Folge Nr. 5: Steinmeier wieder zu Feldforschungen im Osten unterwegs
Von Mirko Lehmann
Wenigstens bei der Anreise gab sich der Bundespräsident keine Blöße: Öffentlichkeitswirksam und vorschriftsgemäß trug er beim Ausstieg aus der Regionalbahn, die ihn von Dresden nach Freiberg gebracht hatte, eine schwarze Mund-Nasen-Bedeckung, passend zum Mantel. Sage keiner, Frank-Walter Steinmeier hätte seine Lektion von der letzten Landpartie nach Neustrelitz nicht gelernt. (Ob der Bundespräsident auch von Berlin nach Dresden mit der Eisenbahn – und also maskiert – gereist war, oder ob er die Dienste seiner automobilen Fahrbereitschaft in Anspruch nahm und die Strecke nach Sachsen maskenlos hinter sich bringen konnte, scheint derzeit nicht überliefert.)
Überparteilich?
Seit vorgestern also befindet sich Frank-Walter Steinmeier zum fünften Mal in diesem Jahr auf Erkundungstour vor Ort, wieder einmal in einer Kleinstadt, dabei zum vierten Mal in einem der östlichen Bundesländer. Wie üblich, soll diese Übung drei Tage dauern. Gut durchgeplant, wie jede dieser Exkursionen, auch diesmal der Mix aus arrangierten Terminen und sogenannten spontanen Begegnungen auf der Straße. Gegönnt seien Freiberg – wie auch den anderen Klein- und Mittelstädten, die an diesem Programm teilnehmen – diese drei Tage Ruhm und Glanz, die Präsident und Medienrummel der Stadt und Region bescheren. Falls denn davon etwas von Dauer ist.
Denn zu durchsichtig ist das Ablenkungsmanöver, das diese Inszenierung eigentlich darstellt – ob die gleichzeitig stattfindende gestrige Razzia unter "Reichsbürgern" nun schon vorher im Schloss Bellevue bei der Planung der Visite in Freiberg bekannt war oder auch nicht. Einen Hinweis auf die politische Absicht gibt der Bundespräsident selber, und zwar im Interview mit dem regional zuständigen MDR. Mit ein Grund für die Fahrt nach Sachsen seien auch die Proteste gewesen, durch die das Bundesland und speziell Freiberg in den letzten zwei Jahren von sich reden gemacht haben. Das Motiv ist also der "Kampf gegen Rechts", denn Kundgebungen gegen die autoritären staatlichen Corona-Maßnahmen, die verfehlte Energiepolitik oder gegen die selbstzerstörerischen Russland-Sanktionen werden vom politischen und medialen Establishment überwiegend und pauschal als "rechts" hingestellt. Wie zum Beweis, zeigt der Fernsehbericht denn auch eine Demonstration mit blauen Fahnen (Assoziation: AfD!) in Freiberg. Allerdings sei die kleiner ausgefallen als erwartet, wird mit offenkundiger Genugtuung vermeldet. Auch im weiteren Verlauf des Interviews scheint Steinmeier nur darauf aus zu sein, bereits vorgefasste Meinungen bestätigt zu sehen und Regierungspositionen ins Land zu tragen – ein Präsident auf Missionsreise, bezeichnenderweise in den – westdeutschen Politikern wie ihm – immer noch suspekten östlichen Bundesländern.
Dürftige Show
So erweist sich das zur Schau gestellte Zuhören des Bundespräsidenten bloß als Simulation eines offenen Dialogs. In dem knapp halbstündigen Interview gibt Steinmeier zu verstehen, wie eng die Grenzen des Denk- und Sagbaren sind: ziemlich genau entlang der Linie der (Berliner) Regierungspolitik – und keinen Zentimeter darüber hinaus. "Wir" sind schließlich die "Guten"! Über eine Frage nach dem – gerade in den östlichen Bundesländern – als zunehmend verengt empfundenen Meinungskorridor geht Steinmeier mit dem arroganten Hinweis auf gegenläufige Studien hinweg. Das Bild stelle sich ihm auch in Freiberg als "vielfältiger" dar. Kein Wunder, bei dem Arrangement. Doch es hapert nicht an Steinmeiers Wahrnehmung: Wer demonstriere, solle genau darauf achten, wer sich noch am Protest beteilige, so seine mehrfache Ermahnung. Oppositionelle Stimmen durch den Vorwurf einer Kontaktschuld zu diskreditieren: das alte Teile-und-herrsche-Prinzip. Auch Steinmeier kommt bei seinem inszenierten Bürgerdialog vor Ort nicht ohne dies aus.
Aber was hätten die Freiberger auch von einem Steinmeier anderes erwarten können? Wer wie er einen Murat Kurnaz noch jahrelang im US-Folterlager Guantanamo schmoren lässt, obwohl selbst Washington den völlig unschuldigen Kurnaz längst nach Hause schicken wollte; wer als deutscher Außenminister mit ukrainischen Nationalisten und Faschisten posiert, dann seinen Garantieverpflichtungen aus dem Abkommen für den Kiewer Machttransfer im Februar 2014 nicht nachkommt, kaum dass die Tinte darunter trocken ist; und wer wie Steinmeier sich schon vor dem 24. Februar 2022 am antirussischen Feindbildaufbau und der Kriegsrhetorik an vorderster Stelle beteiligte – um nicht von seinen doppelten Standards bei der Diffamierung deutscher Corona-Maßnahmen-Kritiker einerseits und chinesischen Demonstranten andererseits zu sprechen.
Angesichts solch notorischer Heuchelei und demonstrativer Arroganz der Macht ist auch diese "Ortszeit" in Freiberg eine Verhöhnung derjenigen Bürger, die immer noch gutwillig darauf hoffen, dass ihnen die Politik nicht nur zuhört, sondern auch zu einer Kursänderung im Interesse des Landes bereit ist. Etablierte Politik und Medien sorgen durch ihr Auftreten und Handeln immer wieder selbst dafür, das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zu untergraben – was sie dann als verfassungsschutzrelevantes Delegitimieren des Staates den Kritikern in die Schuhe schieben. Was für eine Projektionsleistung.
So bestätigen die mit jovialem Lächeln vorgetragenen Antworten Steinmeiers auf die zahmen Hofberichterstatter-Fragen des MDR, was der Arzt und Publizist Paul Brandenburg vor einigen Wochen diagnostiziert hat:
"Frank Walter Steinmeier verunglimpft das Amt des Bundespräsidenten."
Die deutsche Politik scheint sich, abgesehen von Inkompetenz und Irrationalität, auf die Disziplinen Lüge, Heuchelei und Täuschung verlegt zu haben. Im Ausland, besonders dem nicht-westlichen, hat man dies längst registriert. Auch im Inland haben sich solche Inszenierungen von Simulanten überlebt. In ihrer Hilflosigkeit reagieren diese auf die ihnen eigene Weise – mit Razzien.
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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.