Ganze Absätze verschwunden: Zensierte die Berliner Zeitung Kritik an Strack-Zimmermann?
Der stetig erweiterte Schutz der Persönlichkeitsrechte insbesondere für Politiker wird inzwischen eifrig genutzt, um wichtige politische Informationen zu retuschieren oder gänzlich zu verbergen, beispielsweise die Nähe zu bestimmten Konzernen. Besonders hervorgetan hat sich in jüngster Zeit dabei die "Verteidigungspolitikerin" Marie-Agnes "Rheinmetall" Strack-Zimmermann von der mitregierenden FDP.
Die beliebteste Methode dafür besteht in Unterlassungsaufforderungen, denn die meisten Empfänger solcher Schreiben scheuen den Aufwand eines Gerichtsverfahrens und geben lieber die inkriminierte Information preis. So "bearbeitete" Anfang April nachträglich nun auch die Berliner Zeitung einen Artikel von Werner Rügemer, in dem sich sowohl mit Strack-Zimmermann als auch mit Boris Pistorius als Rheinmetall-Lobbyisten befasste: Am Tag nach dem Erscheinen des Originaltextes in der gedruckten Ausgabe verschwanden in der Online-Ausgabe bis heute ganze Absätze aus dem Artikel.
Begonnen wurde beim Bereinigen gleich im Untertitel des Autorenbeitrags, der da vorher lautete "Agnes Strack-Zimmermann hat Verbindungen zum Konzern". Dabei sind die entsprechenden Verbindungen dieser Dame problemlos selbst bei Wikipedia zu entdecken und öffentlich verfügbar. Hauptgegenstand der Streichung war aber ein ganzer Absatz, der Strack-Zimmermanns Tätigkeitsfelder neben ihrem Mandat als Bundestagsabgeordnete detaillierter benannte:
"Während Niebel diskret vorgeht, wurde die Journalistin Agnes Strack-Zimmermann (FDP) zur bekanntesten Rüstungs- und Kriegslobbyistin. Sie ist im Präsidium von FKH und DWT. Von 2008 bis 2014 war sie FDP-Fraktionsvorsitzende und Erste Bürgermeisterin in Düsseldorf, dem Rheinmetall-Konzernsitz. Seit 2014 ist sie Vorsitzende des FDP-Kreisverbands in Düsseldorf. So wurde sie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag."
Dieser Satz dürfte schwer zu widerlegen sein. Dennoch nahm ihn die Berliner Zeitung nach der Unterlassungsförderung aus dem Netz. Nur peinlich ist es bis jetzt, dass der Autor Rügemer das nicht hinnahm und daraufhin seinerseits den Berliner Verlag der Berliner Zeitung wegen Verletzung des Urheberrechts verklagte. Das Landgericht Köln erließ nun am 28.04.2023 eine einstweilige Verfügung, mit welcher die Zeitung zur Wiederherstellung des Originaltextes verpflichtet wird, andernfalls werde ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro fällig.
Die Änderung, so das Gericht, sei "rechtswidrig und erheblich", und die veränderte Fassung könne sogar das Ansehen des Autors schädigen, denn sie "setzt ihn somit der Kritik aus, etwa weil zu einer bestimmten in diesem Themenbereich profilierten Politikerin einer bestimmten Partei keine Informationen enthalten sind. Damit könnte der vom Autor nicht gewünschte Eindruck entstehen, er sei parteiisch oder er wolle bestimmte Personen schützen".
Wer tatsächlich die Berliner Zeitung zur Verstümmelung des Artikels motiviert hat, ist bis heute nicht bekannt, auch wenn Strack-Zimmermann mit ihrer bekannten Neigung zu solchen Eingriffen die Liste der "Kandidat*Innen" klar anführt. Es käme aber auch der Rheinmetall-Konzern selbst infrage, wie auch noch der SPD-Verteidigungsminister Pistorius, den Rügemer in seinem Artikel einen "Wendehals mit schlechtem Gewissen" nennt, weil Pistorius sich zwar mal lange Zeit für Friedenspolitik eingesetzt hatte, nur um mit der Ukraine-Problematik nun seine Leidenschaft für das Militär zu entdecken. Das ist auf keinen Fall eine Beschreibung, die ein Politiker gerne über sich liest.
Das Landgericht Köln stellte aber sogar diesen für Pistorius so peinlichen Satz "Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet" unter besonderen Schutz, denn er stelle laut Gericht ein "urheberrechtlich besonders maßgebliches individuelles Gestaltungsmittel" dar.
Werner Rügemer, der diesen Vorfall durch einen Artikel auf den NachDenkSeiten jetzt öffentlich gemacht hat, weist darauf hin, dass die Berliner Zeitung die Unterlassungsforderung hätte ignorieren und es auf die gerichtliche Auseinandersetzung hätte anlegen können. Rügemer gibt zu erkennen, dass er diesen Konflikt gerne ausgetragen hätte.
Für die Sache der bedrohten Meinungsfreiheit ist die Konstellation dieses Falles tatsächlich ein Glücksfall. Denn weder fest angestellte noch freie Mitarbeiter einer Zeitung könnten auf eine Verstümmelung ihrer Texte reagieren, wie dies Rügemer als freier Autor getan hat, der existentiell nicht auf diese Plattform angewiesen ist und der längst seinen Ruf als kritischer und investigativer Journalist gesichert hat. Die meisten Autoren, deren Arbeiten betroffen sind, dürften sich nicht wehren können, selbst wenn sie es wollten. Und die meisten Medien entscheiden bei ihrer Reaktion auf solche Unterlassungsforderungen nach "wirtschaftlichen" Gesichtspunkten und nicht politisch, das heißt sie wählen den Ausweg, der am wenigsten kostet. Dadurch bleibt leider selbst die Tatsache, dass solche Eingriffe stattgefunden haben, in den meisten Fällen vor der Öffentlichkeit verborgen. Der Fall Rügemer gegen den Berliner Verlag der Berliner Zeitung hat jetzt zumindest die Spitze dieses Eisbergs sichtbar werden lassen.
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