"Spiegel" beklagt Zensur und Einschränkung der Pressefreiheit – in Israel
Von Gert Ewen Ungar
"Wer an die Pressefreiheit glaubt, muss auch abstruse Positionen der anderen aushalten, muss auf den freien Wettstreit der Meinungen vertrauen und hoffen, dass sich das plausibelste Argument am Ende durchsetzt", schreibt der deutsche Journalist und Dokumentarfilmer Richard C. Schneider im "Spiegel".
Man liest es und reibt sich die Augen. Wer im ersten Moment glaubt, der Spiegel sei zur Einsicht gekommen und habe sich demokratisch geläutert, irrt sich gründlich. Es geht dabei nicht um Deutschland, sondern um Israel.
Israel will per Gesetz die Tätigkeit des Senders Al Jazeera verbieten. Schneider hält das für keine gute Idee. Das Verbot sei "einer Demokratie nicht würdig", schreibt er in einem Kommentar, der sich angesichts der vom deutschen Mainstream begrüßten Zensurmaßnahmen in Deutschland liest wie ein schlechter Witz.
Schneider führt genau die Argumente an, die als Begründung für das Verbot von RT herhalten mussten. Al Jazeera sei einseitig und verbreite Propaganda, meint er. Allerdings kommt der Journalist in seinem Plädoyer für die Pressefreiheit zu dem Schluss, dass dies keine hinreichenden Gründe für ein Verbot seien. Schneider setzt auf den "Wettstreit der Meinungen" – zumindest in Israel. In Deutschland und der EU entscheiden die Bundesregierung und Brüssel darüber, welche Meinungen im öffentlichen Diskurs zugelassen werden. Der Spiegel war stets dienstbar zur Stelle, wenn es darum ging, Begründungshilfe für die Zensurmaßnahmen zu leisten.
Zur Situation in Israel führt Schneider aus, die Gefahr liege darin, dass das Gesetz zur Blaupause für weitere Zensurmaßnahmen werden könnte. Damit hat er natürlich recht, denn in Deutschland und der EU wurden Zensur und Einschränkungen der Pressefreiheit nach dem Verbot von RT und Sputnik ausgeweitet. Schneider führt Deutschland allerdings nicht als mahnendes Beispiel an.
Und das hat einen guten Grund. Die deutsche Zensurorgie kam den Medien des deutschen Mainstreams nämlich gerade recht. Der ist längst ein inniges Bündnis mit der politischen Macht eingegangen und hat den journalistischen Auftrag preisgegeben. Der deutsche Journalismus versteht sich als Vermittler von Regierungshandeln gegenüber den Medienkonsumenten. Er versteht sich nicht mehr als kritischen Begleiter von Politik, sondern als deren Sprachrohr.
Mit der Zensur von RT wurde Konkurrenz ausgeschaltet und man konnte fortan jeden noch so groben Blödsinn über Russland und den Verlauf des Ukraine-Kriegs behaupten, ohne mit journalistischem Gegenwind rechnen zu müssen. Von dieser Freiheit zur Verbreitung von Desinformation wird in Deutschland reichlich Gebrauch gemacht. Bis zu der Behauptung, russische Soldaten würden mit Spaten kämpfen, war eigentlich alles an Schwachsinn dabei, den man sich ausdenken kann.
Journalistisch wurden all die Fakes immer sauber abgesichert, versteht sich, weil man sich auf irgendeine obskure Quelle berief. Nirgendwo werden die Menschen so umfassend über Russland und die Entwicklungen in der Ukraine desinformiert wie in Deutschland. Staatliche Zensur hat das Terrain für die Verbreitung von umfassender Desinformation und Propaganda bereitet. Der Spiegel hat fleißig daran mitgewirkt.
Die Definition des Begriffs "Propaganda" nach dem Verständnis des deutschen Mainstreams verdeutlicht Schneider in seinem Beitrag ebenfalls. Al Jazeera habe den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 nicht ausreichend verurteilt, schreibt er. Er komme "allenfalls als Randnotiz vor".
"Mit Qualitätsjournalismus, wie wir ihn in der westlich-demokratischen Welt definieren, hat vor allem das arabischsprachige Programm meiner Meinung nach nichts zu tun",
schreibt der Journalist, ohne genau zu benennen, worin die Qualität des westlichen Qualitätsjournalismus denn nun genau liegt. Ausgewogenheit in der Berichterstattung ist es jedenfalls nicht.
Al Jazeera spreche in Bezug auf Israel von Genozid und Apartheid, empört sich der Spiegel-Autor. Nun ist Al Jazeera damit nicht allein. Außer Israel und Deutschland sieht das inzwischen eigentlich die ganze Welt so. Selbst die USA stehen nicht mehr bedingungslos an der Seite Israels.
Israel wurde wegen Genozids vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt, und Deutschland wegen Beihilfe gleich mit. Schneiders Definition von Propaganda lässt sich daher ganz schlicht zusammenfassen: Alles, was vom regierungsoffiziellen Narrativ abweicht, das der deutsche Mainstream eins zu eins verbreitet, gilt in Deutschland als Propaganda. Qualitätsjournalismus sind hingegen jene Beiträge, die diesem Narrativ blindlings folgen und es mit oftmals schlicht pseudojournalistischen Beiträgen unterfüttern.
Schneider beschwert sich über die Aufmüpfigkeit der Medienkonsumenten:
"Auf der anderen Seite sehen wir Journalisten uns schon seit Jahren wachsendem Druck ausgesetzt. Das liegt zunächst einmal daran, dass ein wachsender Teil der Gesellschaft – wie in anderen Ländern auch – die Presse grundsätzlich hasst, ausländische besonders. Diese Leute hören, sehen und lesen nur noch, was in ihr Weltbild passt. Und sie reden nicht mit Journalisten."
Seine eigene Argumentation liefert den Grund gleich mit, warum das so ist. Der Mainstream schreibt gegen die Interessen seiner Leser an. Es ist das Beharren auf der Gültigkeit des eigenen Narrativs und der Wille zu seiner unbedingten Durchsetzung. Andere Meinungen werden verunglimpft. Gegen unabhängige Medien und unabhängige Journalisten rufen die großen deutschen Medien offen zur Hatz auf. Der Mainstream hat seinen Lesern längst den Informationskrieg erklärt.
Es ist eben der deutsche Journalismus, der inzwischen im Stadium der Propaganda angekommen ist. Die Narrative sind gleichgeschaltet, die Konkurrenz wurde per Gesetz ausgeschaltet, doch lesen möchten die Zeugnisse der einseitigen Parteinahme der deutschen Presse immer weniger. Zu Propagandazwecken benutzt werden wollen die Menschen erst recht nicht, lässt sich der aggressiver werdende Ton gegenüber deutschen Journalisten leicht erklären.
Doch von Einsicht ist der Spiegel weit entfernt, macht der Kommentar zur Pressefreiheit in Israel deutlich. Der unfreiwillige Witz des Lamentos fällt dem Spiegel und seinem Autor nicht einmal auf. Das ist das eigentlich Tragische an der Sache. Die Distanz zum eigenen Leser und zu echtem Journalismus ist inzwischen unendlich groß.
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