Die NATO und die Ukraine – Neutralität für den Mainstream undenkbar
Als Russlands Präsident Wladimir Putin im Jahr 2001 vorgeschlagen hatte, Russland könnte Mitglied der NATO werden, war die Reaktion im westlichen Bündnis verhalten gewesen, um es mal vorsichtig auszudrücken. Der Beitrittswunsch hatte trotz der so viel beschworenen Freiheit der Bündniswahl nicht die Aufnahme Russlands ins Bündnis zur Folge gehabt.
Es geht also auch anders, als man das hinsichtlich des Beitrittswunsches der Ukraine suggeriert. Russland war zurückgewiesen worden. Die NATO nimmt alle osteuropäischen Länder auf, nur Russland nicht, ist die Botschaft.
Bereits 1997 war der NATO-Russland-Rat gegründet worden. Er sollte vornehmlich dazu dienen, Russlands Vorbehalte eines NATO-Beitritts von Polen, Ungarn und Tschechien auszuräumen, indem man eine Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zusicherte. Die Arbeit des NATO-Russland-Rats, eines Gremiums, das eigentlich dazu gedacht war, Krisen zwischen Russland und der NATO gemeinsam zu bewältigen und Spannungen abzubauen, wird allerdings immer dann ausgesetzt, wenn es Krisen zu bewältigen und Spannungen abzubauen gäbe. Nach 2014 traf sich der Rat nur noch unregelmäßig, 2021 schmiss NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg acht russische Vertreter aus dem Rat. Russland antwortete mit einem vollständigen Rückzug seiner Diplomaten – das Gremium existiert faktisch nicht mehr. Die NATO hat die Zusammenarbeit mit Russland aufgekündigt.
Die NATO hat sich seit 1999 in insgesamt fünf Runden erweitert, eine sechste Runde ist gerade im Gange. Die NATO steht unmittelbar an der russischen Grenze. 2008 auf dem NATO-Gipfel in Bukarest wurde der Ukraine eine Beitrittsperspektive eröffnet. Mit der Stationierung von NATO-Truppen in der Ukraine würde sich die Reaktionszeit auf einen Angriff der NATO auf Russland weiter verkürzen.
Dass die NATO kein reines Verteidigungsbündnis ist, wie sie von sich behauptet, hatte sie spätestens mit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien im Jahr 1999 bewiesen.
Auch diejenigen, die standhaft behaupten, die NATO hege keinerlei bösen Absichten gegen Russland, müssen auf der Grundlage der bisherigen Geschehnisse zumindest zugestehen, dass man das mit gutem Recht auch anders sehen kann. Und Russland sieht es aufgrund der gemachten Erfahrung anders. Russland hält die NATO für eine Bedrohung seiner Sicherheit, ein antirussisches Militärbündnis.
Aus diesem Grund ist der einheitliche Tenor deutscher Medien, der Ukraine müsse jetzt beim NATO-Gipfel in Vilnius eine Beitrittsperspektive eröffnet werden, mehr als erstaunlich. Erstaunlich ist zudem, dass die Forderung wieder einmal in einem gut orchestrierten Gleichklang ertönt, der damit suggeriert, es gebe zu einer Aufnahme der Ukraine in die NATO keinerlei Alternative. Das ist falsch.
Die Rückkehr zum neutralen Status wäre eine und würde den Friedensprozess in Europa ohne Zweifel beschleunigen. Doch diese Alternative zum NATO-Beitritt kommt in deutschen Medien schlicht nicht vor.
Für die deutschen Medien steht fest, die Ukraine kommt früher oder später in die NATO, obwohl genau das maßgeblicher Kriegsgrund ist. Russland sieht durch eine Mitgliedschaft der Ukraine seine Sicherheitsinteressen verletzt. Da wirkt es bizarr, dass die Fragen, die deutsche Medien diskutieren, lediglich der Zeitpunkt und die Bedingungen eines Beitritts zur NATO sind, nicht aber, ob der Schritt nicht grundlegend überdacht werden sollte.
"Jetzt muss die NATO zeigen, was Unterstützung heißt", titelt "Die Zeit" und fordert weiter: "Die NATO darf bei diesem Gipfel nicht im Vagen bleiben".
Diskutiert werden unterschiedliche Wege. Sicherheitsgarantien für die Ukraine bis zum endgültigen Beitritt sind einer davon. Ein "israelisches Modell", in dem die USA der Ukraine umfassende finanzielle Unterstützung zusichern und das Land darüber in die Lage versetzen, sich selbst zu verteidigen, ist eine andere Variante.
Die Süddeutsche Zeitung präferiert offenbar das Israel-Modell.
"Über so ein 'Israel-Modell' für die Ukraine wird schon länger gesprochen – es trifft am ehesten auch die Überlegungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der in Vilnius eine Art Zwei-Mann-Allianz mit Biden bilden dürfte."
Der Spiegel präferiert eine schnelle Aufnahme unter Umgehung der bisherigen Regeln.
"Mit der Skepsis gegenüber einem Fast-Track-Beitritt der Ukraine aber wird es um Scholz immer einsamer. US-Präsident Joe Biden hat die bisherige Linie, dass Kiew zunächst den nach dem Bukarester Gipfel im Jahr 2008 beschlossenen Membership Action Plan (MAP) erfüllen muss, verlassen. Dieser sieht eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Reformen vor, unter anderem im Kampf gegen Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit."
Auch die Tagesschau sieht die Ukraine irgendwann in der NATO. In einem Beitrag zum NATO-Gipfel versteigt sie sich zu der wenig stichhaltigen Aussage, die Ausdehnung der NATO nach Osten sei gar kein zielgerichteter Prozess.
"Und anders als von Russland behauptet, dehnt sich die NATO nicht gezielt und womöglich auf amerikanischen Druck nach Osten hin aus. Es sind die Länder selbst, die aufgrund ihres Sicherheitsbedürfnisses die Nähe zum größten Militärbündnis der Welt suchen."
Das ist natürlich angesichts der schon genannten Fakten bestenfalls verkürzt. Es gäbe den Krieg in der Ukraine nicht, hätte die Ukraine ihren neutralen Status behalten und hätte man ihr erlaubt, ihre Brückenfunktion zwischen Ost und West weiter auszuüben.
Und damit ist dann auch das Thema genannt, das in all den deutschen Publikationen nicht vorkommt. Die Sicherheitsinteressen Russlands, deren Beachtung es bedarf, um wieder zu einer balancierten Sicherheitsarchitektur für Europa zu kommen, sind der große blinde Fleck des deutschen Journalismus. Die großen deutschen Medien bleiben der Linie treu, die Ukraine und mit ihr die NATO habe das Recht, die Balance einseitig und zuungunsten Russlands zu verschieben. Auch das ist falsch.
Besteht man darauf, bleibt Europa instabil. Lediglich die Sicherheit eines Landes zu betrachten, ist verkürzt und führt zu weiteren Konflikten. Die Zeit nach 2008, nach dem NATO-Gipfel in Bukarest, hat dies deutlich gezeigt. Es wäre Zeit, daraus die einzig richtige Lehre zu ziehen. Es braucht eine inklusive Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands. Doch davon zu sprechen geziemt sich offenbar nicht.
Tagesschau, Spiegel, Zeit und Süddeutsche lassen sich in ihrer Betrachtung zu einer Verkürzung und Fokussierung auf die Sicherheitsinteressen der Ukraine hinreißen, die eine Problemlösung verhindert. Das wirft auf den deutschen Journalismus erneut kein gutes Licht. Denn es muss diskutiert werden, wie eine europäische Sicherheitsarchitektur errichtet werden kann, die nicht nur der Ukraine, nicht nur den Ländern der NATO, sondern allen europäischen Ländern dient.
Diese Sicht aber fällt in den deutschen Medien komplett aus. Das ist allerdings erstaunlich. Kein Redakteur in einem der großen deutschen Medienhäuser kommt auf die Idee zu fragen, ob der eingeschlagene Weg, der zum Krieg geführt hat, eventuell korrigiert werden müsste, um so den Krieg zu beenden? Wohl eher nicht. Es ist eine in deutschen Redaktionen unzulässige Meinung.
Alle sind sich darin einig, dass die Ukraine früher oder später in die NATO kommt und der Weg der Eskalation der richtige ist? Wohl auch nicht. Die großen deutschen Medien machen auch in dieser Angelegenheit das, was sie in den letzten Jahren immer gemacht haben: Sie halten die Breite der Diskussion eng. Man darf darüber diskutieren, ob die Ukraine heute, morgen oder übermorgen in die NATO aufgenommen werden sollte, aber man darf nicht darüber diskutieren, ob die Aufnahme überhaupt sinnvoll ist.
Was die Berichterstattung zum NATO-Gipfel wieder einmal deutlich zeigt, ist die mangelnde Pluralität in Deutschland. Dass die Aufnahme der Ukraine in die NATO ein Fehler sein könnte, ist in deutschen Medien aktuell nicht sagbar. Mit dieser künstlich verengten Diskussion ist Deutschland allerdings nicht in der Lage, einen Beitrag zur Lösung des Konflikts zu leisten, denn es noch nicht einmal in der Lage, die Ursache des Konflikts angemessen zu benennen.
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