Ehemaliger UN-Diplomat: Die Friedensfrage ist das Schicksal der deutschen SPD
Von Felicitas Rabe
Es gäbe nur wenige Menschen, die sich mit dem Ukraineproblem wirklich auseinandersetzen würden, meinte der ehemalige UN-Diplomat Michael von der Schulenburg zu Beginn seines Vortrags am Mittwochabend in Remscheid bei der regionalen SPD-Arbeitsgemeinschaft der Über-60-Jährigen (AG "60 plus"). Als früherer Leiter von UN-Friedensmissionen war er im Rahmen der "Remscheider Gespräche" von der SPD Remscheid eingeladen worden, seine Sichtweise zum Thema "Frieden in Europa – ist die Lösung das Problem" zu präsentieren.
Von der Schulenburg sei zutiefst beunruhigt, wie sehr der Westen sich so verhält, als sei er im Konflikt in der Ukraine eine Kriegspartei. Einerseits wüsste Russland, dass sich die NATO nicht offiziell als Kriegspartei an diesem Krieg beteiligen wolle, weil das zu einer unvermeidlichen atomaren Eskalation führen würde. Andererseits sind die westlichen Ländern und insbesondere die USA de facto längst Kriegspartei. Das ukrainische Militär kämpfe mit westlichen Waffen, und dessen Soldaten würden vom Westen finanziert.
Eskalationsgefahr wegen fehlender Definition einer "roten Linie"
Die Legende von der angeblichen Nichteinmischung der NATO in den Krieg in der Ukraine diene der Aufrechterhaltung des atomaren Schutzschilds. Wobei sowohl die USA als auch Russland bemüht seien, hinter ihrem jeweiligen atomaren Schutzschild zu bleiben. Gleichzeitig würde das Kriegsgeschehen immer weiter eskaliert werden. Das Problem sei, dass es keine klar definierte "rote Linie" gebe, ab wann die eine oder die andere Seite Atomwaffen einsetzen würde. In dieser Unklarheit über die "rote Linie", genau darin bestünde die große Gefahr dieses Krieges, erklärte der ehemalige UN-Diplomat.
Es handele sich hier zum ersten Mal um einen Krieg, bei dem Atomwaffen eine solch essenzielle militärische Rolle spielten. Gleichzeitig hätten sowohl der russische Präsident Wladimir Putin als auch der US-Präsident Joe Biden deutlich gemacht, dass sie beide ihr Prestige mit einem Sieg in diesem Krieg verbinden würden. Und trotz dieser großen Gefahr – "es bedeutet die Vernichtung der Welt in der wir leben" – wäre die Friedensbewegung in Deutschland unbedeutend und fragmentiert.
"Man kann hier den Eindruck haben, dass das Problem der Transgender größer ist als das Problem des Weltfriedens", stellte von der Schulenburg fest.
Bei der zersplitterten Friedensbewegung fehle es hierzulande vor allem an einer zusammenführenden Organisation. Die einzige Partei, welche so eine übergeordnete Rolle in der Friedensbewegung spielen könne, sei seiner Meinung nach die SPD. In dieser Situation müsse sich die SPD an ihre Tradition als Friedenspartei besinnen, appellierte der Diplomat an die SPD-Senioren:
"Wenn die SPD aufgibt, Friedenspartei zu sein, dann gibt die SPD sich selbst auf!"
Für die Sozialdemokratie würde dieser Krieg zur Schicksalsfrage werden. Im Moment würde ein SPD-Wähler Panzerlieferungen unterstützen:
"Wenn wir in Deutschland aktuell die SPD wählen, stimmen wir automatisch zu, dass wir die modernsten deutschen Panzer gegen Russland schicken."
In der letzten Wahl in Niederösterreich habe die FPÖ acht Prozent der Stimmen dazugewonnen und repräsentiere nun ein Viertel der österreichischen Wählerschaft. Dieses Wahlergebnis resultiere aus der Friedensposition der FPÖ, kommentierte der in Wien lebende von der Schulenburg den FPÖ-Wahlerfolg. Die FPÖ sei gegen einen Krieg mit Russland. Der Stimmenanteil der österreichischen Sozialdemokraten läge inzwischen hinter dem der FPÖ. Auch in Deutschland würden viele Menschen, die gar keine typischen AfD-Wähler seien, die AfD nur wegen ihrer Antikriegshaltung wählen.
Dieser Krieg ist weder im deutschen noch im Interesse der EU
Schließlich sei dieser Krieg weder im deutschen noch im europäischen Interesse. Deutschland und die EU hätten noch nicht einmal eine eigene Position dazu. Deshalb würde Russland sich auch gar nicht mehr an Europa wenden, sondern nur noch direkt mit den USA kommunizieren. Bundeskanzler Scholz sei überhaupt nicht in der Rolle, hierbei irgendetwas zu verhandeln. Dabei wüsste man noch nicht einmal, was man mit diesem Krieg erreichen wolle oder welche Ziele damit verfolgt würden.
"Wir wollen Euch [die Ukrainer] solange unterstützen, wie es nötig ist", es sei aber gar nicht bekannt, was diese Aussage bedeuten solle, erläuterte von der Schulenburg die Unklarheit der Kriegsziele.
Die deutschen Politiker hätten durchaus große Angst, dass sie ihre Meinungshoheit über diesen Krieg verlören. Insbesondere auch deshalb, weil die Menschen in Deutschland besonders sensibilisiert seien, was Kriegsbeteiligungen betrifft. In Deutschland gäbe es von der Schulenburg zufolge ein Potenzial von Wählern, die gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungen sind. Zudem könne es doch nicht sein, dass Deutschland nach den USA mittlerweile der zweitgrößte Waffenlieferant sei – und die Deutschen würden sich dazu nicht äußern.
Es sei auch notwendig, die Russen zu verstehen. Moskau könne nicht zurück. Ansonsten würde es zu einem Genozid in der Ukraine kommen, der das, was im Kosovo passiert sei, bei Weitem übertreffen würde. Man dürfe nicht vergessen, dass nicht nur die Russen die UNO-Charta verletzt hätten. Die USA hätten seit dem Kalten Krieg 251 Mal andere Länder angegriffen.
Anstöße für eine Friedensbewegung in der SPD aus der AG "60 plus"
Da es keine relevante politische Bewegung gebe, die gegen diese große Eskalationsgefahr protestiert, sei "der Frieden an die AfD abgeben worden", während die SPD keinerlei Verantwortung übernommen habe. Und selbst wenn man den Waffenlieferungen zustimmt, müsse man gleichzeitig auf Friedensverhandlungen bestehen. Die SPD habe ihre wichtige Tradition verloren, Friedenspartei zu sein. Es sei an der Zeit, sich auf diese Friedenstradition zu besinnen.
An dieser Stelle erinnerte ein Zuhörer daran, dass im SPD-Grundsatzprogramm der Erhalt des Friedens verankert sei: "Frieden in gemeinsamer Sicherheit", hieße es darin.
In der Diskussion stellten die anwesenden SPD-Mitglieder fest, dass es auch auf Bundesebene ihrer Partei Menschen gebe, die für Friedensverhandlungen seien und dass sich die AG "60 plus" bereits dementsprechend geäußert habe. Möglicherweise könne man aus dieser Arbeitsgemeinschaft heraus Anstöße für ein Umdenken in der Partei bewirken, hoffte einer der Teilnehmer.
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