Michael Müller: "Eine Entschuldigung für die Coronazeit als Ganzes wäre nicht angebracht"
Michael Müller, der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, hat die Corona-Politik in der Bundesrepublik Deutschland verteidigt. Müller war als zeitweiliger Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz für die in dieser Zeit getroffenen Maßnahmen mitverantwortlich. Im Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel erklärte der SPD-Politiker, man habe sich bei allen Entscheidungen auf die "Wissenschaft" gestützt und die Entscheidungen leichtfertig getroffen. Zwar seien manche Maßnahmen überzogen gewesen, eine Entschuldigung für diese Politik lehnte Müller allerdings strikt ab:
"Eine Entschuldigung drückt ein generelles Fehlverhalten aus. So empfinde ich aber nicht. Wir müssen selbstkritisch sein und Fehler benennen, wo sie gemacht wurden. Und für einzelne kann man sich auch entschuldigen. Aber eine Entschuldigung für die Coronazeit als Ganzes wäre nicht angebracht."
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin sprach sich für eine "Aufarbeitung" der Zeit aus, um für die nächste "Gesundheitskrise" besser vorbereitet zu sein und mögliche Erkenntnisse auch auf die "Klimakrise" übertragen zu können:
"Erstens kann die nächste Gesundheitskrise schneller kommen, als uns lieb ist. Wir müssen dann besser aufgestellt sein, was die Vorsorge betrifft: medizinisches Material, Medikamente, Impfstoffe. Das muss man rechtzeitig organisieren. Punkt zwei ist die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, die hat eine herausragende Rolle gespielt, mit hoher Glaubwürdigkeit. Was machen wir daraus? Wie übertragen wir das auf andere Krisen wie die Klimafrage?"
Angesprochen auf den Fall eines 21-jährigen Berliners, der vor wenigen Wochen einen Bußgeldbescheid erhalten hatte, weil er während des Lockdowns 2021 in einer Gruppe von sechs Personen unterwegs war, obwohl eine Obergrenze von fünf Personen galt, sprach sich der Politiker für ein Vorgehen mit Augenmaß aus:
"Das sind Kuriositäten unseres Rechtsstaates. Ich setze in dieser Frage auf den gesunden Menschenverstand und Ermessensspielraum der Behörden, gerade in so einem Fall."
Auch eine "Amnestie" für minderschwere Fälle sei denkbar. Es benötige allerdings klare Kriterien für den Umgang der Justiz mit derartigen Fällen.
Ungnädig zeigte sich Müller weiterhin gegenüber Kritikern der Maßnahmen – und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Dieser habe mit seinen Aussagen zur Polarisierung und der Verengung des Debattenraums beigetragen:
"Das war eine unschöne Situation damals. Markus Söder hat das auf die Spitze getrieben und die Politik in zwei Lager eingeteilt: Team Vorsicht, in dem er sich sah, und Team Risiko. Als wären alle anderen irgendwelche Hallodris, die auf Risiko spielen. Solche Formulierungen haben zur Verhärtung beigetragen."
Grundsätzliche Kritik an den Maßnahmen wertete der heutige Bundestagsabgeordnete indirekt als unverantwortlich:
"Ich akzeptiere jegliche Kritik an einzelnen Maßnahmen. Politik muss sich kritisch hinterfragen lassen, von Journalisten, von Bürgern. Aber umgekehrt erwarte ich auch eine Akzeptanz für politische Entscheidungen, die andere Menschen schützt, die sich nicht selbst schützen können. In den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen. Wer damals die Bilder aus Italien, New York und auch unseren Krankenhäusern gesehen hat und nicht zur Schlussfolgerung kam, dass er jetzt etwas zur Eindämmung dieser Pandemie beitragen muss … tut mir leid, dafür habe ich bis heute kein Verständnis."
Kein Verständnis zeigt Müller auch für Kritiker an der Maskenpflicht – obwohl selbst der Interviewer des linientreuen Tagesspiegel Zweifel an deren Wirksamkeit anklingen lässt:
"Ich kann diese Hürde einfach nicht verstehen, die einige Leute darin gesehen haben, eine Maske zu tragen. Andere Dinge waren viel einschneidender: die Schulschließungen, die Kontaktbeschränkungen, Geschäftsschließungen. Und dass man dann im Ernst, in Anbetracht von Hunderttausenden Toten in der Welt, darüber redet, ob es zumutbar ist, eine Maske zu tragen oder nicht, finde ich bis heute schwer nachvollziehbar."
Zuletzt hatte es nach der durch das Medium Multipolar gerichtlich erstrittenen Veröffentlichung der Corona-Protokolle des Robert Koch-Institutes (RKI) neue Forderungen nach einer Aufarbeitung der Pandemie-Zeit gegeben – und Kritik an der Intransparenz des RKI. Müller sprach sich in dieser Frage für "weitgehende Transparenz" aus:
"Ich finde es nachvollziehbar, dass man Namen schwärzt, um diejenigen zu schützen, die sich dort in einem geschützten Raum geäußert haben – das sind ja keine Politiker. Ansonsten bin ich für weitgehende Transparenz. Alles andere beflügelt nur Verschwörungstheorien. Ich habe keine Sorge vor den Inhalten dieser Protokolle."
Die von einem dpa-Artikel bestimmte Berichterstattung über Müllers Interview konzentriert sich auf Müllers indirekte Forderung nach einer "Corona-Amnestie", nicht auf seine Verteidigung des Corona-Regimes. Der Tagesspiegel-Journalist eröffnete den Teaser des Artikels mit dem bemerkenswerten Satz:
"Michael Müller denkt im Gespräch über eine Amnestie von Maßnahmen-Ignoranten nach."
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