Olaf Scholz bestreitet, dass Friedensverhandlungen Ende März 2022 kurz vor dem Erfolg standen
Von Alexej Danckwardt
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung am Dienstag bestritten, dass russisch-ukrainische Friedensverhandlungen in Istanbul Ende März 2022 kurz vor einem erfolgreichen Abschluss standen. Er bezeichnete entsprechende Berichte, die es aus unterschiedlichen Quellen gibt, als "russische Propaganda".
Wörtlich sagte Scholz:
"Nein, das ist russische Propaganda. Da wird behauptet, es hätte zwischen der Ukraine und Russland einen fertigen Friedensvertrag gegeben, aber wahlweise hätte ihn mal Boris Johnson, mal Joe Biden verhindert. Völliger Unsinn. Die Wahrheit ist: Die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland sind deshalb abgebrochen worden, weil Russland seine Truppen umverlegt hatte und im Osten eine Großoffensive begann und die Gräueltaten und Massaker von Butcha bekannt wurden. Das hat den damaligen Gesprächen die Grundlage entzogen."
Auf der anderen Seite beharrte der Bundeskanzler in dem Interview auf seiner Ablehnung der Lieferung von Marschflugkörpern des Typs "Taurus" in die Ukraine:
"Wir liefern aber nicht auf Zuruf, sondern wägen genau ab – das ist meine Verantwortung als Bundeskanzler. Deshalb habe ich vor ein paar Tagen klargestellt, dass wir das sehr weitreichende Waffensystem Taurus absehbar nicht beisteuern werden. An unserer immensen Hilfe für die Ukraine ändert das nichts. Und ich werbe seit Wochen bei unseren Freunden in Europa dafür, dass sie die Ukraine ähnlich stark unterstützen, wie Deutschland das tut."
Auch dem Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine steht Scholz weiter ablehnend gegenüber:
"Für mich ist ganz klar – und zwar seit Beginn des Krieges: Es darf nicht zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO kommen. Die Folgen wären unkalkulierbar. Deshalb darf es keine NATO-Truppen und keine deutschen Soldaten auf ukrainischem Boden geben."
Dass im Zuge der Verhandlungen in Istanbul Ende März 2022 der Entwurf eines Friedensvertrags zwischen der Ukraine und Russland paraphiert werden konnte, hat zuerst der frühere israelische Regierungschef Naftali Benett berichtet. Später skizzierte der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko im russischen Fernsehen die Eckpunkte des damals paraphierten Friedensvertrages: Rückzug Russland in die Ausgangsstellungen von Februar 2022, Verzicht der Ukraine auf den Beitritt zur NATO und die Stationierung ausländischer Truppen auf ihrem Gebiet, Beschränkung ihrer eigenen Truppenstärke und der Anzahl bestimmter Waffen, langfristiger Pachtvertrag die Krim betreffend, Entscheidung über die Zukunft des Donbass in gesonderten Verhandlungen.
Später zeigte der russische Präsident Wladimir Putin afrikanischen Staats- und Regierungschefs den Vertragsentwurf, der nach seinen Angaben bereits unterschriftsreif war.
Ende 2023 bestätigten mehrere ukrainische Politiker und Beamte diese Darstellung. So schilderte beispielsweise der Fraktionsvorsitzende von Selenskijs Regierungspartei im ukrainischen Parlament Dawid Arachamija in einem Fernsehinterview für den ukrainischen Sender 1+1 Ende November, dass die russische Verhandlungsdelegation ein "konkretes Ziel" verfolgt habe: die Ukraine dazu zu bringen, eine militärische Neutralität zu akzeptieren und die Bestrebungen für eine NATO-Mitgliedschaft aufzugeben. Nach den Worten von Arachamija wurde alles andere, was Russland zuvor als Ziele definiert hatte, etwa die Forderungen nach "Entnazifizierung der Ukraine", den "Schutz der Rechte der russischsprachigen Bevölkerungsgruppen und so weiter", lediglich als "kosmetische politische Würze" vorgebracht. Arachamija leitete die ukrainische Delegation in Istanbul.
Nach seinen Worten sind die Friedensverhandlungen abgebrochen worden, nachdem Boris Johnson am 9. April 2022 in Kiew war und Wladimir Selenskij den Friedensschluss "ausredete". Arachamija erinnerte in dem Interview daran, dass der damalige britische Premierminister mit den Worten interveniert habe:
"Wir werden gar nichts unterzeichnen, ihr werdet einfach weiterkämpfen."
Schließlich veröffentlichte Wall Street Journal am 1. März 2024 sogar das in Istanbul paraphierte Dokument, umso mehr wundert es, dass Olaf Scholz seine Existenz immer noch vehement bestretet.
Was die Erklärungen für den Abbruch der Verhandlungen durch die Ukraine angeht, die der Bundeskanzler den Lesern der Sächsischen Zeitung auftischt, so hat es im April 2022 schlichtweg keine "russische Großoffensive" gegeben, auch nicht im Osten der Ukraine. Vielmehr hat Russland damals für Beobachter überaus überraschend seine Truppen nicht nur aus den Vororten von Kiew, sondern aus insgesamt drei ukrainischen Regionen abgezogen. Das wurde damals ausdrücklich als eine Geste des guten Willens mit Blick auf die laufenden Verhandlungen bezeichnet.
Im Zuge dieses Abzugs wurde auch die Stadt Butscha geräumt, was die zwei Tage später inszenierte Provokation ermöglichte. Was genau in Butscha geschehen ist, ist bis heute nicht aufgeklärt. Während jedes Ermittlungsverfahren weltweit mit gerichtsmedizinischen Gutachten beginnt, die Aussagen zur Todesursache und zum Zeitpunkt des Todes treffen, gibt es diese Gutachten bis heute nicht. Zumindest sind sie (anders als bei echten Ereignissen, wie dem Massaker des 2. Mai 2014 in Odessa) bis heute nicht veröffentlicht, ebenso wenig wie Namenslisten der tatsächlichen oder vermeintlichen Opfer, deren Vorlage Russland regelmäßig im UN-Sicherheitsrat fordert.
Daher spricht Russland nicht ohne Grund von einer Inszenierung, um die Friedensverhandlungen zu Scheitern zu bringen. Das unabhängig davon, als das Auftreten von Kriegsverbrechen nicht nur kein Hindernis für einen Friedensschluss ist, sondern verantwortlichen Staatsführern umso mehr Antrieb geben sollte, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Daher muss man dem deutschen Bundeskanzler bezüglich seiner Darstellung in der Sächsischen Zeitung zumindest Unaufrichtigkeit vorwerfen. Schlechtes Informiertsein allein kann diese Art Argumentation nicht erklären.
Mehr zum Thema - Putinversteher Arestowitsch: "Putin ist der Einzige, der Frieden will"
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.