Existenzminimum nach Status? Gesetzgeber spielt ärmste Gruppen gegeneinander aus
Von Susan Bonath
Ungleichbehandlung ist ein beliebtes politisches Instrument, um Grabenkämpfe in der Bevölkerung zu schüren. So praktiziert es der Gesetzgeber gerade bei den Ärmsten, die eine der drei Grundsicherungsleistungen Bürgergeld, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungen erhalten. Dies befeuere den sozialen Unfrieden, befürchtet Harald Thomé vom Vorstand des Sozialvereins Tacheles
Weniger Schonvermögen, geringere Freibeträge
Wie Thomé in einer E-Mail an Pressevertreter mitteilte, werden beispielsweise jene, die ihre kleine Rente mit Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung (Sozialhilfe) aufstocken müssen, gegenüber Bürgergeldbeziehern benachteiligt. Er verwies auf einen kürzlich von der Bundesregierung vorgelegten neuen Gesetzentwurf, mit dem unter anderem das Zwölfte Sozialgesetzbuch (SGB XII) geändert werden soll. Dieses regelt die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, kurz Sozialhilfe genannt.
Die Bundesregierung kündigt an, sie wolle damit einen "Gleichlauf", also eine Gleichbehandlung von Sozialhilfe- mit Bürgergeld-Beziehern herstellen. Denn nach dem Wechsel von Hartz IV gab es beim Bürgergeld einige Änderungen, anders als bei der Sozialhilfe. Von einer Angleichung könne allerdings keine Rede sein, beklagt Thomé. Er erklärte dazu:
"Restriktive Regelungen des SGB II zur Anrechnung von einmaligen Einnahmen aus Zeiten vor dem Zufluss werden übernommen. In den Punkten, wo eine Gleichbehandlung dringend erfolgen müsste, passierte nichts."
Sein Verein Tacheles habe das rechtliche Auseinanderdriften bei den beiden Grundsicherungsarten bereits im Mai dieses Jahres in einer Stellungnahme gerügt. So wurde etwa das Schonvermögen bei Erwachsenen, die Bürgergeld beziehen oder damit aufstocken, auf 15.000 Euro angehoben. Alte, Kranke und Behinderte sollen hingegen ihr Erspartes bis zu einer Summe von 10.000 Euro aufbrauchen, bevor es Sozialhilfe gibt.
Ungleich würden diese Gruppen auch beim Wohneigentum behandelt. Alleinstehende Bürgergeld-Bezieher dürften ein Haus oder eine Wohnung mit einer Fläche von bis zu 130 Quadratmeter zunächst behalten. Wer hingegen auf Sozialhilfe angewiesen ist, habe nur Anspruch auf maximal 80 Quadratmeter. Größere Immobilien müssten sie also verkaufen und zunächst von diesem Geld leben.
Auch plane die Regierung nicht, ungleiche Regelungen bei den Freibeträgen für Erwerbseinkommen anzupassen. Beim Bürgergeld setzt sich dieser Freibetrag aus den ersten 100 Euro, 20 Prozent von 101 bis 520 Euro, 30 Prozent auf 521 bis 1.000 Euro und zehn Prozent vom Lohn oder Gehalt darüber zusammen. Wer sich aber zur Sozialhilfe etwas dazuverdient, darf vom gesamten Einkommen nur 30 Prozent behalten.
In der Realität gilt damit für 520-Euro-Minijobber mit Bürgergeld ein Freibetrag von 184 Euro, mit Sozialhilfe betrüge dieser nur 156 Euro. Wer nur 100 Euro dazu verdient, darf diese Summe im Bürgergeldbezug vollständig behalten, von der Sozialhilfe werden davon jedoch knapp 67 Euro abgezogen.
"Gewollte Benachteiligung" soll offenbar spalten
Thomé appellierte im Namen seines Vereins an den Gesetzgeber, die Diskriminierung zu beenden. "Dies nicht zu tun bedeutet, diese Menschen abzuschreiben. Sie sind alt, krank oder behindert und benötigen gesellschaftliche Solidarität."
Der Sozialrechtler spricht von einer "gewollten Benachteiligung von Alten, Kranken und Behinderten durch den Gesetzgeber". Werde dies nicht umgehend aufgehoben, befeuere dies eine weitere Spaltung der Bevölkerung und möglicherweise einen "weiteren Rechtsrutsch".
Ein ähnliches "Teile und herrsche"-Spiel wittert Thomé bei der geringen, der Inflation nicht gerecht werdenden Erhöhung des Mindestlohns von 12 auf 12,41 Euro pro Stunde im kommenden Jahr. Auch das befeuere die Unzufriedenheit, die sich dann vor allem gegen noch Schwächere zu entladen drohe, nicht zuletzt, weil große Medien die Erzählung verbreiten, arbeiten lohne sich wegen des angeblich zu hohen Bürgergeldes gar nicht mehr.
Dies stimme aber nicht, sagte Thomé und begründete dies so: Bei Grundsicherungsleistungen handele es sich um das festgelegte Existenzminimum, für das Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt keine Rolle spielen dürften. Dieses Geld sei auch eine Absicherung für Berufstätige, denn fast jeder könne eventuell entlassen werden. Durch die Freibeträge hätten "aufstockende" Erwerbstätige außerdem immer mehr Geld zur Verfügung als Menschen, die keiner Lohnarbeit nachgingen. Er stellte klar:
"Zur Stärkung von Erwerbsanreizen gibt es eine einfache Lösung: Anpassung auch des Mindestlohns und der Tariflöhne, damit auch für Erwerbstätige mit geringen Einkommen ein hinreichender Inflationsausgleich realisiert wird. Eine faktische Absenkung des menschenwürdigen Existenzminimums durch eine unzureichende Fortschreibung der Regelleistungen ist dagegen unsozial und widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts."
Eine Teile- und Herrsche-Politik sieht der Sozialrechtler außerdem bei den Asylbewerberleistungen. Diese blieben immer weiter hinter den Bürgergeld- und Sozialhilfeleistungen zurück. Alleinstehende Bürgergeld-Bezieher bekommen in diesem Jahr 502 Euro plus Miete bis zu einer gewissen Obergrenze. Asylsuchende in Massenunterkünften erhalten jedoch nur 369 Euro pro Monat, davon oft nur 182 Euro ausgezahlt.
Das liegt daran, dass ihnen Möbel, wie Bett, Schrank und Kochgelegenheit sowie Stromnutzung, manchmal auch drei Mahlzeiten am Tag, als Sachleistungen gewährt werden. Außerdem werden Betroffene in Sammelunterkünften wie Partner in einer Ehe behandelt, die gemeinsam haushalten.
Der Tacheles-Vorstand bezeichnet dieses Vorgehen als eine "Diskriminierung aus migrationspolitischen Gründen", die dem sozialen Frieden entgegenwirke. Das Existenzminimum müsse für alle Menschen gleichermaßen gelten und dürfe nicht für drei Gruppen unterschiedlich gewichtet werden, bekundete er seine Sicht und fügte an: "Das gebietet die Menschenwürde."
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