Aufarbeitung" appelliert Spahn im Interview nun daran, die Diskussion bei der Aufarbeitung "breit zu führen". Spahn wörtlich in seiner persönlichen Einschätzung:
"Es ging nie darum, Wahrheiten zu verkünden. Die Frage, ob Maske zu tragen ist im Bus, in der Bahn, ist keine Frage von Wahrheit, sondern von Abwägung gewesen zwischen der Freiheit des einen und dem Gesundheitsschutz des anderen. Es gibt diejenigen, denen gingen die Maßnahmen zu weit. Aber es gab auch diejenigen, die hätten sich noch schärfere, klarere Maßnahmen gewünscht."
Spahn formuliert dann seine Vorstellungen zur inhaltlichen Umsetzung einer gesellschaftlichen wie auch medial-politischen Aufarbeitung:
"Und deswegen darf das weder die rosarote Brille für die Regierung und die Politik werden noch ein Querdenkergerichtshof, sondern wenn wir die Dinge aufarbeiten, dann sollten wir es auch mit der nötigen Breite tun."
Bei einer Aufarbeitung der getroffenen politischen Entscheidungen appelliere er daher an potenziell beteiligte Gruppierungen, "erbittlich zu bleiben" und "nicht unerbittlich zu werden".
Am 22. April informierte das für die Veröffentlichung federführend verantwortliche Online-Magazin Multipolar in einem Artikel darüber, dass die kommende Gerichtsverhandlung zum Thema der vollständigen sogenannten Entschwärzung der "RKI-Files" seitens des zuständigen Gerichts vertagt wurde. Einem diesbezüglichen Antrag der RKI-Anwälte wurde stattgegeben. Der ursprüngliche Termin am 6. Mai wurde vorerst aufgehoben.
Mehr zum Thema - Corona-Aufarbeitung? Der WDR, Wieler und die RKI-Files
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