Deutschland

"Strike Germany" – Boykottaufruf gegen deutsche Kultureinrichtungen

Seit Jahresbeginn existiert eine Webseite, auf der Künstler und Künstlerinnen weltweit den Boykott deutscher Kultureinrichtungen fordern. Der Berliner Kultursenat hat dagegen eine "Antidiskriminierungsklausel" eingeführt, möchte man als Kulturschaffender Fördergelder beantragen.
"Strike Germany" –  Boykottaufruf gegen deutsche KultureinrichtungenQuelle: www.globallookpress.com © Christophe Gateau

Mit Beginn der Ereignisse im Gaza-Israel-Konflikt, den unerbittlichen militärischen Aktionen der israelischen Regierung seit Anfang Oktober letzten Jahres, setzen sich weiterhin auf allen gesellschaftlichen Ebenen die inhaltlichen Auseinandersetzungen um individuelle Wahrnehmungen und diesbezügliche Solidaritätsbekundungen fort. Die deutsche Politik verordnete umgehend eine "Staatsräson" quer durch alle medial-politischen und gesellschaftlichen Ebenen des Landes.

Unter dem Titel "Strike Germany" (Bestreike Deutschland) fordern weiterhin unbekannte Initiatoren seit Januar internationale Künstlerinnen und Künstler dazu auf, Angebote und Einladungen deutscher Kultureinrichtungen aus Solidarität mit den Menschen im Gazastreifen abzusagen. Bedingt überraschend titelt die Bild-Zeitung zur Causa Kulturboykott: "Weil wir das angegriffene Land unterstützen – Israel-Hasser rufen zum Deutschland-Boykott auf." Der Bild-Artikel weiter: "Die Webseite der Aktion "Strike Germany" ist in den palästinensischen Farben Schwarz, Rot, Grün und Weiß gehalten."

Die Motivation der Initiatoren lautet auf der Webseite publiziert:

"Strike Germany ist ein Aufruf an internationale Kulturschaffende zum Streik in deutschen Kultureinrichtungen. Es ist ein Aufruf, die McCarthy-Politik deutscher Kultureinrichtungen abzulehnen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung unterdrückt, insbesondere den Ausdruck der Solidarität mit Palästina."

Als exemplarisches Beispiel des Vorwurfs an verantwortliche Kulturschaffende könnte eine Mitteilung vom 5. Januar auf der Webseite Berlin.de gewertet werden:

"Neue Klausel gegen Diskriminierung bei Fördergeldern für Kultur: Die Berliner Senatsverwaltung will Empfänger von öffentlichen Fördergeldern mittels einer Klausel unter anderem zum Bekenntnis gegen Antisemitismus verpflichten.

Zudem solle dadurch kein Geld an Vereinigungen gehen, die als terroristisch oder extremistisch eingestuft werden, hieß es in einer Mitteilung der Kultursenatsverwaltung am Donnerstag."

Politisch verantwortlich dafür: Joe Chialo (CDU), Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. "Strike Germany" teilt in seinem Aufruf mit, dass die Initiative internationale Kulturschaffende dazu auffordert, "den deutschen Kultureinrichtungen Arbeit und Präsenz zu verweigern, solange die untenstehenden Forderungen nicht erfüllt sind". Dies betreffe zum Beispiel "die Teilnahme an Festivals, Podien und Ausstellungen".

Die in drei Punkten formulierten Vorwürfe und Forderungen lauten unter anderem:

"Kulturschaffende werden gezielt auf ihre Haltung zu Palästina/Israel hin überprüft. Kultureinrichtungen überwachen soziale Medien, Petitionen, offene Briefe und öffentliche Äußerungen auf Solidaritätsbekundungen mit Palästina, um Kulturschaffende auszusondern, die sich nicht der eindeutigen Unterstützung Deutschlands für Israel anschließen.

Strike Germany fordert, dass Kultureinrichtungen sich weigern, die Politik ihrer Künstlerinnen und Künstler zu kontrollieren und stattdessen auf ihrer Autonomie gegenüber der staatlichen Politik bestehen, zum kritischen Diskurs einladen und Dissens zulassen. Sie müssen das Grundrecht der Kunstfreiheit einschließlich der Rechte auf Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Teilhabe am kulturellen Leben schützen."

Laut dem Deutschlandfunk (Dlf) zeigen die Ambitionen der Initiatoren (bis dato demnach "gut 1.000 Unterzeichner") erste spürbare Wirkungen. Im renommierten Hauptstadt-Club Berghain kam es zu Absagen von DJs aus den Niederlanden, Großbritannien und Uganda. Die bosnische Schriftstellerin Lana Bastašić, die den Aufruf unterzeichnet hat, trennte sich mittlerweile von ihrem deutschen Verlag, dem Frankfurter S.-Fischer Verlag. Dazu heißt es beim Dlf:

"Dieser habe es nicht nur versäumt, zu dem "Genozid" Israels im Gazastreifen Stellung zu beziehen; er habe während der vergangenen zwei Monate auch zur "systemischen und systematischen Zensur" in Deutschland geschwiegen, so der Vorwurf von Lana Bastašić."

Das Rolling Stone Magazin titelt am 18. Januar:

"Boykott deutscher Kultureinrichtungen zieht Kreise – Von der Berliner Streaming-Plattform HÖR bis zur "Strike"-Unterschrift von Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux."

Ernaux wird dabei regelmäßig die aktive Nähe zur sogenannten BDS-Bewegung vorgeworfen. BDS steht für "Boykott, Desinvestition und Sanktionen". Dieser richtet sich unter anderem gegen den Import israelischer Waren sowie gegen jegliche Zusammenarbeit mit Israel in den Bereichen Kultur und Wissenschaft.

Des Weiteren werden die "Pariser Musikerin und Schauspielerin Yasmine Hamdan (die ursprünglich aus Beirut stammt) oder auch die Schauspielerin Indya Moore, zu sehen in der Netflix-Serie "Pose"", genannt.

Die Berliner DJ-Streaming-Plattform "HÖR" musste bereits im Rahmen einer Stellungnahme auf Online-Kritik und Boykottaufrufe reagieren, nachdem sie "angeblich zwei Auftritte von DJs wegen deren propalästinensischer Kleidung gestoppt hatte", so der Rolling Stone-Artikel.

Die kontrovers wahrgenommene Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, wollte sich laut Dlf-Artikel vorerst nicht zur Causa "Strike Germany" äußern. Das Büro der Grünen-Politikerin schickte demnach der Rheinischen Post auf Anfrage eine Stellungnahme. Darin heißt es:

"Die Kulturstaatsministerin hat mehrfach betont, dass sie von Boykottaufrufen in der Kultur nichts hält. Sie schätzt die Situation in der deutschen Kultur auch völlig anders ein."

Die von Kultursenator Joe Chialo (CDU) geschaffene Antisemitismusklausel stößt derweil demnach nicht nur "im Kulturbetrieb auf scharfe Kritik", so die Berliner Zeitung berichtend. Uffa Jensen, amtierender Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, gab dem Evangelischen Pressedienst (epd) zu Protokoll:

"Praktisch führt dies dazu, dass Einrichtungen Personen, die einmal etwas Problematisches gemacht haben, einfach nicht mehr einladen werden. Es ist für die Organisatoren einfach zu anstrengend. Die offiziell "Antidiskriminierungsklausel" genannte Bestimmung fördert in den Förderanträgen Selbstzensur und schränkt den gesellschaftlichen Diskurs ein."

Der verantwortliche Kultursenator Chialo teilte der Berliner Zeitung am 6. Januar zur sich dynamisierenden Kritik an der Klausel mit:

"Kulturinstitutionen tragen mit ihren Fördermitteln Verantwortung dafür, dass die Gelder nicht in rassistische, antisemitische, queerfeindliche oder anderweitig ausgrenzende Ausdrucksweisen fließen. Kunst ist frei! Aber nicht regellos."

Neben dem internationalen Aufruf formuliert sich zumindest auch in Berlin Protest aus der lokalen Kulturszene gegen regulatorische Vormaßnahmen bei Einladungen oder Geldvergaben. Ein am 8. Januar veröffentlichter "Offener Brief von Berliner Kulturproduzent:innen aller Sparten" mit mittlerweile rund 2.000 Unterzeichnenden protestiert gegen Chialos Verordnung:

"Für die Wahrung von Kunst- und Meinungsfreiheit – Gegen den Bekenntniszwang zur umstrittenen IHRA-Definition von Antisemitismus als Voraussetzung für Kulturförderungen des Landes. Gegen die politische Instrumentalisierung von Antisemitismusklauseln."

Der Suhrkamp Verlag erklärte laut Dlf-Artikel, dass der Boykottaufruf ihrer 83-jährigen Autorin Annie Ernaux "nicht die Veröffentlichung und Inszenierungen ihrer Texte in Deutschland betrifft". Abschließend heißt es bei den "Strike Germany"-Initiatoren:

"Wir richten uns in erster Linie an internationale Kulturschaffende, die zu Shows, Festivals und Podiumsdiskussionen in deutschen Kultureinrichtungen eingeladen werden. Deutschland profitiert enorm von den Diskursen und Reflexionsräumen, die Kulturschaffende hervorbringen: Sie wehren sich gegen Instrumentalisierung, Mobbing und Disziplinierung durch den deutschen Staat."

Die Forderung lautet, dass "sich deutsche Kultureinrichtungen dazu verpflichten, die Anti-BDS-Resolution zu kippen und alle Formen von Rassismus und Bigotterie gleichermaßen zu bekämpfen".

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