Deutschland

Der Weltretter – Deutsche Medien zum Besuch Selenskijs in den USA

Der ukrainische Präsident wurde in den USA empfangen. Es ging um Geld, Waffenlieferungen und die weitere Unterstützung der Ukraine. Die deutschen Medien kommentieren den Besuch positiv bis euphorisch. Man ist sich einig: Die Ukraine verteidigt die westlichen Werte.
Der Weltretter – Deutsche Medien zum Besuch Selenskijs in den USAQuelle: www.globallookpress.com © Presidential Office of Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskij hat den USA einen Besuch abgestattet. Auf dem Programm standen eine Unterredung mit US-Präsident Biden im Weißen Haus und ein Auftritt vor den Abgeordneten beider Häuser. Versprochen wurde Selenskij weitere militärische und finanzielle Unterstützung. Deutsche Medien messen Selenskijs Auftritt große Bedeutung bei, einige werten den Besuch als "historisch".

So vergleicht Hannes Stein in der Welt den Auftritt Selenskijs mit dem Auftritt Churchills im Winter 1941 und deutet damit eine Parallele zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und Russland an. Der Vergleich zieht sich durch den gesamten Beitrag. 

"Es war nicht nur schwer, es war vollkommen unmöglich, nicht an Churchill zu denken, als jetzt Wolodymyr Selenskyj in Washington vor dem amerikanischen Kongress sprach. Wieder war es ein bitterkalter Winter, wieder war es Weihnachten, wieder war die Reise gefährlich, wieder vertrat der Staatsgast aus der Fremde ein Land, das durch einen Feind bombardiert wird, der die gesamte europäische Friedensordnung herausfordert."

Auch das Handelsblatt zieht die Parallele zu Churchill und sieht in Russland das reine Böse. Dabei ist sich das Blatt sicher, dass Russland dabei ist, den Konflikt zu verlieren. Konkret heißt es dort:

"Wie einst Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg hat sich Selenskij bei seinem Treffen mit US-Präsident Joe Biden und seiner Rede vor beiden Kammern des US-Parlaments die Unterstützung des wichtigsten Verbündeten gesichert. Russland weiß das, und die entgeisterten Mienen der Moskauer Militärs ließen erahnen, dass die russische Armee schon jetzt weiß, wie die von Putin derzeit vorbereitete neuerliche Frühjahrsoffensive ausgehen wird."

Geradezu euphorisch schildert auch ARD-Korrespondentin Nina Barth für die Tagesschau den Besuch des ukrainischen Präsidenten:

"Als der ukrainische Präsident den Saal im Kongress betrat, brandete minutenlanger Applaus auf. Die Abgeordneten und Senatoren empfingen Selenskyj mit Standing Ovations. Ergriffen stand der ukrainische Präsident am Rednerpult – in olivgrünem Armeepullover und passender Hose. Und dann setzte er an zu seiner knapp halbstündigen Rede, die immer wieder von Applaus unterbrochen wurde."

Auch andere deutsche Medien widmen der Kleidung Selenskijs Aufmerksamkeit. Die Welt hält Selenskijs Stil nicht für ein von einer PR-Agentur erdachtes Markenzeichen, ein Branding, das man dem ukrainischen Präsidenten verpasst hat, sondern für den Ausdruck tiefer Authentizität: 

"Selenskyj, das ist der olivgrüne Pullover oder das olivgrüne T-Shirt, mit dem er ohne Jackett herumläuft: Der Mann hat keine Zeit für Anzug und Krawatte, er lebt im Luftschutzkeller."

Das Pathos zieht sich durch den gesamten Beitrag. Wie schon das Handelsblatt sieht auch die Welt die Ukraine auf Siegeskurs. Das Kriegsglück habe sich zugunsten der Ukraine gewendet, schreibt der Autor des Beitrags. Jetzt brauche es aber weitere Unterstützung, weitere Waffen, weiteres Geld. 

Die großen deutschen Medien sind sich darin weitgehend einig, dass die Ukraine nicht weniger leistet, als die westliche Demokratie und die westlichen Werte zu verteidigen. Eine entsprechende Aussage Selenskijs wird vielfach zitiert und wird inhaltlich nicht kritisiert. "'Euer Geld ist keine Wohltätigkeit', rief Selenskyj den Abgeordneten dann auch in seiner Rede vor dem Kongress am Mittwochabend zu, 'es ist eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie, mit der wir verantwortungsvoll umgehen.'", zitiert die FAZ aus der Rede des ukrainischen Präsidenten.

Die FAZ will jedoch, im Gegensatz zu Welt und Tagesschau, auch etwas Uneinigkeit im Publikum wahrgenommen haben:

"Einige der größten Kritiker der Ukraine-Hilfen wie die rechte Abgeordnete Marjorie Taylor Greene nahmen nicht einmal an Selenskyjs Rede teil, andere kamen in den Kongress, ließen aber ihr Desinteresse erkennen. Die republikanische Abgeordnete Lauren Boebert aus Colorado etwa applaudierte kaum und blickte einen Großteil der Rede auf ihr Handy."

Auch der Spiegel entdeckte Abgeordnete, die sich der Selenskij-Euphorie nicht anschließen wollten: "Aber wenn man in die Reihen der Republikaner blickte, dann konnte man auch skeptische Gesten erkennen. Kevin McCarthy, der Fraktionschef der Partei im Repräsentantenhaus, rieb sich lieber die Hände, als zu klatschen. Und die beiden Abgeordneten Lauren Boebert und Matt Gaetz blieben oft demonstrativ sitzen, während ihre Kollegen aus ihren Sitzen sprangen, um Selenskij zu applaudieren. Und manche waren erst gar nicht zu der Rede des ukrainischen Präsidenten erschienen. »Ich bin in D.C., aber ich werde nicht der Rede des ukrainischen Lobbyisten zuhören«, schrieb Thomas Massie, Kongressabgeordneter aus Kentucky."

Die Zeit gibt inzwischen sogar zu, dass die Lage in der Ukraine problematischer ist, als sie Selenskij schildert:

"Tatsächlich ist die Lage der Ukraine prekärer, als es der glänzend inszenierte Präsidentenbesuch vermuten ließe. (…) Doch der Krieg zieht sich hin, die Angst vor dem Vergessenwerden ist groß, die Front bewegt sich kaum, das Sterben geht weiter und es fehlt vielen Ukrainern am Nötigsten, an Wärme, Wasser und Strom. Ohne westliche Unterstützung – militärisch wie finanziell – ist das Land nicht mehr lebensfähig, so tapfer, tollkühn und schlau kann kein Land, kein Volk sein, unter Dauerbeschuss der gesamten Infrastruktur ohne Hilfe auszukommen."

Damit hat die Zeit letztendlich auch gesagt, dass der Westen jederzeit die Möglichkeit hat, den Krieg zu beenden und Selenskij an den Verhandlungstisch zu zwingen. 

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