Absage, Zusage: Eklat um Klemperer-Lesung mit Uwe Steimle in Dresden
Nun also doch: Die für den 9. November, den 85. Jahrestag der Pogromnacht, geplante Lesung aus Victor Klemperers "LTI – Tagebuch eines Philologen" mit Arnold Vaatz, Antje Hermenau und Uwe Steimle darf stattfinden. Der Reclam-Verlag, der die Rechte an dem Werk besitzt, hat dafür grünes Licht gegeben.
Der Reclam-Verlag und der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb haben das Konzept der Stadtratsfraktion Freie Wähler / Freie Bürger geprüft. Konkret teilte man bereits letzte Woche mit:
"Wir haben beiden Veranstaltern die Freigabe für ihre Lesungen erteilt."
Neben den Freien Wählern hält auch die Jüdische Kultusgemeinde Dresden eine Lesung ab. Das Konzept der Fraktion sieht laut dem Veranstalter eine "Lesung … aus einem der beeindruckendsten Bücher, die es zu dem Thema gibt", vor. Dabei soll "das geschehene Unrecht und das Leid der Dresdner Juden im Mittelpunkt" stehen, wie die Dresdner Neuesten Nachrichten am Montag mitteilten. Weiter hieß es aus Verlagskreisen: "Wir halten eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Werk Klemperers für wichtig, denn Bücher sind für alle da." Betont wurde auch:
"Die geplanten Lesungen sollen das Verständnis für das Unrecht und das Leid, das die Nazi-Diktatur über Deutschland und die Welt gebracht hat, fördern und Klemperers Vermächtnis, insbesondere in seiner Heimatstadt Dresden, wachhalten."
Die Verlage behalten sich rechtliche Schritte vor, "sollte im Rahmen der von uns genehmigten öffentlichen Lesungen das Urheberpersönlichkeitsrecht und das Ansehen Victor Klemperers oder das Gedenken an die Opfer des Dritten Reiches verunglimpft werden".
Die Fraktion, zu der auch die Buchhändlerin Susanne Dagen gehört, will Dresdner Prominente aus Klemperers Buch lesen lassen: Arnold Vaatz, Antje Hermenau, Uwe Steimle und andere. In der gespaltenen Dresdner Stadtgesellschaft polarisieren alle vier. So wird Susanne Dagen aus dem politisch linken und grünen Umfeld eine Nähe zu rechtem Gedankengut vorgeworfen, da sie in der Vergangenheit beispielsweise auch die Reihe "Mit Rechten lesen", unter anderem mit Ellen Kositza, in ihrem Buchhaus Loschwitz veranstaltete, und einen migrationskritischen Kurs verteidigt.
Arnold Vaatz gilt als ostdeutsches CDU-Urgestein, der sich im Rahmen der "Corona-Krise" kritisch zum Umgang der Polizei mit Demonstranten gegen die "Maßnahmenpolitik" der Bundesregierung äußerte. Antje Hermenau war 25 Jahre Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen sowie Bundestags- und Landtagsabgeordnete, ehe sie 2015 aus der Partei austrat. Seitdem gilt sie als einer der wichtigsten Kritiker ihrer ehemaligen Partei. Uwe Steimle wurde Ende 2019 vom mdr gekündigt, seine erfolgreiche Sendung "Steimles Welt" wurde abgesetzt. Als Grund dafür wurde angeführt, dass Steimle laut MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi in öffentlichen Äußerungen "wiederholt und massiv Grundwerte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage gestellt" habe.
Für Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) war das offenbar Anlass genug, die Nutzung des Dresdner Stadtmuseums für die Veranstaltung der Fraktion zu untersagen. Doch die Linken-Politikerin konnte sich mit dieser Position im Rathaus nicht durchsetzen. Der Erste Bürgermeister Jan Donhauser (CDU) setzte sich über Klepsch hinweg und ordnete in Abwesenheit von Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) an, den Freien Wählern den Festsaal des Landhauses zur Verfügung zu stellen. Wie es hieß, sieht er "keine neu-rechte Veranstaltung", was sich schon an den Zusagen von Vaatz und Hermenau zeige, die in Dresden bekannte Demokraten seien.
Klepsch hatte die Zusage für den Festsaal des Landhauses zunächst unter Verweis auf den Einspruch des Verlags zurückgezogen. Später sagte sie mit Verweis auf Steimle grundsätzlich, sie befürchte eine Verunglimpfung der Holocaust-Opfer. Dafür stelle sie keine Räume zur Verfügung. Steimle sei "bekanntlich kein neutraler Vorleser". Klepsch bekräftigte ihr Veto auch nach der Kehrtwende des Reclam-Verlags. Der Sächsischen Zeitung sagte sie:
"Ich habe als Beigeordnete einen Amtseid abgelegt, der mich dazu verpflichtet, Schaden von der Stadt abzuwenden. Das ist im aktuellen Fall die rechtliche Grundlage meiner Entscheidung."
Bei Twitter ging Klepsch noch einen Schritt weiter und behauptete:
"Mir ging es um die 'wehrhafte Demokratie', wenn Akteure durch eine Fraktion in ein städtisches Haus geholt werden, die die Meinungsfreiheit und die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzweifeln und TShirts mit antisemitischem oder völkischem Inhalt zur Schau tragen."
Mir ging es um die „wehrhafte Demokratie“, wenn Akteure durch eine Fraktion in ein städtisches Haus geholt werden, die die Meinungsfreiheit und die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzweifeln und TShirts mit antisemitischem oder völkischem Inhalt zur Schau tragen.
— Annekatrin Klepsch (@annekatklepsch) November 7, 2023
Für Donnerstag, den 9. November, haben nun "linke" Gruppen wie die Antifa "lautstarken Protest" vor dem Stadtmuseum in der Dresdner Innenstadt angekündigt.
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