Deutschland

Bis zur Rente arbeiten können? Nicht in der Bau- und Forstwirtschaft

Das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat die Ergebnisse von zwei Befragungen zusammengefasst, in denen es um die Arbeitsbedingungen bis zur Rente ging. Nur ein Drittel der Beschäftigten ist zuversichtlich, bis zum Renteneintrittsalter arbeiten zu können, und in den Betrieben passiert wenig, um die Lage zu verbessern.
Bis zur Rente arbeiten können? Nicht in der Bau- und ForstwirtschaftQuelle: www.globallookpress.com © Dwi Anoraganingrum via www.imago

Seit Jahren predigen deutsche Politiker, die Deutschen sollten länger arbeiten. Das Renteneintrittsalter wird schrittweise erhöht. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) hat nun eine aktuelle Befragung unter Beschäftigten sowie unter Betriebs- und Personalräten veröffentlicht, wie diese Politik seitens der Beschäftigten und ihrer Interessenvertreter gesehen wird.

Nur 31 Prozent der befragten Beschäftigten waren optimistisch, auf jeden Fall bis zum Renteneintrittsalter überhaupt arbeiten zu können, 42 Prozent waren eher optimistisch, 20 Prozent eher pessimistisch und 7 Prozent meinten "Auf gar keinen Fall". Die unterschiedliche Verteilung nach Berufen, Ausbildung und Beschäftigungsverhältnis überrascht dabei durchaus nicht – je höher die Ausbildung, je weniger körperlich belastend die Tätigkeit und je sicherer das derzeitige Arbeitsverhältnis ist, desto höher ist der Anteil derjenigen, die davon ausgehen, erst dann in Rente zu gehen, wenn sie das Rentenalter erreicht haben werden.

Wurde die Arbeit als nicht belastend eingestuft, waren 54,4 Prozent zuversichtlich und nur 3,5 Prozent meinten dann, sie könnten es auf gar keinen Fall durchhalten, während bei einer als äußerst belastend eingestuften Tätigkeit 27,6 Prozent erklärten, nicht bis zum Rentenalter durchhalten zu können, und nur 30,7 Prozent in diesem Punkt optimistisch waren.

Die Betriebs- und Personalräte sahen das ähnlich. In der Verteilung nach Branchen schätzten die Vertreter der öffentlichen Verwaltung, dass es 64,9 Prozent der Beschäftigten bis zum Schluss schaffen könnten, während im Bereich Handel, Verkehr und Lagerhaltung mit 43,8 Prozent auf den niedrigsten Wert kam. Je höher der Anteil von einfachen oder Hilfstätigkeiten ist, desto niedriger lag dieser Wert – wenn über 75 Prozent der Belegschaft solche Tätigkeiten verrichten, gingen die entsprechenden Betriebsräte davon aus, dass nur 39,6 Prozent der Beschäftigten bis zum Rentenalter arbeiten könnten, während es bei einem entsprechend hohen Anteil hochqualifizierter Tätigkeiten 67,5 Prozent waren.

In bestimmten Bereichen würden auch betriebliche Maßnahmen, etwa eine altersgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze, nicht wirklich nützen. Es ist nicht wirklich überraschend, dass diese Werte am deutlichsten in zwei Branchen mit starker körperlicher Arbeit ausgeprägt sind: im Baugewerbe, in dem bei 31,4 Prozent die Antwort lautete, solche Maßnahmen wären nutzlos, und in der Land- und Forstwirtschaft, wo das 32,2 Prozent sagten. Allerdings muss es zumindest in der Land- und Forstwirtschaft ein gewisses Potential geben, weil andererseits 19,6 Prozent der Meinung waren, solche Maßnahmen würden doch allen oder fast allen Beschäftigten nützen können. Am geringsten war der Pessimismus in Bezug auf Maßnahmen, um eine altersgerechte Arbeit zu ermöglichen, bei Vertretern aus der Finanz- und Versicherungsbranche, von denen nur 7,8 Prozent solche für zwecklos hielten; gleichzeitig waren es dort aber nur 8,5 Prozent, die meinten, sie würden allen nützen können. Die Mehrheit meinte dort immerhin, sie würden vielen Beschäftigten etwa nützen (bei der Land- und Forstwirtschaft waren das nur 19,4 Prozent).

Vermutlich lassen sich bei den belastenden Tätigkeiten auf der einen Seite durch gewisse Maßnahmen Erfolge erzielen, auf der anderen Seite wird es aber nicht gelingen, die Folgen schlichter körperlicher Abnutzung zum Verschwinden zu bringen. Wobei aber auch deutlich wurde, dass es weniger die Qualifikation ist, die sich auswirkt, sondern vor allem die Art der Tätigkeit. Während sich die Einschätzung der Beschäftigten auch in Abhängigkeit vom Qualifikationsniveau stark unterschied, ist das bei der Bewertung der Betriebsräte zu möglichen betrieblichen Maßnahmen anders. Als nutzlos sahen die solche Maßnahmen zwischen 21,7 Prozent (über 75 Prozent einfach Tätigkeiten) und 16,3 Prozent (0 bis 25 Prozent einfache Tätigkeiten) an, und als für alle nützlich schätzten sie 9,6 Prozent im ersten, 12,8 Prozent im zweiten Fall ein.

Allerdings sind die "Schulnoten", die für die Umsetzung solcher Maßnahmen erteilt wurden, bescheiden, die Durchschnittsnote liegt insgesamt bei einer schlechten Vier. 16,3 Prozent der befragten Beschäftigtenvertreter antworteten auf die Frage nach der Umsetzung eines betrieblichen Programms, um für Ältere passende Arbeitsbedingungen zu schaffen, schlicht mit "gar nicht", weitere 23,6 Prozent wählten ein Ungenügend. Am besten schnitt noch die öffentliche Verwaltung ab. Dabei fielen diese Aussagen umso schlechter aus, je schlechter auch das Verhältnis zwischen den Beschäftigtenvertretern und den Unternehmensleitungen bewertet wurde. Doch selbst bei einem sehr guten Verhältnis war ein Durchschnitt von 3,2 für die betrieblichen Bemühungen um die Arbeitsbedingungen Älterer die beste Benotung.

Außerhalb sehr begrenzter Bereiche belegt diese Studie, dass zwar auf der einen Seite vom Gesetzgeber mit großer Begeisterung am Renteneintrittsalter "geschraubt" wurde und auch noch ständig der Fachkräftemangel beklagt wird, auf der anderen Seite aber relativ einfache Maßnahmen, um die Arbeitsfähigkeit der vorhandenen und eingearbeiteten Beschäftigten zu erhalten, trotzdem nicht umgesetzt werden. In der Praxis führt die Erhöhung des Rentenalters vor allem dazu, dass inzwischen ein Drittel mit schmerzhaften finanziellen Abschlägen in die Rente geht, die durchschnittlich um 9 Prozent betragen.

Dabei geht auch das WSI davon aus, dass ein höheres Rentenalter sein müsse, um "die Einnahmenbasis der Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren". Auch an diesem Punkt wird wieder einmal eine Folge der langjährigen Niedriglohnpolitik in Deutschland übersehen. Sie führt nämlich nicht nur dazu, dass die Beschäftigten selbst weniger im Geldbeutel haben; sie macht sich auch im Sozialversicherungssystem bemerkbar, da niedrigere Löhne auch zu niedrigeren Beiträgen führen. Diese Erkenntnisse sind für ein gewerkschaftsnahes Forschungsinstitut ein Armutszeugnis.

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