Eine neue Partei verändert die politische Landschaft Deutschlands
Von Tarik Cyril Amar
Deutschland steckt in einer schweren Krise. Zwischen einer schwächelnden Wirtschaft und einer zunehmend unpopulären Regierung zeigt sich allmählich, wie sehr das Land unter Druck steht. Vor einem halben Jahr warnte der Chef des deutschen Automobilherstellers Volkswagen, dass "das Dach brennt", während das britische Wirtschaftsmagazin The Economist zu dem Schluss kam, dass eine "Katastrophe" – also nicht nur der Niedergang, sondern der Zusammenbruch der deutschen Automobilindustrie – "nicht mehr unvorstellbar" sei.
Im winterlichen Beginn des Jahres 2024 veranstalteten deutsche Landwirte großangelegte und eskalierende Proteste und zwangen die Regierungskoalition zu Zugeständnissen. Die Züge der Deutschen Bahn fahren wegen eines Streiks der Lokomotivführer nicht pünktlich, der Großhandel des Landes ist auf Pandemie-Niveau gefallen und dämpft die "Hoffnungen auf eine schnelle Erholung in Europas größter Volkswirtschaft", wie Bloomberg berichtete. Der Markt für Wohnimmobilien bewegt sich in den Keller und jener für gewerbliche Immobilien "ist zusammengebrochen", so das führende deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Die Economist-Redaktion stellte zudem fest, dass Deutschland auch politisch "darniederliegt" – sich sogar von seinem Status als Führungsnation der EU auf weniger als die zweite Geige zurückgestuft hat – einen Platz der Rangliste, den bisher Frankreich einnahm. Während Angela Merkel die unbestrittene Führerin des Kontinents war, konnte Olaf Scholz nicht in ihre Fußstapfen treten.
Das ist eine sehr britische Untertreibung. In Wirklichkeit hat sich Deutschland in der toxischen, aber nicht unbedeutenden Beziehung zu den USA mit seinem erfolglosen Versuch, das Managementkonzept der "dienenden Führung" auf die Geopolitik zu übertragen, inzwischen so stark den Interessen der US-amerikanischen Neokonservativen untergeordnet, dass Berlin überhaupt keinen Einfluss mehr hat. Denn sobald man Loyalität bedingungslos macht, wird sie als selbstverständlich angesehen. Sich damit selbst zu verkaufen, wird somit für alle unvermeidlich sein, außer für die größten Weltmächte. Sich selbst kostenlos zu verkaufen, erfordert zusätzlich einen besonderen Mangel an Weitsicht. Man könnte noch weitere Beispiele für die deutsche Misere vorbringen. Aber das Wesentliche bleibt: Die Deutschen lieben es, sich in ihrem Elend und ihrer "Angst" auszutoben. Aber es ist klar, dass etwas geschehen muss – und wird. Die Frage ist, was.
Eine neue politische Kraft, die von dieser Krise profitieren wird, hat sich eben erst gebildet, während eine weitere relativ neue Partei, die von derselben Krise bereits profitiert, die AfD ist. Lange wurde darüber gemunkelt, bis dann am 8. Januar die offizielle Gründung einer neuen Partei stattfand, die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, unter dem Motto Vernunft und Gerechtigkeit, kurz: BSW. Die Vorsitzende der Partei, Sahra Wagenknecht, war einst die beliebteste Spitzenpolitikerin der Partei Die Linke, die sie mit einem Paukenschlag verließ.
Wie der Name BSW vermuten lässt, ist die neue Partei teilweise ein Vehikel für Wagenknechts beträchtlichen persönlichen und politischen Scharfsinn und ihrem Charisma. Gegner der "Roten Sarah", wie die eher rechtskonservative Bild-Zeitung sie immer noch nennt, klischieren sie gleichzeitig gerne als "Ikone". Doch nachdem ein früherer Versuch, sich politisch zu befreien – unter dem Label "Aufstehen" – scheiterte, ist Wagenknecht inzwischen klüger geworden: Dieses Mal hat sie sich alle Mühe gegeben und dafür gesorgt, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hat. Sie hat eine gut ausgebaute Organisation, eine Gruppe junger Führungskräfte, die sich um sie geschart haben, und nicht zuletzt ein solides Parteiprogramm vorlegt. Das ist politisch bedeutsam: Anders als "Aufstehen" wird BSW nicht so schnell unter der Last eigener Probleme zusammenbrechen.
Im Gegenteil: Die Chancen der Partei, von Anfang an einen starken Effekt zu erzielen, sind sehr gut, wie Umfragen immer wieder belegen. Die jüngste Umfrage – von der Bild-Zeitung in Auftrag gegeben und nur wenige Tage nach der Gründung der Partei von einem führenden Meinungsforschungsinstitut durchgeführt – zeigte, dass 14 Prozent der Deutschen bei einer Bundestagswahl die BSW wählen würden.
Zum Vergleich: Die SPD, traditionell eine der Kernparteien Deutschlands und politische Heimat von Bundeskanzler Olaf Scholz, kam ebenfalls auf 14 Prozent. Für BSW ist dies ein beeindruckender Zustimmungswert, für die SPD hingegen katastrophal. Mittlerweile liegen die Grünen, Partner in der Berliner Regierungskoalition – die sogenannte "Ampel"– bei 12 Prozent. Die FDP, die dritte Fraktion in der "Ampel", würde überhaupt keine Sitze mehr im Bundestag bekommen, weil sie die Wahlhürde von 5 Prozent Wähleranteil nicht überschreitet, während Sahra Wagenknechts ehemalige Partei Die Linke wohl dasselbe Schicksal erleiden würde. Die einzigen beiden Parteien, die besser abschneiden würden als BSW, sind die traditionelle Mitte-Rechts-CDU mit 27 Prozent und die rechtskonservative AfD mit 18 Prozent.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit BSW nicht die Entstehung einer Randbewegung, sondern einer Kernbewegung erleben, in einem scheinbar sich neu gestaltenden deutschen Parteiensystem, das bisher aus drei traditionellen Parteien bestand – SPD, CDU und BÜNDNIS 90/Die Grünen – während zwei neue Parteien als neue Kräfte hinzukommen. Letztere kommen von der konservativen und linken Peripherie, werden aber wahrscheinlich durch ihren Druck auf die traditionellen Parteien die Mitte neu definieren.
Vertreter der dadurch bedrohten traditionellen Parteien und ihre Experten und Stellvertreter in den Mainstream-Medien prangern die Herausforderer aus beiden politischen Flügeln oft als Extremisten an – oder zumindest als unverantwortliche Populisten, um nicht zu sagen "Demagogen". Aber diese traditionellen Parteien sind an dieser Entwicklung selbst schuld: Die wahre Ursache dieser tektonischen Bewegung ist das Versagen der Traditionalisten. Der Aufstieg der Herausforderer markiert eine natürliche Reaktion darauf. In diesem Punkt hat Wagenknecht recht: Die deutsche Demokratie sei "am meisten gefährdet" durch eine Regierungspolitik, die dazu führt, dass sich immer mehr Bürger allein gelassen oder entfremdet fühlen.
Vor diesem Hintergrund verspricht BSW eine großzügigere Sozialpolitik, etwa bei der Bildung, den Löhnen und Renten sowie höhere Steuern für Wohlhabende. Da es Deutschland wirtschaftlich schlecht geht, wird dies auf Resonanz stoßen. Und Wagenknecht, ein politisches "Naturtalent", weiß zu signalisieren: Sie hat sich auf die Seite der protestierenden Landwirte gestellt – wie Umfragen zufolge auch die Mehrheit von 68 Prozent der Deutschen.
Die Mainstream-Medien unternehmen verzweifelte Versuche, die rebellischen Bauern als Diener der Extremisten darzustellen und ihnen gar in die Hände zu spielen – und natürlich auch einem bestimmten Land. Raten Sie mal welches? Genau: Russland. Der immer stärker bedrängte Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sogar eine Finanzierung der Bauernproteste durch "Putin!" festgestellt – natürlich ohne irgendwelche Beweise für seine Behauptung vorzulegen. Dieses Mal gelingt es dieser abgedroschenen Panikmache jedoch nicht, sich durchzusetzen. Wagenknechts öffentlicher Appell an Kanzler Olaf Scholz, sich bei den Bauern zu entschuldigen, wird weit besser ankommen als die Polemik von Habeck.
Entscheidend ist, dass Wagenknecht und ihr Bündnis sozial linke Ansätze mit einer Reihe traditionell konservativer Standpunkte kombinieren. Sie stellen unter anderem die ausufernde Entwicklung neuer Kategorien bei den Geschlechtern infrage, oder die "symbolischen Kämpfe" um überempfindliche Begriffe, die bei denen so in Mode sind, die Wagenknecht als "Lifestyle-Linke" bezeichnet.
Während es sich bei ihrem Vorstoß gegen die politische Korrektheit um eine weitgehend symbolische, wenn auch wirksame Strategie handelt, bewegt sich Wagenknecht beim Thema der Migration in einem substanzielleren Feld. Auch dort vertritt Wagenknecht eher konservativere und zur Mitte orientierte Positionen als die liberale Linke und betont auch die Notwendigkeit von Kontrollen an den Grenzen. Die Tatsache, dass sie selbst einen persischen Vater hat und prominente Mitstreiter bei dem BSW ebenfalls nicht ethnische Deutsche sind, verschafft ihr eine starke Ausgangsposition für diese Art von Debatte und schützt ihre Argumente davor, als rassistisch oder fremdenfeindlich abgetan zu werden.
Wenn man bedenkt, wie viele Deutsche sich in der derzeitig tobenden Wirtschaftskrise alleingelassen fühlen und sich auch von den Versuchen zur Umerziehung speziell der Grünen – im Geiste des Multikulturalismus der städtischen Oberschicht und der Besessenheit für Geschlechtervielfalt – entfremdet fühlen, wird es schwierig sein, dem BSW etwas entgegenzusetzen, das sozial links ist, sich aber ansonsten zur Mitte und sogar zu konservativer Politik hin orientiert. Kein Wunder also, dass Gegner von Sahra Wagenknecht zusammen mit ihrer neuen Partei als Monster darzustellen versuchen. Deren Spielplan ist vorhersehbar und langweilt mittlerweile: Nämlich Wagenknecht als prorussisch oder gar im Dienste Russlands zu diffamieren.
In Wirklichkeit hat Wagenknecht ihre neue Partei so positioniert, dass sie sich dem Drang zu einer immer stärkeren Konfrontation mit Moskau widersetzt, insbesondere im Hinblick auf die Ukraine. In diesem Moment spricht sie sich beispielsweise gegen die Lieferung deutscher Marschflugkörper an die Ukraine aus – die neueste Forderung der unersättlich Süchtigen nach "Wunderwaffen". Generell fordert sie einen Übergang von einer Politik der militärischen Konfrontation zu einer Politik der Verhandlungen und Kompromisse, was natürlich absolut sinnvoll ist.
Für ihre Gegner existiert eine Ironie, die darauf wartet, sie zu erwischen: Sie können hoffen, dass der Vorwurf, Wagenknecht sei Russland gegenüber zu freundlich eingestellt, ihre Beliebtheit schwächen wird. Doch dieses Schiff hat den Hafen bereits verlassen. Die Tage des hemmungslosen Neoliberalismus und des "McCarthyismus" enden. Es ist glücklicherweise wahrscheinlicher, dass der vernünftige außenpolitische Ansatz des BSW der Partei nur noch mehr Sympathien und Wähler einbringen wird. So wie es sein sollte, denn man denke daran: Deutschland ist zum derzeitigen Zeitpunkt dermaßen stark von den USA abhängig, dass es nicht nur wie ein Vasall behandelt wird, sondern wie ein Vasall, dessen Wünsche und Interessen keine Rolle mehr spielen. Sogar Deutsche, die Russland misstrauisch gegenüberstehen, werden verstehen, dass dieser Zustand grundsätzlich falsch ist. Im eigenen nationalen Interesse muss Deutschland ein gewisses Gleichgewicht wiederherstellen, indem es seine Beziehungen zu Russland neu definiert und aufbaut.
Aus dem Englischen.
Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Man findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar
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