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Ukraine-Konflikt: Weitermachen oder Einfrieren?

Die Ukraine ist in der Defensive. Sie hat keines ihrer militärischen Ziele erreicht. Auf die Frage, wie es weitergehen soll, gibt es bisher zwei Antworten. Entweder den Konflikt einfrieren oder weiter Waffen liefern. Eine Verbesserung des Verhältnisses zu Russland ist nicht im Gespräch.
Ukraine-Konflikt: Weitermachen oder Einfrieren?Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Presidential Office of Ukraine

Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass die Ukraine den Stellvertreterkrieg trotz umfangreicher Waffenlieferungen des Westens verliert. Zudem zeigt sich, dass auch das Sanktionsregime des Westens nicht zum Erfolg führt. Die russische Wirtschaft erweist sich als deutlich widerstandsfähiger als erwartet. Trotz der umfassenden Sanktionen wächst Russland in diesem Jahr um voraussichtlich rund drei Prozent, während den Ländern der EU und des Euroraums die Rezession droht. 

Demzufolge sucht der Westen nach einem gesichtswahrenden Ausweg aus der Situation. Schon im Frühjahr tauchte in den USA die Idee auf, den Konflikt einzufrieren. Nicht nur der ehemalige Außenminister der USA, Henry Kissinger, warb dafür und landete dafür auf der Mirotworez-Webseite, auf der die Ukraine angebliche Staatsfeinde auflistet.  

Schon im April schrieben Charles Kupchan, ehemaliger Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat der USA, und Richard Haas, Präsident des Council on Foreign Relations, in der Zeitschrift Foreign Affairs, der Westen brauche in der Ukraine eine neue Strategie. Sie plädierten damals für ein Einfrieren des Konflikts, bei dem die Ukraine ihre territorialen Ansprüche zwar nicht aufgeben, ihre Umsetzung allerdings unter Anerkennung der gegenwärtigen Realitäten auf eine unbestimmte Zukunft aufschieben würde. Als Vorbild dafür gelten sowohl die Bundesrepublik als auch Südkorea. Die Bundesrepublik Deutschland hatte ihre Gebietsansprüche auf die DDR nie aufgegeben, aber die gegebene Realität der Zweiteilung anerkannt. Gleiches gilt noch immer für Korea. Die beiden Autoren wiederholen nun diese Forderung in einem aktuellen Beitrag für Foreign Affairs

Der Westen und vor allem die Ukraine müssten anerkennen, dass die postulierten Kriegsziele nicht erreicht werden können. Ziel der Gegenoffensive war ein Durchstoß durch die russischen Verteidigungslinien, Vorrücken bis zum Asowschen Meer und Rückeroberung der Krim, um so die Verhandlungsposition der Ukraine gegenüber Russland zu verbessern. Deutschland unterstützt dabei den zehn Punkte umfassenden Friedensplan Selenskijs, der faktisch die bedingungslose Kapitulation Russlands als Voraussetzung für Verhandlungen fordert. Dieser Plan ist ganz offensichtlich nicht realistisch.

"Eine solche Neubewertung offenbart eine unbequeme Wahrheit: nämlich, dass sich die Ukraine und der Westen auf einem unhaltbaren Weg befinden, der durch ein eklatantes Missverhältnis zwischen den Zielen und den verfügbaren Mitteln gekennzeichnet ist. Kiews Kriegsziele – die Vertreibung der russischen Streitkräfte aus dem ukrainischen Land und die vollständige Wiederherstellung seiner territorialen Integrität, einschließlich der Krim – bleiben rechtlich und politisch unangreifbar. Aber strategisch gesehen sind sie außer Reichweite, sicherlich für die nahe Zukunft und möglicherweise auch darüber hinaus", schreiben die Autoren.

Dafür sind freilich Verhandlungen notwendig. Es mehren sich die Berichte, dass Kiew im Hintergrund dazu gedrängt werden soll. Offen ausgesprochen wird dies bisher schon aus dem Grund nicht, weil damit die Behauptung preisgegeben würde, Kiew entscheide "souverän". 

"Eine Aufforderung gäbe die stetige Behauptung des Westens, die Ukraine bestimme eigenständig über ihr Vorgehen, der Lächerlichkeit preis",

schreibt treffend der außenpolitische Blog Germain-Foreign-Policy

Problematisch in diesem Zusammenhang ist, dass Selenskij selbst ein Gesetz erlassen hat, das ihm und allen Repräsentanten der Ukraine Verhandlungen mit Moskau verbietet. Wie die Ukraine unter diesen Umständen Gespräche mit Russland aufnehmen kann, bleibt unklar. 

Während vor allem in den USA immer offener und breit über einen Ausstieg aus der Unterstützung der Ukraine diskutiert und hinter den Kulissen wohl auch die Ukraine zur Aufnahme von Gesprächen gedrängt wird, ist deutsche Politik zwiegespalten. Zwar berichtet die Boulevard-Zeitung BILD, dass Berlin gemeinsam mit Washington über eine Reduzierung der Waffenlieferungen in Kiew die Gesprächsbereitschaft reifen lassen will. 

Allerdings gibt es auch andere Stimmen. In Deutschland zielt man weiter darauf ab, am Narrativ einer Bedrohung durch Russland festzuhalten. Russland verfolge imperialistische Ideen und strebe nach territorialer Ausdehnung, behauptet man beispielsweise beim steuerfinanzierten, transatlantischen Think-Tank DGAP, und verschleiert damit die Ursache des Ukraine-Konflikts. Der besteht darin, dass Russland durch die Ausdehnung der NATO und die Bestrebungen der Ukraine, in das Militärbündnis aufgenommen zu werden, seine Sicherheitsinteressen verletzt sieht. Die Ukraine hat sich die Aufnahme in die NATO 2014 als Staatsziel in die Verfassung geschrieben und damit die bis dato in der Verfassung verankerte Neutralität aufgegeben. Der Westen hat sich einer Lösung des Problems auf diplomatischem Weg verweigert. 

In einem Interview mit der Nachrichtensendung heute behauptet Christian Mölling, stellvertretender Leiter der DGAP, Deutschlands Sicherheit sei mit der Ukraine verbunden. Er verknüpft damit die Ukraine in ähnlicher Weise mit Deutschland, wie es der ehemaliger Verteidigungsminister Struck (SPD) getan hat, der behauptet hatte, die Sicherheit Deutschlands würde auch im Hindukusch verteidigt. Die 20-jährige Militärpräsenz Deutschlands in Afghanistan gilt als katastrophal gescheitert. 

Mölling wirbt daher für die weitere Unterstützung durch Waffenlieferungen durch Deutschland gerade dann, wenn die USA ausfallen sollten. Würde die Ukraine nicht weiter militärisch unterstützt, könnte sich Russland durch seinen militärischen Erfolg dazu ermutigt fühlen, Deutschland mit Nuklearwaffen anzugreifen, ist die These, die er vertritt. Aus Moskau gibt es bisher keine Aussagen, die darauf hindeuten, Ziel sei die Einnahme der Ukraine und dann ein weiterer Durchmarsch auf Berlin.

Es gehe zudem um Vertrauen.  

"Und die Frage ist, ob das, was Europa versprochen hat – entweder, dass Russland nicht gewinnen darf oder aber, dass sogar die Ukraine gewinnt – ob eben all diese Versprechungen und auch die Sicherheitsgarantien, die angesprochen worden sind, ob die irgendwas wert sind. Wir entscheiden hier, glaube ich, gerade in erheblichem Maße darüber, wie vertrauenswürdig wir eigentlich als Europa noch sind."

Auf welcher wirtschaftlichen Grundlage die von Mölling geforderte faktische Ausweitung der deutschen Militärhilfe für die Ukraine erbracht werden soll, sagte er in dem Interview nicht. 

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