Deutschlands LNG-Dilemma: Der Infrastrukturausbau
Von Alexander Männer
Inmitten der sich verschärfenden Energie- und Inflationskrise nehmen die Schwierigkeiten für Deutschland im Erdgassektor nicht ab. Es muss vor allem die Versorgungssicherheit gewährleisten, um die negativen Folgen für die Unternehmen und die einfachen Verbraucher nach der Begrenzung der russischen Gaseinfuhren abzumildern. Mit dem dafür benötigten Flüssigerdgas (LNG) können die fehlenden russischen Mengen aufgrund schlechter Voraussetzungen in der Bundesrepublik derzeit jedoch nicht vollkommen ersetzt werden.
Zu den Hauptproblemen zählt die unzureichende LNG-Infrastruktur, weshalb die Aufnahme von zusätzlichen Gaslieferungen per Schiff noch nicht möglich ist. Denn während es in Europa zurzeit mindestens 41 LNG-Terminals gibt, besitzt Deutschland noch keine einzige Anlage, um das verflüssigte Erdgas aufzunehmen und zu regasifizieren. Aus diesem Grund kommt der direkte Import aus den USA, Australien, Kanada oder dem Nahen Osten aktuell auch nicht infrage. Stattdessen müssen die benötigten Mengen über die Anlagen in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden eingeführt und dann in das europäische Gasnetz eingespeist werden.
Paradoxerweise könnten die Pläne der Bundesregierung dieses Problem nicht nur lösen, sondern auch weit übers Ziel hinausschießen und Deutschland eine derart enorme Kapazität für die Anlandung und Weiterverarbeitung von LNG ermöglichen, die eventuell sogar überflüssig ist.
Schleppende Umsetzung der Infrastrukturprojekte
Doch zunächst existiert noch das Problem der fehlenden Infrastruktur, das schon die große Koalition von Angela Merkel erkannt und deshalb im Regierungsvertrag beschlossen hatte, Investitionen in den Bau schwimmender LNG-Terminals an den Ostsee-Standorten Brunsbüttel, Lubmin und Wilhelmshaven zu tätigen. Allerdings ist man damals über die Planung nicht hinausgekommen. Erst das Bundeskabinett von Kanzler Olaf Scholz hat in dieser Angelegenheit etwas bewirkt und als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine die besagten LNG-Projekte sehr schnell vorangebracht.
In Brunsbüttel wurde der Bau der ersten Leitungen für das schwimmende LNG-Terminal im September gestartet. Es soll noch in diesem Winter fertiggestellt werden und ans Netz gehen. In Wilhelmshaven hatte man bereits im Mai mit dem Bau der ersten Anlage begonnen und deren Start für Ende Dezember anvisiert. Die zweite Anlage soll ungefähr in einem Jahr fertiggestellt sein. Inzwischen sind Medienangaben zufolge sogar acht weitere Terminals in Planung und in Bau.
Am weitesten ist bislang das Projekt des LNG-Terminals von Lubmin fortgeschritten. Dessen Inbetriebnahme war für den Anfang dieses Monats angesetzt, verzögert sich nun aber offenbar um Wochen. Wie das Magazin Der Spiegel unter Berufung auf den Betreiber Deutsche ReGas kürzlich berichtete, seien alle technischen Vorkehrungen für das Terminal zwar getroffen, allerdings sei das Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen.
"Wir gehen davon aus, dass wir das Terminal noch im Dezember starten, der Monat geht bis zum 31.", sagte ein Unternehmenssprecher. Wie lange diese Prüfung dauern soll, sei unklar. Bei Deutsche ReGas geht man davon aus, das Terminal noch in diesem Jahr starten zu können. Möglich ist aber auch, dass sich die Inbetriebnahme der Anlage sogar bis ins neue Jahr hinein verzögern könnte, so das Magazin.
Steigende Kosten und überdimensionierte Kapazität
Hinzu kommen die hohen Kosten für den LNG-Ausbau. Diese sind laut einem anderen Bericht des Spiegels seit dem ersten Kostenvoranschlag im Frühjahr um fast das Dreifache gestiegen und könnten bis zum Jahr 2038 etwa zehn Milliarden Euro betragen. Das ist auch deutlich mehr, als zuletzt von der Regierung angegeben wurde.
Zunächst hatte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) mit rund 2,9 Milliarden Euro kalkuliert, die im Haushalt 2022 auch bereitgestellt wurden. Aufgrund von längeren Laufzeiten und zusätzlich eingeplanten Terminals haben sich die Gesamtkosten auf rund 6,5 Milliarden Euro erhöht, wie die Behörde im vergangenen Monat erklärte. Experten haben im Hinblick auf den Bundeshaushalt 2023 jedoch auf zusätzliche Gelder hingewiesen, heißt es. Demnach ergeben die Haushaltstitel nach Angaben des BMWK jene rund zehn Milliarden Euro maximale Gesamtkosten nach derzeitigem Stand.
Selbst wenn diese Kosten ökonomisch vertretbar sind und sich die Inbetriebnahme der Terminals nicht allzu lange verzögern sollte, so bleibt trotzdem noch die Frage der Kapazität. Die drei ursprünglich geplanten Terminals würden ungefähr nur ein Fünftel des derzeitigen deutschen Gasbedarfs ausmachen. Mit allen elf geplanten Anlagen jedoch würde Deutschland laut einer aktuellen Studie des New Climate Instituts eine Regasifizierungskapazität von 73 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreichen. Damit könnte der künftige LNG-Importbedarf des Landes nicht nur komplett gedeckt, sondern auch weit überschritten werden.
Der Prognose nach wäre der Import von etwa 50 Prozent mehr Gas möglich als vor den massiven Lieferbegrenzungen Russlands, das zuvor 46 Milliarden Kubikmeter pro Jahr nach Deutschland lieferte. Im kommenden Jahr würden die Netto-Importe in die Bundesrepublik über Land 75 Milliarden Kubikmeter betragen und dann jährlich um drei Prozent abnehmen, sodass die Nachfrage die Importe bis 2035 um höchstens 15 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, mit sinkender Tendenz ab 2030, übersteigen würde. "Diese Lücke könnte entweder durch ambitioniertere Reduktionen oder durch drei schwimmende Terminals abgedeckt werden. Nach 2035 würden sie nicht mehr benötigt werden", besagt die Studie.
Letzten Endes ist abzuwarten, ob alle Anlagen tatsächlich gebaut und in Betrieb genommen werden. In dieser Zeit kann Deutschland nicht an einer umfangreichen LNG-Anlandung in Europa mitwirken, und deutsche Energieversorger müssen für die Anlieferung von Flüssiggas weiterhin die Terminals in den Nachbarländern nutzen. Außerdem bleibt zu hoffen, dass der Winter eher mild ausfällt, da man sonst wegen der erhöhten weltweiten LNG-Nachfrage wahrscheinlich vor extrem begrenzten Gaslieferungen stehen könnte und folglich verstärkt auf seine Reserven in den Gasspeichern zurückgreifen müsste. Das kann wiederum die Versorgungslage im Frühling und im nächsten Winter verschlechtern.
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