Kaputtgespart: Deutschlands Kliniken gehen pleite
Von Susan Bonath
Die soziale Schieflage in Deutschland spitzt sich zu. Und die Politik hat immer wieder dieselbe Antwort darauf: noch mehr Sozialabbau. Eine Pleitewelle nach der anderen überrollt die ohnehin seit Jahren unterfinanzierte öffentliche Daseinsfürsorge. Neben Jugendhilfe, Behindertenfürsorge, Sozialberatung und vielem mehr ist das Gesundheitswesen schwer betroffen. Die Kliniken "sterben", noch bevor Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine geplante Klinikreform zu Ende gedacht hat.
Kliniksterben in vollem Gange
Das "Bündnis Klinikrettung" sieht eine nie da gewesene Welle von Klinikinsolvenzen und -schließungen auf Deutschland zurollen. Die ist wohl schon im Gange: Allein zwischen Anfang 2020 und August 2023 haben demnach bundesweit 57 Krankenhäuser den Betrieb eingestellt. Bei 74 weiteren Einrichtungen wird die Schließung inzwischen diskutiert.
Diese Tendenz scheint sich rapide zu beschleunigen. Davon zeugen die Nachrichten allein aus dem Monat November. Ob im nordrhein-westfälischen Solingen, im niedersächsischen Holzminden, im brandenburgischen Elbe-Elster-Kreis, im baden-württembergischen Rheinfelden oder im bayrischen Neuendettelsau bei Nürnberg: Überall verschwinden Krankenhäuser und verlängern sich Wege und Wartezeiten für Patienten.
Der Bayrische Rundfunk sprach kürzlich von einem flächendeckenden "Sterben auf Raten". Vor allem kleinere Krankenhäuser auf dem Lande schränkten zunehmend ihre Versorgung ein, hieß es. Was besonders teuer und wenig lukrativ ist, verschwindet meist zuerst, um die Pleite hinauszuzögern: Notaufnahmen, Frauen-, Kinder- und Entbindungsstationen zum Beispiel, so wie etwa im sächsischen Grimma, in Zeitz in Sachsen-Anhalt oder im thüringischen Sömmerda.
Neoliberal kaputtgespart ...
Das Problem ist hausgemacht. Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik seit den 1990er-Jahren mit großzügigen Steuergeschenken an Superreiche schrumpften die Staatseinnahmen. Die Politik schröpft seither dafür die Mittelschicht, die aber kann das Defizit mit ihrer Steuerlast nicht ausgleichen. So geht es dem Sozialstaat häppchenweise an den Kragen.
Laut einer statistischen Auswertung des Internetportals "Sozialpolitik aktuell" der Universität Duisburg-Essen sank die Zahl der Krankenhäuser in den vergangenen 30 Jahren von fast 2.400 auf weniger als 1.900.
Auch ihr Ausverkauf an private Konzerne forderte seinen Tribut. So halbierte sich die Zahl der staatlichen Kliniken seit 1992 von 1.062 auf 539. Gab es 1992 überdies noch 950 Krankenhäuser in gemeinnütziger Trägerschaft, waren es vergangenes Jahr weniger als 600. Die Anzahl privater Kliniken hat sich derweil von 370 auf 755 mehr als verdoppelt.
Ähnlich lief es bei den Krankenhausbetten, wie Daten des Statistischen Bundesamtes belegen. Demnach sank ihre bundesweite Zahl von fast 600.000 in den 1990er-Jahren auf unter eine halbe Million im vorigen Jahr, wobei auch davon viele nicht genutzt werden können. Denn es mangelt bekanntermaßen an Personal.
... trotz wachsenden Bedarfs
Das ist fatal, denn eigentlich braucht Deutschland mehr statt weniger medizinische Grundversorgung. Seit Langem weiß man, dass die Bevölkerung immer älter wird und dass Senioren öfter krank sind. So wuchs die Zahl der über 65-Jährigen in Deutschland in den letzten 30 Jahren von rund zwölf auf 18,5 Millionen Menschen an. Das ist ein Zuwachs um mehr als 50 Prozent – ein Trend, der anhält.
Doch statt die medizinische Versorgung entsprechend aufzustocken, sparte man sie in neoliberaler Manier samt Personal kaputt. Da ist es nicht verwunderlich, wenn überfüllte Notaufnahmen aus allen Nähten platzen, Patienten, manchmal sogar Schwangere, weggeschickt werden, schwerkranke Kinder nicht behandelt werden können und das medizinische Personal so überlastet ist, dass viele den Beruf hinwerfen.
Kurzum: Statt für das Gemeinwohl vorzusorgen und die Multimillionäre und Milliardäre dafür mit in die Verantwortung zu nehmen, erdrückt die Politik die Normalbürger mit einer wachsenden Steuer- und Abgabenlast, die am Ende doch vor allem in der Rüstungs-, Pharma- und sonstigen Großindustrie versickert. Die Superreichen juckt das nicht, auf staatliche Gesundheitsvorsorge sind sie nicht angewiesen. Doch offenbar sind sie das liebste "Kind" der Politik, egal, wer gerade regiert.
Bündnis will Krankenhäuser retten
Das "Bündnis Klinikrettung", an dem sich auch Ärzte und Pflegekräfte beteiligen, will die fortschreitende Entwicklung stoppen. Kliniken seien "Teil einer Daseinsvorsorge und nicht einer Gewinnwirtschaft", moniert es und fordert beispielsweise von der Bundesregierung, Krankenhäuser ausreichend zu finanzieren, das Fallpauschalensystem durch kostendeckende Zuschüsse zu ersetzen und die Privatisierungen zu stoppen. Doch ein Teil der Gewinnwirtschaft sind deutsche Krankenhäuser längst – vorangetrieben über viele Jahre, nicht zuletzt vom aktuellen Gesundheitsminister Lauterbach. Ob dieser die Forderungen des Bündnisses zur Kenntnis nehmen und auch nur etwas davon umsetzen wird, ist fraglich.
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